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«Man kann auch weiterhin sehr gut allein in der Natur unterwegs sein»

«Man kann auch weiterhin sehr gut allein in der Natur unterwegs sein» «Man kann auch weiterhin sehr gut allein in der Natur unterwegs sein»

Wie reagieren Wölfe bei Begegnungen mit Menschen? Muss man sich draussen nun fürchten? Tierparkdirektor Stefan Meier gibt Antworten.

Am Samstagabend wurde vermutlich ein Wolf in Rickenbach mitten in einem Wohnquartier gesichtet und gefilmt. Was sagen Sie zu diesen Aufnahmen? Es ist unklar, ob im Video ein Wolf oder ein Hund zu sehen ist. Es kursieren immer wieder Videos in den sozialen Medien, wo ein Hund fälschlicherweise für einen Wolf gehalten wird. Wölfe halten sich im Winter vermehrt im Talboden auf, da sie ihren Beutetieren, den Hirschen und Gämsen, folgen. Derzeit sind zudem Jungwölfe unterwegs, welche ihr Rudel verlassen haben und ein eigenes Revier suchen. Wenn Wölfe die Talseite wechseln, nehmen sie den kürzesten Weg und nutzen auch die menschliche Infrastruktur, beispielsweise Strassen oder Brücken.

Der Gedanke an eine Begegnung mit einem Wolf verunsichert viele Menschen. Können Sie diese Ängste nachvollziehen?

Die angesprochene Verunsicherung besteht vor allem durch viele Missverständnisse, welche in der Bevölkerung kursieren. Der Wolf ist ein sehr scheues Tier und vermeidet den Kontakt mit dem Menschen. In der Schweiz gab es seit der Rückkehr der Wölfe im Jahr 1995 keine gefährliche Begegnung mit Menschen. Die Verunsicherung ist verständlich, aber nicht begründet. Zum Vergleich: Im gleichen Zeitraum, also in knapp 30 Jahren, wurden schweizweit rund 100’000 Menschen von Hunden gebissen. Können Wölfe uns Menschen gefährlich werden, oder kann in jedem Fall von Desinteresse gesprochen werden? Wölfe gehen den Menschen aus dem Weg. Bei einer zufälligen Begegnung flüchtet der Wolf in der Regel. Was ist,wenn ein Wolf krank ist – kann es in solchen Fällen zu aggressivem Verhalten gegenüber Menschen kommen? Es gab in der Vergangenheit in Europa vereinzelte Fälle, wo Wölfe, welche an Tollwut erkrankt waren, aggressiv gegenüber Menschen auftraten. In der Schweiz gibt es die Tollwut jedoch schon länger nicht mehr. Bevorzugen Wölfe nicht eher menschenleere Gebiete? Weshalb sichtet man sie auch in Siedlungsnähe? Wölfe bevorzugen Gebiete, wo sie ausreichend Nahrung fin-den, das heisst, wo hohe Bestände von Hirschen und Gämsen leben. Sie sind äusserst anpassungsfähig und können viele verschiedene Lebensräume besiedeln.

Wölfe sind in der Regel nachtaktiv. Ist es tagsüber also eher unwahrscheinlich, dass man einem Wolf begegnet? Es ist sehr unwahrscheinlich, einem Wolf zu begegnen. Selbst in der Wolfshochburg Surselva im Kanton Graubünden, wo gewisse Gebiete flächendeckend wieder von Wolfsrudeln besiedelt sind, haben die wenigsten Menschen je einen Wolf gesehen. Nachtaktiv sind Wölfe vor allem, um den Menschen aus dem Weg zu gehen. Soll man nachts aufs Joggen oder auf Spaziergänge verzichten?

Nein, man kann seine Freizeitaktivitäten wie Joggen oder auch Skitouren selbstverständlich wie gewohnt fortführen, egal, ob ein Einzelwolf oder ein ganzes Rudel im Gebiet präsent ist.

