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«Wie schnell sich die Weltlage ändern kann, zeigt sich in Osteuropa»

«Wie schnell sich die Weltlage ändern kann, zeigt sich in Osteuropa» «Wie schnell sich die Weltlage ändern kann, zeigt sich in Osteuropa»

Bruno Geiger ist neuer Geschäftsführer des Schweizerischen Roten Kreuzes Kanton Schwyz: «Nun kommt mit dem Krieg in Osteuropa eine komplett neue Situation ins Spiel: Zu rechnen ist dabei, dass das SRK als Unterstützung in der Betreuung von Flüchtlingen zum Einsatz kommt.»

MAGNUS LEIBUNDGUT

Wie sind Sie als neuer Geschäftsführer des Schwyzer SRK gestartet? Ein Einstieg in ein neues Arbeitsumfeld und in eine neue «Unternehmung » ohne längere Einarbeitungszeit ist immer intensiv. Wichtig für mich war vor allem, sehr schnell mit den verschiedenen Mitarbeitenden und Freiwilligen in Kontakt zu kommen. Vor allem bei den Freiwilligen wird das noch etwas Zeit brauchen. Sehr erfreulich ist für mich die positive, dynamische und hilfsbereite Stimmung im Team. Welche Ziele stecken Sie sich als Leiter der Geschäftsstelle? Der Kantonalverband des SRK Schwyz ist in Schwyz, Siebnen und Küssnacht mit Büros und Beratungsstellen präsent. Die Pflege und Weiterentwicklung der Kontakte zu unseren verschiedenen Kunden ist ein Ziel. Dazu gehören neben Familien und Einzelpersonen auch Partnerorganisationen (wie Pro Senectute und Spitex), Ärzte, Spitäler, Alters- und Pflegeinstitutionen, Unternehmen, Gewerbe sowie Schulen, Gemeinden und kantonale Stellen. Ein zweites ist, unsere Dienstleistungen akkurat und zu angemessenen, sozial verträglichen Preisen anzubieten. Hinzu kommt, Entwicklungen und Neuerungen einzuflechten und auf diese Weise die ganz unterschiedlichen Bedürfnisse unserer Kunden in den verschiedenen Kantonsteilen abzudecken.

Welches sind die grössten Herausforderungen, die sich dem Roten Kreuz heutzutage stellen?

Einerseits steigen die Anforderungen an die Qualität unserer Dienstleistungen und somit an die Kompetenzen unserer Mitarbeitenden und Freiwilligen. Andererseits ist die Hilfs- und Spendenbereitschaft Schwankungen unterzogen, was die mittelfristige Ressourcenplanung anspruchsvoll macht. In welche Richtung soll sich der Kantonalverband entwickeln? Wir möchten unseren Bekanntheitsgrad bei Familien stärken, da wir diverse Angebote für junge Familien sowie Kinder und Jugendliche bieten. Zudem ist die Zusammenarbeit mit Schulen, Gemeinden und den Partnern der Schwyzer Loyalitätscharta wichtig. Wie werden sich die verschiedenen Dienstleistungen entwickeln?

Dies hängt von den nachgefragten Dienstleistungen und den Entwicklungen in der Bevölkerung ab. Wichtig für mich ist ein einfacher Zugang, faire Preise sowie die flexible und menschenorientierte Erbringung der Dienstleistungen. Wir wollen bedürftigen Menschen auch weiterhin Zeit und Freude schenken können. Wie vorher erwähnt, wollen wir den ganzen Lebenszyklus unterstützen; vom Babysitterkurs bis zu Palliative Care bieten wir Kurse, Lehrgänge, Beratungen und Dienstleistungen an – das wollen wir auch in Zukunft tun. Wir sind für mehrere Generationen ein verlässlicher Partner. Welche Rolle spielt die Digitalisierung beim Schwyzer SRK? In der Geschäftsstelle in Bern wie auch in den Kantonalverbänden laufen viele Projekte und Aktivitäten in diese Richtung. Die Kunst in der Digitalisierung ist gerade bei uns, sich auf die relevanten Prozesse und Schritte zu konzentrieren und gewisse analoge Arbeiten auch weiterlaufen zu lassen. Es muss nicht alles digital laufen – viele unserer Kunden zahlen noch immer gerne mit Bargeld und wollen eine einfach Quittung. Moderne Tools könnten vieles vereinfachen, gleichzeitig aber Freiwillige sowie Kunden überfordern.

