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Widerstand gegen die Beschneidung von Meinungsfreiheit

Widerstand gegen die Beschneidung von Meinungsfreiheit Widerstand gegen die Beschneidung von Meinungsfreiheit

SEITENBLICK: FRAG-WÜRDIG

In den letzten Tagen ging eine kleine Meldung in den Tageszeitungen trotz ihrer Wichtigkeit beinahe unter. Sie berichtete darüber, dass das Regionalgericht Bern-Mittelland eine Gruppe von Autorinnen und Autoren eines kritischen Rechercheberichts über die Beteiligung eines in der Schweiz ansässigen Rohstoffunternehmens am Handel mit geschmuggeltem Diesel- Öl aus Libyen von dessen Klage freigesprochen hat, und zwar in allen Punkten. Das Gericht attestierte dem Bericht der Medienschaffenden nicht nur eine seriöse, sorgfältige journalistische Vorgehensweise, verwies nicht nur explizit auf die Glaubwürdigkeit der dafür benutzten Quellen, sondern sah auch ein allgemeines Interesse an der Veröffentlichung der Recherche-Ergebnisse als erwiesen an.

Mit einer enorm hohen Schadenersatzforderung hatte das Handelsunternehmen zuvor gegen die Organisation vorgehen wollen, innerhalb welcher die Investigation erfolgt war.

Ohrfeigen für unliebsamen oder kritischen Journalismus Das Phänomen solcher als missbräuchlich geltenden Einschüchterungsklagen nimmt nicht nur in diktatorischen Staaten, sondern auch in Europa immer mehr zu. Zunehmend sind auch Schweizer Organisationen, im konkreten obigen Fall «Public Eye» oder der «Bruno Manser Fonds», davon betroffen. Kritische Stimmen werden zwar nicht wie in anderen gegenwärtig totalitär regierten Staaten getötet, aber diese sollen mit solchen Klagen, die oft mit immensen Schadenersatzforderungen in Millionenhöhe verbunden sind, mund-tot gemacht werden.

Nun komme ich zum heute unter die Lupe genommenen frag-würdigen Wort: Slapp. Es ist einer dieser neuen Begriffe, die aus den jeweiligen Anfangsbuchstaben mehrerer Wörter gebildet sind, wie beispielsweise das heute häufig gebrauchte glg. Ich weiss heute noch, wie ratlos ich das erste Mal war, am Ende einer Nachricht diese drei Buchstaben zu lesen, bis es mir dämmerte, dass sie für «ganz liebe Grüsse» stehen …! Slapp erinnert jedoch an etwas gar nicht Liebenswertes, nämlich an den Schlag ins Gesicht und ist vom Englischen slap – die Ohrfeige – abgeleitet.

Der Begriff mit dem Doppel pp steht wortwörtlich für: Strategic lawsuits against public participation, zu deutsch: Strategische Gerichtsklagen gegen öffentliches Engagement oder Teilnahme. Mit ihnen soll verhindert werden, dass beispielsweise eine Umgehung von Sanktionen, Korruption, Menschenrechtsverletzungen oder umweltschädigendes Geschäftsgebaren wie Export von potenziell krebserregenden Pestiziden aufgedeckt und darüber berichtet wird. Dies ist aber oft ein notwendiger erster Schritt, um nachfolgend solche Gebaren zur Verantwortung ziehen zu können. Faktenbasierte und solide Recherchen dürfen nicht behindert werden Mit solchen Einschüchterungsklagen wird nicht nur die freie Meinungsäusserung und Medienfreiheit unter Druck gesetzt, sondern auch an einem wichtigen Eckpfeiler der Demokratie gesägt. Deshalb hat die EU vor zwei Jahren Richtlinien zum Schutz vor solch missbräuchlichem Vorgehen ausgearbeitet. In der Schweiz fehlt eine diesbezügliche gesetzliche Leitplanke noch. Deshalb haben mittlerweile mehrere hiesige Organisationen, die von Slapps betroffen sind oder einer Behinderung ihrer Arbeit zuvorkommen wollen, sich zusammengeschlossen. Der Verband Schweizer Medien und eine Allianz mehrerer Hilfswerke wie beispielsweise das HEKS oder Swissaid sowie diverse Nichtregierungsorganisationen verlangen nun neu eine Gesetzgebung zum besseren Schutz von Medienund Meinungsäusserungsfreiheit.

Damit will man nicht nur die Politik zu aktivem Handeln in der Sache anregen, sondern auch die Öffentlichkeit über die negativen Auswirkungen informieren, welche solche «Schläge ins Gesicht» oder «Ohrfeigen » an die Adresse von Meinungsfreiheit, Meinungsvielfalt und demokratischen Grundprinzipien haben.

Aus positiver Warte betrachtet, kann natürlich ein Druck durch Klagedrohungen alle Medienschaffenden zur erhöhten Qualität in ihrer professionellen Arbeit anspornen, dem Anspruch an grösstmögliche Sorgfalt, Ausgewogenheit und Fair-ness Nachdruck verleihen. Seriöse Erforschung von brisanten Themen, die auf seriöser Faktenlage und -auswertung beruht, darf jedoch nicht missbräuchlich geahndet werden, ist sie doch für eine offene Debatte in jeder Demokratie notwendig.

Und auch regionale Zeitungen, wie sie der Einsiedler Anzeiger eine ist, zeichnen sich dann durch guten Journalismus aus, wenn sie Pro und Kontra zu gewissen Themen gleichermassen zulassen und darauf achten, dass von Fakten und nicht von «Fake» ausgegangen wird.

Elena Fischli (1951) ist Psychotherapeutin, Verlegerin, Autorin und langjährige Mitarbeiterin ihres verstorbenen Lebenspartners, Filmemacher Karl Saurer. Sie wohnt seit über dreissig Jahren in Einsiedeln.

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