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«Diese Bibliothek hat eine Zukunft verdient»

«Diese Bibliothek hat eine Zukunft verdient» «Diese Bibliothek hat eine Zukunft verdient»

Die Schwyzer Regierung will die Bibliothek Werner Oechslin in Einsiedeln jährlich mit 600’000 Franken unterstützen. «Das ist grossartig», sagt der 79-jährige Architekturhistoriker Werner Oechslin: «Diese Bibliothek braucht eine Zukunft.»

Sind Sie zufrieden mit dem Entscheid des Schwyzer Regierungsrats, Ihre Bibliothek jährlich mit 600’000 Franken zu unterstützen?

Das ist grossartig. Und es gibt uns Auftrieb, unsere Arbeit bestmöglich fortzusetzen und nach vorne zu blicken. Diese Bibliothek braucht und verdient eine Zukunft. Ich interpretiere die-sen Antrag der Schwyzer Regierung als ein klares Bekenntnis, die schon im Jahre 1997 vor Gründung der Stiftung bekundete Zielsetzung der Zuführung der Bibliothek zu wissenschaftlichen Zwecken nun definitiv und nachhaltig mit guter Leitung und ausreichenden Fachkräften zu gestalten. Es wird kolportiert, dass Sie sich im Jahr 2006 mit dem Botta- Bau in Einsiedeln ein Denkmal gesetzt hätten und nun die öffentliche Hand die Kosten tragen solle. Was sagen Sie zu die-ser Kritik? Das ist der übliche, abgegriffene Gemeinplatz, den man gegen Menschen richtet, die besondere Leistungen erbringen. Dabei werden die Tatsachen verdreht: Die Bibliothek ist zugunsten der Öffentlichkeit mit dem Zweck errichtet worden, die Bücher öffentlich zugänglich zu machen und zu nutzen. Und die Besonderheit liegt darin, dass eine ähnliche Institution, die Quellenforschung und Forschung am Buch in den Mittelpunkt stellt, in der Schweiz nicht existiert. Kommentare stellen uns an die Seite der berühmten Warburg-Library in London. Die Bibliothek ist öffentlich, und die Stiftung möchte diesen Charakter, falls Mittel gegeben sind, deutlich verstärken. Übrigens, als Wissenschafter bildet man durch seine Forschung und Publikationen und nicht durch Gebäude seine Monumente.

Kritisch wird auch beurteilt, dass der Kanton Schwyz üblicherweise keine Objektfinanzierung in der Kulturförderung macht. Wieso soll der Kanton bei Ihrer Bibliothek eine Ausnahme machen? Es geht bei dieser Sache unserer Forschungsbibliothek um deren Tätigkeiten, die international bis nach Shanghai vernetzt sind. Unsere Kolloquien sind wegen der offenen Gesprächskultur beliebt. Die Bibliothek ist ein Arbeitsinstrument, erbringt wissenschaftliche Beiträge und kümmert sich um die Vermittlung von Wissen. Es geht also nicht um Kulturförderung, sondern – gestützt auf das kantonale Hochschulgesetz – um die nachhaltige Sicherung einer international herausragenden Forschungsinstitution.

Wieso ist die ETH im Jahr 2021 aus der Finanzierung der Bibliothek ausgestiegen? Obwohl entsprechend ausgeschrieben, ist nach meiner Emeritierung nicht ein Fachmann für Geschichte und Theorie, sondern ein Vertreter zeitgenössischer Kunst als Nachfolger bestellt worden: Das hat eine Kontinuität in der Zusammenarbeit erschwert. Mittlerweile ist die Krise mit der ETH überwunden, die Zusammenarbeit durch eine neue Leistungsvereinbarung aufgegleist. Es gibt die ETH, das Architekturdepartement mit Lehre und Forschung, und es gibt die ETH-Bibliothek, deren Ausrichtung als umfassende Bibliothek einer technischen Hochschule anderweitige Prioritäten hat und die kaum Interesse an Quellenforschung zeigt. Wir waren ursprünglich eng mit dem Departement Architektur verbunden, dann hat man uns ohne Rücksprache der ETH-Bibliothek unterstellt. Diese hätte unsere Bibliothek gerne einverleibt, wo die einzelnen Bücher dann verschwunden wären.

Was heisst das konkret?

Das von der ETH Zürich initiierte neue Katalogisierungssystem SLPS verlangt von den Teilnehmern die Abtretung der Daten in das Eigentum der zu diesem Zweck gegründeten Aktiengesellschaft und fordert zudem das ausschliessliche Recht kommerzieller Verwertung. Als Forschungsbibliothek, die an den Büchern forscht, Kontexte und Vernetzungen aufspürt und die so bearbeiteten Metadaten der Forschung zur Verfügung stellt, ist das System SLSP ungeeignet: Und es ist umgekehrt unser Alleinstellungsmerkmal, dass wir unsere bibliothekarische Arbeit und Kompetenz forschungsnah gestalten. Schliesslich verträgt sich die von der AG SLSP geforderte Eigentumsabtretung mit einer «selbstständigen und unabhängigen» Institution, wie wir sie gemäss einer Umschreibung des Schweizerischen Wissenschaftsrat sind, nicht.

