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Wer Schulden hat, ist kein Einzelfall

Wer Schulden hat, ist kein Einzelfall Wer Schulden hat, ist kein Einzelfall

Neu müssen Kinder beim Erreichen der Volljährigkeit nicht mehr die Grundversicherungs-Erbschulden tilgen. Unbezahlte Krankenkassenprämien sind neben ausstehenden Steuersummen die häufigsten Schuldbeträge. Im Gespräch verraten zwei Schuldenberater, wie schnell man in die Schuldenfalle gerät.

ERIKA UNTERNÄHRER

Im Jahr 2021 haben die Schwyzer Betreibungsämter insgesamt 32’422 Zahlungsbefehle erlassen. Rein rechnerisch gesehen bedeutet das, dass jede fünfte Person im Kanton ein Betreibungsverfahren am Hals hat. Pfändungen wurden insgesamt 12’896 vollzogen, was theoretisch jede 13. Person betreffen würde. Zu beachten gilt jedoch dies: Bei diesen Zahlen handelt es sich ausschliesslich um Personen, welche offiziell Beträge schulden.

Ehrenamtliche Beratung

Wie viele Frauen und Männer im Kanton tatsächlich Schulden ha-ben respektive diese aufschieben oder womöglich gar nicht mehr aus der Schuldenfalle herauskommen, darüber lässt sich nur schwer eine Aussage tref-fen. Die Zahlungsunfähigkeit wird nicht gerne zugegeben, es beginnt das Leben auf Pump – so lange, bis es nicht mehr geht. So lange, bis der Schuldenberg so hoch ist, dass auch die Schuldenberatung keinen Plan mehr ausarbeiten kann, um der jeweiligen Person aus dem Dilemma zu helfen.

Hans Kälin aus Euthal kennt diverse derartige Fälle. Seit 18 Jahren bietet der ehemalige Betreibungsbeamte ehrenamtlich seine Dienste als Schuldenberater an. Dafür hat er sich an der Hochschule für Pädagogik und Soziale Arbeit beider Basel entsprechend weiterbilden lassen.

Meistens könne er nicht mehr viel tun, sagt er. Dies, weil viele Zahlungsrückständige zu spät Hilfe ersuchen würden. Kälin: «Von den über 50 Menschen, die ich zurzeit berate, haben viele nichts.» Und damit meint der ehemalige Betreibungsbeamte, dass bei den Schuldnerinnen und Schuldnern, die er berät, wirklich nichts zu holen ist – und dies bei offenen Beträgen von 20’000 Franken aufwärts. Kälin unterstützt seine Klientinnen und Klienten nicht nur bei der Erstellung des Schuldensanierungsplans, sondern vermittelt auch zwischen den Schuldnern und Gläubigern.

Doch: «Je nach Situation ist die Insolvenzerklärung die letzte Möglichkeit, die bleibt.» Damit werden bei den verschuldeten Personen zwar die Lohnpfändungen und Betreibungen unterbrochen, doch die Geldforderungen bleiben bestehen. Kommt der Schuldner zu Vermögen, so muss er dieses gleich wieder für das Tilgen der Schulden an die Gläubiger abgeben.

Neues Gesetz entlastet

Laut dem Bundesamt für Statistik wies 2020 fast jede siebte Person in der Schweiz mindestens eine Art von Zahlungsrückstand aus. Den grössten Teil machen dabei offene Rechnungen bei den Steuern aus, dicht gefolgt von nicht bezahlten Krankenkassenprämien. In einer repräsentativen Umfrage von 2019 gaben 20,7 Prozent an, dass sie nicht in der Lage wären, innerhalb eines Monats eine unerwartete Ausgabe von 2500 Franken tätigen zu können.

Nicht selten kommt es vor, dass sich junge Menschen – ohne etwas dafür zu können – beim Erreichen der Volljährigkeit plötzlich mit Krankenkassenschulden konfrontiert sehen. Dies, weil die Eltern die Prämien in der Vergangenheit nicht bezahlt haben. Nach jahrelanger Diskussion, diese Art von «Erbschulden » abzuschaffen, hat sich das Parlament diesen März darauf geeinigt, auf die Motion einzugehen. Zukünftig werden die Schulden für Versicherungsprämien minderjähriger Kinder also bei den Eltern verbleiben und mit der Volljährigkeit nicht mehr bei den Kindern eingefordert werden können.

