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Im Wahn oder unschuldig in Haft?

Das Schwyzer Strafgericht spricht einen Polen von schweren Vorwürfen frei. Die Anklagebehörde interveniert.

ANJA SCHELBERT

Die Vorwürfe der Staatsanwaltschaft an die Adresse eines 36-jährigen vorbestraften Polen waren happig, die Beweislage «schwierig», wie sie im Plädoyer eingestand. Der Beschuldigte soll am 13. April 2021 in einer Innerschwyzer Gemeinde zwei Brüder – den einen mit Tötungsabsicht – verletzt haben. Er habe einen Geschädigten ohnmächtig (einfache Körperverletzung) geboxt und dem anderen sechs Schnittwunden mit einem Messer zugefügt (vorsätzliche versuchte Tötung).

Illuminati im Fokus

Diese Tat habe der Beschuldigte zuvor angedroht. Nach Beendigung einer WG mit jenem Bruder, der die Schnittverletzungen davontrug, habe der Beschuldigte dessen Sachen zurückbehalten. Die Gewaltdelikte seien «im Wahn» begangen worden, überzeugt, die geschädigten Brüder seien Mitglieder der Illuminati.

Beim Beschuldigten läge eine paranoide Schizophrenie vor, weshalb er teilweise schuldunfähig einzustufen sei. Weiter forderte die Schwyzer Staatsanwaltschaft einen Landesverweis, eine Geldstrafe und die Unterbringung in einer geschlossenen Psychiatrie.

Die Verteidigung plädierte auf Freispruch. Der Beschuldigte habe die genannten Gewaltdelikte nicht begangen, und für eine Drohung gebe es keine Beweise.

Er habe «mit Schizophrenie nie etwas am Hut» gehabt Die Sachen des einen Bruders, der während drei Monaten beim Beschuldigten wohnte, seien zwar zurückbehalten worden, allerdings nur, weil der eine Bruder dem Beschuldigten noch Geld oder zumindest den Ersatz einer kaputtgemachten Scheibe schulde.

Das sei unter Berufung auf das Retentionsrecht legitim. Weiter zweifelte die Verteidigung das psychiatrische Gutachten an, das den Polen für schizophren befand. Als Entschädigung für die zu Unrecht erfahrene Untersuchungshaft solle die-ser 66'000 Franken Genugtuung erhalten.

Die Geschädigten waren vor Gericht nicht anwesend. Anders als der Beschuldigte, der über eine Dolmetscherin äusserte: «Ich habe niemals jemandem körperliche Schmerzen zugefügt. Die ganze Geschichte ha-ben sie sich ausgedacht.» Sie, die beiden Brüder, hätten einen Komplott gegen ihn geschmiedet. Die Schnittwunden habe sich der eine Bruder selbst zugefügt; dieser sei depressiv, trinke viel und habe schon früher selbstverletzendes Verhalten aufgewiesen. Er als Beschuldigter sei gesund und habe «mit Schizophrenie nie etwas am Hut» gehabt. Jetzt muss das Schwyzer Kantonsgericht entscheiden Das Schwyzer Strafgericht sprach den 36-Jährigen für die Gewalttaten frei. Es stehe «nicht zweifelsfrei fest», ob er den einen Bruder geschlagen und den anderen mit einem Messer verletzt habe. Allerdings seien die mehrfachen Drohungen und die Sachenentziehung erwiesen. Dafür wurden neun Monate unbedingte Haft verhängt.

Weil der 36-Jährige aber bereits zwei Monate länger inhaftiert war, stünden ihm 9150 Franken Genugtuung zu. Eine psychiatrische Massnahme werde nicht verhängt, er solle aber die Medikamente weiterhin nehmen.

Mit dem Urteil war die Schwyzer Staatsanwaltschaft ganz und gar nicht einverstanden. Sie leg-te noch am Donnerstag vor Ort Berufung ein und verhinderte damit die sofortige Haftentlassung des Beschuldigten. Nun muss sich das Kantonsgericht mit dem Fall befassen.

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