Wann wird entschieden, ob die Stiftung Bibliothek Werner Oechslin in die BFI-Botschaft 2025–2028 aufgenommen wird? Ende 2024. Zurzeit liegt das Gesuch beim SWR (Schweizerischer Wissenschaftsrat), der eine Empfehlung über alle eingegangenen Gesuche zuhanden des Staatssekretariats und der BIF-Vorlage abgibt, die dann Grundlage des parlamentarischen Entscheides wird. Gelingt die Aufnahme der Stiftung Bibliothek Werner Oechslin in die BFI-Botschaft, verdoppelt der Bund die Beiträge, die sich gemäss Verbundlösung auf den Kanton Schwyz (600’000 Franken), die ETH Zürich (250’000 Franken), die Hochschule Luzern (100’000 Franken), den Bezirk Einsiedeln (50’000 bis 70’000 Franken) verteilen. Haben Sie einen Plan B, falls die Aufnahme scheitern sollte? Nein, es gibt keinen Plan B. Ein Scheitern würde das Ende der öffentlichen Forschungsbibliothek bedeuten. Wir könnten dann allenfalls die Tätigkeit auf ein Minimum zum Erhalt und Schutz der Bücher reduzieren und noch eine Weile abwarten, bis der blaue Prinz doch noch auftaucht. Ich selbst, der in diesem Jahr 80 wird, würde ohnehin verschwinden, womit das grösste Hindernis für all die Neider wegfallen würde. Der Beweis wäre dann erbracht, dass derlei Projekte in der Schweiz grössten Schwierigkeiten ausgesetzt oder überhaupt nicht möglich sind. Ich könnte dann den Kulturpreis zurückgeben und notfalls auch auswandern. Doch hoffentlich tritt ein solches Schreckensszenarium nicht ein. Es wäre eine Katastrophe und ein herber Verlust für Einsiedeln und für die Schweiz. Zurück zur Baugeschichte im Klosterdorf: Ist Einsiedeln gebaut?

Ja, Einsiedeln ist gebaut – aber wie? Das Dorf war vor dem Ersten Weltkrieg drauf und dran, städtische Formen anzunehmen. Doch danach ist wie andernorts ein organisches Wachstum – durch Wirtschaftskrise nach dem Krieg und später durch eine «städtebaulich» nicht interessierte «Moderne» – abgebrochen und nie wieder aufgenommen worden. Es gab damals die Weitsicht, und es gab auch ganz konkret die offenen Räume – für eine Weile. Man war vor 1914/18 drauf und dran, dem Dorf nach damals gültigen städtebaulichen Prinzipien einen städtischen Anstrich zu verleihen. Der Plan Landenbergers aus dem Jahr 1912 bildet die-sen Zustand ab. Landenberger empfahl, das Dorf als Ganzes zu denken. Ist das gemacht worden in Einsiedeln? Landenberger empfahl, neben der grossflächigen, das Dorf beinahe verdoppelnden Benziger- Planung auch insbesondere den alten Dorfkern ins Auge zu fassen; er betonte dabei die dort vorhandenen offenen Räume, die Strassen und Plätze ins Visier zu nehmen und unterstrich deren Bedeutung für das städtebauliche Ganze. War mit der Benzigerplanung in erster Linie an Erweiterung und an das lange gar nicht eingetretene Wachstum gedacht, ging der Landenbergerplan in grundsätzlicher Weise städtebauliche Qualitäten ein, öffnete den Blick auf die bestehenden öffentlichen Räume und entwickelte daraus nicht nur städtische Architektur, sondern ein ganzes urbanes, vorerst als «Flecken» definiertes Gebilde. Wie könnte aus dem «Industriequartier » am Wänibach ein modernes Bahnhofquartier mit einem städtischen Bahnhofplatz entstehen?

Landenberger hatte erkannt, dass mit dem Bahnhof und der dort neu konzentrierten Erschliessung des Dorfes eine wesentliche Umdeutung in Gang gesetzt worden war, indem nun unten, beim alten Brückenkopf als «Gegenüber» zum oberen Dorfabschluss beim Klosterplatz, platzbildend ein neuer zentraler Bereich zur Entwicklung freigegeben war.