Spielt es eine Rolle, ob man alleine oder in Gruppen unterwegs ist?

Nein, man kann auch weiterhin sehr gut alleine in der Natur unterwegs sein.

Was bringt einen Wolf dazu, sich in Siedlungsnähe aufzuhalten?

Der Wolf folgt Hirschen und Gämsen, welche sich im Winter in tie-fen Lagen aufhalten. Daher kann es passieren, dass beispielsweise ein Hirsch in unmittelbarer Nähe zum Dorf gerissen wird und Reste des Kadavers liegen bleiben. Wenn Wölfe nachts die Talseite wechseln, so suchen sie den kürzesten Weg und können auch mitten durch ein Dorf laufen. Werden andere Wildtiere mit von Menschen geschaffenen Futterquellen in Siedlungsnähe angelockt, so kann dies auch den Wolf anziehen. Passen sich Wölfe an die Präsenz der Menschen an? Wölfe sind sehr anpassungsfähig und finden sich auch in dichter besiedelten Gebieten wie dem Mittelland gut zurecht. Wie reagieren Wölfe in der Regel bei Begegnungen mit Menschen oder Autos? Stösst ein Wolf auf einen Menschen, so zieht er sich zurück. Ein Auto wird jedoch nicht als Lebewesen wahrgenommen, und der Wolf bleibt in einer solchen Situation auch mal stehen. Spielt es eine Rolle, ob es sich um einen Jungwolf oder um ein älteres Tier handelt? Junge Wölfe sind neugierig und noch unerfahren. Sie verlassen im Alter von ein bis zwei Jahren ihr Rudel, um ein eigenes Revier zu suchen. Auf ihrer Wanderung durchqueren sie immer wieder von Menschen besiedeltes und genutztes Gebiet. Ein Jungwolf aus dem Kanton Graubünden hat es bis nach Ungarn geschafft und dabei knapp 2000 Kilometer zurückgelegt. Auch Jungwölfe sind scheu und mei-den den Kontakt mit Menschen. Wie soll man sich verhalten, wenn man einem oder mehreren Wölfen begegnet? Sollte es zu einer solch seltenen Zufallsbegegnung kommen, so hat man grosses Glück und darf den einmaligen Moment genies-sen. Sollten sich die Wölfe unerwartet nicht sofort zurückziehen, so kann man mit lautem Rufen auf sich aufmerksam machen. Macht es Sinn, Fotos oder Videos zu machen, das Tier gegebenenfalls sogar zu verfolgen? Wildtiere fürchten den Menschen. Es ist daher wichtig, dass man die Tiere respektiert und sie in Ruhe lässt. Gegen ein Foto aus einem gut versteckten Beobachtungsposten spricht jedoch nichts.

Inwiefern beeinflusst die Anwesenheit von Hunden das Verhalten der Wölfe?

Wölfe betrachten frei laufende Hunde als Eindringlinge in ihr Revier, insbesondere während der Aufzucht ihrer Jungtiere. Es ist deshalb zu empfehlen, Hunde an der Leine zu führen. Was muss man beachten, wenn man bei einem Ausritt einem Wolf begegnet? Wie reagieren Wölfe auf Pferde? Pferde gehören nicht zu den Beutetieren des Wolfes. Sitzt ein Mensch auf einem Pferd, so wird er allenfalls vom Wolf nicht sofort erkannt. Mit lautem Rufen kann man sich bemerkbar machen. Was gilt es zu beachten, dass es gar nicht erst zu einer Wolfsbegegnung kommt? Auf dem Weg bleiben? Den Wald mei-den?

Eine Begegnung mit dem Wolf ist höchst unwahrscheinlich. Ich kenne viele Menschen, welche seit Jahren in Wolfsrudelgebieten unterwegs sind und sich sehnlichst wünschen, Wölfe zu sichten. In Erfüllung gegangen ist dieser Wunsch fast nie.

Foto: zvg

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