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«Ich spiele Offenbach und Hoffmann»

«Ich spiele Offenbach und Hoffmann» «Ich spiele Offenbach und Hoffmann»

Im Stiftstheater Einsiedeln geht am 4. Mai, um 19.30 Uhr, eine «Phantastische Oper in fünf Akten» über die Bühne

In einer Bearbeitung zeigt Boxopera die Oper «Hoffmanns Erzählungen» aus der Sicht des Komponisten Jacques Offenbach, verkörpert von einem Schauspieler – Oscar Sales Bingisser.

Wie sind Sie in «Hoffmanns Erzählungen » geraten?

Das ist einem Zufall zu verdanken: Vor zwei Jahren hat mich Peter Bernhard von Boxopera, dem etwas anderen Musiktheater, angefragt, ob ich eine Sprechrolle in «Hoffmanns Erzählungen » übernehmen möchte und als Schauspieler den Komponisten Jacques Offenbach verkörpern würde. Selber bin ich ein grosser Opern-Fan, ohne ein Fachmann zu sein in diesem Genre.

Sie spielen in Ihrer Rolle Jacques Offenbach: Was verbindet Sie mit diesem Komponisten? Was bedeutet Ihnen Jacques Offenbach? Ich habe Offenbach nicht wirklich gekannt, bin aber sehr angetan von seiner Biographie und finde seinen Werdegang überaus spannend: Dass einer ein Leben lang davon träumt, eine Oper zu komponieren, dies schliesslich auch schafft, aber die Aufführung des Werks verpasst, ist interessant und tragisch zugleich. Tragisch ist auch, dass man Offenbach am Ende seines Lebens kaum mehr gekannt, ihn verges-sen hat und er erst nach seinem Tod berühmt geworden ist.

Welche Persönlichkeit verbirgt sich hinter Jacques Offenbach? In der Entwicklung der Figur des Jacques Offenbach kann er zum Erzähler seiner eigenen Lebensgeschichte werden, natürlich nur aus einer Sequenz seines Schaffens an eben diesem Werk. Es soll keine Aufarbeitung seiner Vita werden wie etwa im Film Amadeus, in dem Salieri das eigene Leben und jenes seines Konkurrenten Wolfgang Amadeus Mozart skizziert und beschreibt. Jacques Offenbach ist eine sehr interessante, facettenreiche Persönlichkeit, deshalb wollen wir uns auch tiefgründig mit seinem Werk «Les Contes d’Hoffmann» beschäftigen.

Wie spielen Sie Jacques Offenbach konkret?

Als Darsteller des Offenbachs sitze ich im Bistro und arbeite an einer Komposition. Mit grosser Hingabe und etwas schwarzem Humor erzähle ich seine tragikomische Geschichte, die er mit der Schaffung des Werkes «Hoffmanns Erzählungen» erlebte. Und seinem so dringenden Wunsch, nebst den vielen Operetten auch eine grosse Oper zu schreiben. Neben sieben Solisten tritt ein einziger Schauspieler auf – das sind Sie: Dürfen Sie im Stück nicht mitsingen? Ich kann durchaus singen und habe auch schon bei musikalischen Lustspielen wie «Die kleine Niederdorfoper» oder bei Theaterstücken wie die «Dreigroschenoper » mitgespielt. Hingegen ist meine Rolle in «Hoffmanns Erzählungen» eine andere: Ich trete als Schauspieler auf, nicht als Sänger oder Solist. Ganz abgesehen davon sind bei dieser Oper, die am 4. Mai in Einsiedeln aufgeführt wird, überaus exzellente und virtuose Sängerinnen und Sänger am Werk.

Jacques Offenbach gilt als Erfinder der Operette. Was unterscheidet diese von der Oper? Die Oper ist kein Lustspiel, und bei einer Oper geht es in der Regel nicht so lustig zu und her wie bei einer Operette, in der viel gelacht wird: Eine Operette wird nicht so ernst genommen wie eine Oper. Mit der neuen Produktion für die Spielzeit 2023/2024 widmet sich Boxopera der etwas leichteren Muse. Jacques Offenbach ist bekannter als Operetten- Komponist, war er doch der eigentliche Erfinder dieses Genres. Dennoch: «Les Contes d’Hoffmann» ist eine Oper, zwar unvollendet vom Komponisten verfasst, und wurde bereits in unterschiedlichsten Musik-Versionen gespielt. Man darf diese im wörtlichen Sinne phantastische Oper beinahe einen Klassiker nennen, denn sie wurde an allen Opernhäusern der Welt gespielt und gilt auch als Publikumsmagnet.

Hat das Publikum in einer Oper – ganz im Unterschied zu einer Operette – also nichts zu lachen?

Ganz im Gegenteil: Die Musik des Erfinders der Operette strotzt vor französischem Charme, sprudelndem Schmiss und bekannten Ohrwürmern. Ein Werk für Liebhaber der Oper und Operette zugleich! Die Musik in «Hoffmanns Erzählungen» geht in der Tat unter die Haut und ist sehr berührend. Allein wegen der Musik lohnt sich ein Besuch der Aufführung im Stiftstheater in jedem Masse.