Sie haben einst geschrieben, dass «das Dorf im Schatten des Klosters» liege. Wieso verkümmerte vieles im Gefüge des Dorfes? Das ehemals apostrophierte «Dorf im Schatten des Klosters » steht auch längst im eigenen Schatten und muss sich daraus heraus bewegen. Es zeigt sich, dass, wo eine Bauherrschaft Verständnis und Interesse zeigt, gute architektonische Lösungen auch mitten im Dorf wie beim alten Augustiner möglich sind. Und gerade hier, «mitten im Dorf», ist architektonische Qualität besonders gefragt. Man reibt sich die Augen, wenn man sieht, was hätte entstehen können, hätte man die Bautätigkeit in den von Landenberger vorgezeigten urbanen Rahmen gestellt und städtebauliche Ziele verfolgt, statt alles wie nun mal üblich jeweils auf die einzelnen kleinen Baumassnahmen zu beschränken. Klagen nützt nichts! Diese Entwicklung stellt keineswegs das besondere Schicksal Einsiedelns dar: Es entsprach vielmehr dem, was überall geschah und geschieht und uns allüberall Probleme beschert hat. Einsiedeln teilt insofern das Schicksal sehr vieler Städte und Kleinstädte.

«Alle Häuser sind schön, hört auf sie abzureissen», lautet die Devise. Ja, das las man kürzlich auf der Titelseite einer prominenten deutschen Architekturzeitschrift. Wieso hat man im Klosterdorf viele alte Häuser abgerissen? Das entsprach modernem Mainstream! Und es hatte vornehmlich wirtschaftliche Gründe. Scheinbar lohnt es sich für die Architekten und Bauherren, alte Häuser abzureissen und durch Häuser im Betonbau zu ersetzen, die bald wieder saniert oder abgerissen werden müssen, weil die Bausubstanz nicht für eine längere Zeitdauer ausreicht.

Wie könnte der Bahnhof Einsiedeln ideal umgebaut werden?

Für eine kluge Nutzung muss der gesamte zur Verfügung stehende Perimeter und noch weit mehr die gesamte Umgebung in Betracht gezogen werden. Man muss die Verkehrsprobleme lösen: Man darf jedoch nicht die ganze,sehr grosszügig dimensionierte Fläche prioritär den Verkehrslösungen zuweisen. Der kritische Punkt befindet sich bei der Einmündung der Eisenbahnstrasse, wo das Verkehrsproblem – inklusive möglicher Tiefgaragen – gelöst werden soll, um den Hauptteil des offenen Raums als grosszügigen, für Investoren hochinteressanten Bahnhofsplatz wachsen zu las-sen. Lässt man die Postautos die Kunden unmittelbar seitlich der Bahngleise abholen, bliebe daneben der Platz vor dem Ausgang des Bahnhofs frei. Der Anschluss zum Bahnhof könnte grosszügig gestaltetet werden.

Wäre hiermit kein Raum übrig für grosse Bauten?

Grosse Bauten können anderswo in ausreichender Zahl und Ausdehnung entstehen. Und wenn endlich der von Norden herkommende und Richtung Alpthal fliessende Verkehr auf die westliche Seite des Brückenkopfes verlegt würde, was absolut notwendig ist, würde sich der Durchgangsverkehr – ähnlich wie beim Klosterplatz – sehr stark einschränken lassen. Der Bahnhofplatz könnte sich – wie in zahlreichen Fällen allerorts bekannt – als offener Platz entfalten und für Einsiedeln so viel öffentlichen Raum schaffen, was in Anbetracht des Wachstums der letzten Jahrzehnte in höchstem Masse erwünscht ist. Wie müsste der Verkehr geregelt werden?

In Einsiedeln ist die Chance gegeben, bestehenden Verkehr zu reduzieren und umzulenken und den «Flecken Einsiedeln» für die Menschen zu öffnen. Die nie wirklich erfolgte räumliche Umorientierung der Bahnhofumgebung liesse sich jetzt ins Positive wenden. Das zusammenhängende Gefüge mit Sagenplatz und Dorfplatz ist von hoher Qualität, und der Bahnhofplatz könnte in der bestehenden Kontur sehr bald zum sehr umworbenen Ort auch für bauliche Erweiterung werden. Sind Sie zuversichtlich, dass ein lebendiger Dorfkern erhalten werden kann?

Es gibt immer «ups and downs», und das fällt hier vielleicht mehr auf als in Manhattan. Doch die positiven Zeichen sind unverkennbar, gerade in der Umgebung des Bahnhofs. Die Gaststätten sind zahlreich und beliebt; die Lokalzeitung hat hier ihren Sitz. Neue Geschäfte entstehen, wie pionierhaft Schefer und Walhalla demonstrieren. Und ein kreativer Einsiedler Architekt hat gezeigt, wie man durch ein witzig aufgesetztes Vogelnest die erwünschte Überhöhung der Waldstatt erreichen kann, und dabei den alten Bau respektiert und dessen erwünschte Akzentsetzung und urbane Wirkung verstärkt.

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