Steuern nicht ins Existenzminimum einberechnet An die offizielle Schuldenberatung des Kantons werden hauptsächlich diejenigen Personen verwiesen, bei denen eine professionelle Beratung, Ausgabenübersicht und das Erstellen eines Sparplans einen realistischen Weg aus den Schulden weisen kann – und dies betreffe laut Schuldenberater Christoph Räber nur «die Spitze des Eisberges ». Räber sieht, was die Steuerschulden betrifft, insbesondere bei der Gesetzgebung ein Problem, denn: Laufende Steuern werden nicht ins Existenzminimum miteinberechnet. Um Schulden abzubezahlen, ordnet das Betreibungsamt bei arbeitstätigen Personen eine Lohnpfändung an. Vom Lohn wird ihnen also so viel abgezogen, bis das Existenzminimum erreicht ist. Während mit diesem Lohn also Schulden bei den Gläubigern abbezahlt werden, kommen zwangsläufig neue Schulden – und zwar bei der Steuer – dazu.

Wer jetzt denkt: «Dann bes-ser nicht arbeiten und so keine Schulden mehr anhäufen», liegt falsch. Erstens können so die bisherigen Schulden nicht getilgt werden und zweitens läuft man Gefahr, einen Verlustschein zu kassieren. Dieser ist 20 Jahre gültig. Kommt der Schuldner während dieser Zeit zu Vermögen, muss er es sogleich dem Gläubiger wieder abgeben – das Leben am Existenzminimum bleibt bestehen.

Überkonsum – auch für Alltagsgüter Die Antwort darauf, wie Schul-den entstehen, ist einfach und lautet: Überkonsum. Man leis-tet sich mehr, als man sich eigentlich leisten kann – und damit sind nicht einmal immer Ausgaben für Luxusgüter wie teure Immobilien, Fahrzeuge oder Mode- Accessoires gemeint. Sowohl Räber wie auch Kälin beraten Menschen, deren Schulden beispielsweise auch durch gesundheitliche – inzwischen sind dies überwiegend psychische – Probleme entstanden sind. Es folgen Arbeitsunfähigkeit und Lohnausfälle, die einem schneller einholen, als man sich darauf einstellen kann. Häufig mit Zahlungsrückständen konfrontiert sehen sich auch Paare nach einer Scheidung und Alleinerziehende. Plötzlich müssen zwei Mieten und Alimente bezahlt werden. Da wird auch schnell das Auto ein Gut, das man sich nicht mehr leisten kann, denn: Ein Fahrzeug gehört nicht ins Existenzminimum – gut oder schlecht ausgeprägtes öffentliches Verkehrsnetz hin oder her. Einberechnet ins betreibungsrechtliche Existenzminimum wird das absolut Nötigste, was es zum Leben braucht.

Dies sind: der Mietzins, die obligatorische Grundversicherung, Berufsauslagen und Alimente. Für alles andere – Körperpflege, Kleidung, Handy, Lebensmittel – bekommen im Kanton Schwyz Alleinstehende 1200 Franken, Paare bekommen 2000 Franken zum Leben.

Dass Kinder zukünftig nicht mehr für offene Krankenversicherungsprämien bis zur Volljährigkeit aufkommen müssen, dürfte viele junge Menschen, die «unschuldig» in die Schuldenfalle geraten, entlasten. Aber eben: «Schuldig sein» in Sachen Schul-den, ist bei genauerer Betrachtung ein Begriff, den man nicht immer auf alle Betroffenen gleich abwälzen kann.

Schuldenberatung Kanton Schwyz: Euthalerstrasse 22, 8844 Euthal, Telefon 055/412’38’38 info@sbs-kaelin.ch Fachstelle Schuldenberatung Kanton Schwyz, Rösslimatte 8, 8808 Pfäffikon, Telefon 055/420’28’88 info@schuldenberatung.ch

Links: Hans Kälin berät Frauen und Männer seit 18 Jahren bei Schuldenfragen. Rechts: Christoph Räber arbeitet bei der Fachstelle Schuldenberatung Kanton Schwyz.

Fotos: zvg

«Je nach Situation ist die Insolvenzerklärung die letzte Möglichkeit, die bleibt.»

Hans Kälin, ehrenamtlicher Schuldenberater

«Wer denkt, besser nicht arbeiten und keine Schulden mehr anhäufen, liegt falsch.»

Christoph Räber

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