Also steht der ernsten Untertöne zum Trotz eine leichtere Muse auf dem Programm? Von einer leichteren Muse würde ich jetzt nicht gerade sprechen. Sagen wir es so: Die Gesamtleitung von Boxopera hat sich entschlossen, auch aufgrund der letzten Jahre mit einschneidenden Geschehnissen auf der ganzen Erde, der Leichtigkeit der Musik, der französischen Verspieltheit und dem Charme des Dreivierteltaktes etwas Raum zu geben. Um welche Themen dreht sich das Stück? Es geht um Liebe und Leidenschaft und das ewig Weibliche. Hoffmann thematisiert in seiner Erzählung Schein und Sein in der Beziehung zwischen Mann und Frau: Eine Puppe, die ganz nach dem Willen des Spielers tanzt, eine Kurtisane mit Leidenschaft und dem hohen Preis des Spiegelbildes, das Hoffmann dem Teufel verkauft, und die Künstlerin, in die er sich verlieben könnte, selber aber gefühlsleer bleibt.

Erkennen Sie auch eine Aktualität im Stück, auf dass sich der Bogen vom 19. ins 21. Jahrhundert spannen lässt? Das Stück «Les Contes d’Hoffmann » zeigt in frappanter Aktualität und grosser Authentizität den Grat zwischen Traumvorstellung und Wirklichkeit,zwischen Schein und Sein. Und es zeigt auch, wie tief die Abgründe sein können, in die man stürzen kann. Die Hauptfigur Hoffmann ist im dauernden Konflikt und Gespräch mit der Muse Nicklausse und begibt sich immer wieder hinein in Wahnvorstellungen, in denen er schliesslich im dritten Akt sein Spiegelbild an den Teufel verkauft, um im Schoss der Kurtisane zu landen – sinnbildlich für das Verkaufen seiner eigenen Identität. So wird gezeigt, wie beeindruckend aktuell und nah dieses vor mehr als hundert Jahren komponierte Musiktheater uns heute noch betrifft. Und vielleicht den einen oder anderen auch etwas nachdenklich stimmt.

E. T. A. Hoffmann gilt als Inbegriff der Romantik. Was verbindet unsere Zeit mit dem 19. Jahrhundert? Hoffmann liess sich von den Ideen seiner Zeit leiten und schuf Phantasiewelten, in denen er das zeitgenössische Wissen romantischer Wissenschaftler aufgriff: Er machte den Traum in der Romantik möglich. Würde Hoffmann in der heutigen Zeit leben, würde er wohl Produktionen auf Netflix lancieren. Die Romantik ist eine ungeheuerlich spannende Zeit, in der es Raum gab für den Irrsinn, das Dunkle, das Böse, das Teuflische, das Phantastische, das Exzessive: Kein Wunder, wen-den sich die Menschen heutzutage wieder der Romantik zu. Die Sturm-und-Drang-Epoche, die Zeit der Alt-68er, das ist längst vorbei. Heute drängt es den Menschen zurück in die Natur und hin zu den Naturreligionen. Normalerweise werden Opern in Opernhäuser aufgeführt. Wie kommt es dazu, dass diese Oper nun im Stiftstheater Einsiedeln aufgeführt wird? Die Möglichkeit, neue Spielorte zu entdecken und zu erobern, in einer Fabrikhalle, auf kleinen Bühnen und Kellertheatern, ermöglicht es Protagonisten und dem Publikum, neue Perspektiven zu erleben. Ganz bewusst wird die grosse Distanz zum Zuschauer, wie sie in Opernhäusern allein schon durch den Orchestergraben gegeben ist, umgangen. Der Blick des Zuschauers wird zum Brennglas auf den Inhalt. Als positiven Nebeneffekt schaffen wir die Möglichkeit, einen «Bühnenraum» zu kreieren, der das Publikum die Oper nicht nur hautnah erleben lässt, sondern es zu einem Bestandteil der Inszenierung macht. Was bedeutet dies für die Künstlerinnen und Künstler? Dieser Spielansatz verlangt von den Künstlerinnen und Künstler Flexibilität und hohe Qualität. Sei es, um das perfekte akustische Zusammenspiel zwischen Sängern und den Musikern zu finden oder den steten Kontakt zwischen Darstellern und Pianist oder Dirigent zu garantieren. Aber es bedeutet gleichzeitig auch eine Herausforderung, an dessen Ende für die Besucher das unmittelbar authentische Erleben und die Nähe zum Geschehen als Gewinn resultiert. Welche Erfahrungen haben die Solisten bereits sammeln können?

Künstlerisch kann ich Ihnen mitteilen, dass die Sängerinnen und Sänger und Instrumentalisten bereits auf grossen Bühnen aufgetreten sind: So zum Beispiel im Opernhaus Zürich, in der Oper Köln, im Staatstheater Augsburg und in Karlsruhe.

Gibt es eine Verbindung zwischen der Aufführung und dem Klosterdorf? Es besteht eine Kooperation mit der Welttheatergesellschaft Einsiedeln. Hinzu kommt, dass Raban Brunner die Komposition arrangiert hat – Raban Brunner ist der Bruder von Pater Aaron Brunner, der im Kloster Einsiedeln lebt. Und überdies stammt meine Wenigkeit gleichsam aus dem Klosterdorf.

Eintrittsbillette gibt es an der Abendkasse oder unter www.boxopera. net/tickets.

Fotos: zvg


Peter Bernhard spielt Hoffmann, Antonia Bourvé tritt auf in der Rolle von Giulietta.

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