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«Das Vorgehen kann man kritisieren und für falsch halten»

«Das Vorgehen kann man kritisieren und für falsch halten» «Das Vorgehen kann man kritisieren und für falsch halten»

Stellungnahme von Abt Urban Federer zum Artikel in der Zeitschrift «Beobachter» vom 15. März

Der «Beobachter» berichtet in seiner aktuellen Ausgabe von einem Fall von sexuellem Missbrauch durch ein Mitglied des Klosters Einsiedeln vor rund sechzig Jahren. Weitere Medien haben das Thema aufgenommen.

Mitg. Ein Mönch des Klosters habe in den 60er-Jahren in Einsiedeln einen sexuellen Übergriff an einem Kind verübt, schreibt der «Beobachter»: Der damalige Betroffene, der 75-jährige Walter Gerzner, leidet bis heute unter dieser Tat. Er habe seine Erfahrungen gegenüber einem Journalisten der Zeitschrift «Beobachter» berichtet. Der Journalist erhebt den Vorwurf, dass Abt Urban Federer, heutiger Vorsteher des Klosters Einsiedeln, bei der Kontaktaufnahme durch Walter Gerzner im vergangenen Jahr nicht angemessen reagiert habe. Gemäss dem Artikel habe Abt Urban den Täter, der heute als hochbetagter Mönch im Kloster lebt, schützen wollen. «Auf keinen Fall wollte ich damit einen Täter schützen» Abt Urban nimmt wie folgt Stellung: «Walter Gerzner ist vor einem Jahr an mich herangetreten. Herr Gerzner leidet bis heute aufgrund der Ereignisse in seiner Kindheit unter seelischen Verletzungen. Ich bedauere ausserordentlich, dass meine Reaktion und mein Vorgehen ihn enttäuscht haben. Den Vorwurf der Vertuschung, der aus dem Artikel abgeleitet werden kann, weise ich aber ausdrücklich zurück. Zum Vorwurf des falschen Vorgehens möchte ich hier folgendes erklären: In meiner Kommunikation mit Walter Gerzner gab ich ihm Hinweise auf professionelle (kirchliche und unabhängige) Opferhilfestellen, die begleiten und auch bei einer Anzeige unterstützen können. Auch bot ich ihm persönliche Gespräche an. Die eigentliche Frage für mich war: Was soll in diesem spezifischen Fall Priorität haben, das kirchliche oder das strafrechtliche Verfahren? Eine kirchliche Voruntersuchung hat wenig Glaubwürdigkeit, wenn der Auftraggeber der Untersuchung und der potenzielle Täter derselben Klostergemeinschaft angehören. Darum versuchte ich von Anfang an, das strafrechtliche Vorgehen zu priorisieren. Mit dem Wissen, das ich von Herrn Gerzner direkt und jüngst über den Journalisten erhalten habe, konnte ich nun end-lich die entsprechende Strafanzeige machen. Den kirchenrechtlichen Vorgaben versuchte ich zu genügen, indem ich eine Meldung nach Rom machte, anstatt gleich selbst eine Voruntersuchung einzuleiten. Dieses Vorgehen kann man kritisieren und für falsch halten. Es ist in den kirchlichen Vorgaben als Möglichkeit vorgesehen. Auf keinen Fall wollte ich damit einen Täter schützen oder eine Straftat vertuschen. Ich handelte nach dem Grundsatz: Die Kirche soll staatlichen Untersuchungen folgen, um keinen Verdacht zu geben, Sachverhalte selbst untersuchen und darstellen zu wollen.Ich bin weiterhin bestrebt, mit Walter Gerzner – und weiteren Betroffenen, die mit schmerzhaften Erinnerungen leben müssen – in Kontakt zu treten. Aufarbeitung von Missbrauch im Kloster Einsiedeln Das Kloster Einsiedeln hatte im Jahr 2010 eine umfangreiche Untersuchung zu sexuellen Übergriffen durch Mitglieder der Klostergemeinschaft durchführen lassen. Anfang des Jahres 2011 informierte das Kloster über die Ergebnisse, veröffentlichte aber den eigentlichen Untersuchungsbericht nicht.

Der damalige externe Untersuchungsleiter hat noch im Februar 2023 dem Kloster ausdrücklich und öffentlich empfohlen, bei die-ser Haltung zu bleiben und den Bericht nicht zu veröffentlichen – aus Gründen des Persönlichkeitsschutzes und weil die Medienmitteilung vom 27. Januar 2011 alles Wesentliche gesagt habe, ohne Namen oder nachvollziehbare Fälle zu beschreiben. Der Fall von Walter Gerzner wurde im Rahmen dieser Untersuchung leider nicht gemeldet.

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