Wieso hat die Freiwilligenarbeit in unserer Gesellschaft zunehmend einen schweren Stand? Die Aus- und Belastung durch die Arbeit steigt, die Bereitschaft, im Milizsystem oder in der Freiwilligenarbeit verlässlich Zeit einzusetzen sinkt. Es ist einfacher, volle Flexibilität zu haben und sich in der privaten Zeit nicht auch noch an Termine halten zu müssen. Wie finden Sie ausreichend Freiwillige und Sponsoren in diesen turbulenten Zeiten? Wir versuchen auch da, neben traditioneller Kontaktaufnahme via Mailings den persönlichen Kontakt im Alltag zu suchen beziehungsweise zu verstärken, unsere Kundinnen und Kunden offen anzusprechen und via unsere Leistungen Gründe und Argumente für Mithilfe zu liefern. In den letzten zwei Jahren war dies wegen den vielen Kontaktbeschränkungen nur sehr eingeschränkt möglich.

Werden sich die Formen der Zusammenarbeit mit den Freiwilligen zukünftig verändern? Flexibilität, Digitalisierung und Offenheit sind gefragt. Wir werden mehr Wechsel haben und diese optimal einplanen müssen. Moderne Hilfsmittel werden uns hier sicher nach und nach helfen. Einsamkeit wird ein vorherrschendes Problem in unserer Gesellschaft: Welche Gründe liegen vor, dass immer mehr Menschen einsam sind? Selten lebt eine Familie noch zusammen. Das Interesse für Mitmenschen ist in gewissen Bereichen für mein Empfinden am Schwinden und Desinteresse in Bezug auf andere Menschen steigt. So können im selben Mehrfamilienhaus Menschen eigentlich eng zusammenleben, haben aber keine Ahnung, wie es den anderen geht. Wirklicher beziehungsweise künstlicher Druck und Stress und eben die Pandemie haben nicht gerade geholfen. Hinzu kommt grosser Kostendruck in allen Unternehmen und Institutionen der Pflege, Betreuung und Beratung. So bleibt oft keine Zeit, sich um die wahren menschlichen Anliegen zu kümmern – und genau hier wollen wir unbedingt weiter Hilfe leisten. Welchen Stellenraum nimmt die Bewältigung der Einsamkeit in Ihrer Arbeit ein? Einerseits muss ich meine Arbeitszeit clever einteilen, damit auch ich Ruhe- und Freizeit habe. Andererseits lege ich gerade in diesem Jahr wieder grossen Wert auf persönliche Kontakte und motiviere meine Mitarbeitenden und Freiwilligen, nicht «nur» E-Mails zu schreiben, sondern auch anzurufen und persönliche Treffen zu vereinbaren – auch spontan. Bezüglich des SRK ist Einsamkeit ein Thema, das im Besuchs- und Begleitdienst sowie in der Kinderbetreuung zum Ausdruck kommt.

Wieso ist Ergotherapie besonders wichtig in der Arbeit des Schwyzer SRK? In Schwyz gab es viele Jahre ein Ergotherapieangebot im Spital in Schwyz. Aufgrund diverser Schwierigkeiten wurde dieses Angebot aufgelöst. Die Nachfrage ist aber gross. Deshalb hat sich das SRK Schwyz entschieden, wieder ein neues Ergotherapiezentrum im Acherhof in Schwyz zu eröffnen und die Zusammenarbeit mit anderen Praxen und dem Spital aufzunehmen. Das neue Zentrum bietet schwerpunktmässig Neuro-Ergotherapie an. So entsteht in Schwyz eine neue Ergotherapielandschaft, die neben Behandlungen im Zentrum auch Hausbesuche mehrere Disziplinen umfasst.

Wird der Fahrdienst innerhalb der Dienstleistungen des Roten Kreuzes immer wichtiger? Der Fahrdienst war, ist und bleibt ein bekannter, geschätzter und gut nachgefragter Dienst. Wir werden alles daran setzen, auch in Zukunft umsichtige Fahrer im ganzen Kanton einsetzen zu können. Neben der Zusammenarbeit mit Rollmobil im äusseren Kantonsteil streben wir weitere Kooperationen an, um noch bes-ser auf Anfragen für Rollstuhltransporte reagieren zu können. Ist die SRK-Filiale in Einsiedeln geschlossen worden, weil sich kaum mehr Laufkundschaft im Klosterdorf eingefunden hat? Ja, diese war ein Grund – telefonisch sind wir ja immer erreichbar. Zudem waren wir mit dem Büro «alleine». Wie das Beispiel in Küssnacht zeigt, wäre ein Beratungszentrum oder Alterstreffpunkt in Zusammenarbeit mit Gemeinde und Chartapartnern kostengünstiger und die Attraktivität für Kunden, an diesem Treffpunkt eben viele Informationen und Beratung bekommen zu können, wesentlich grösser.

Wie hat sich die Corona-Pandemie auf die Arbeit des Roten Kreuzes ausgewirkt? Wir haben zeigen können, dass – auch wenn wir selber von den Einschränkungen betroffen waren – wir unsere Leistungen zu Gunsten der Bedürftigen konsequent haben weiterführen können. Beratungen, Hausbesuche oder Kinderbetreuung waren aber schwierig, die Durchführung von Kursen und Lehrgängen eingeschränkt, teilweise gar nicht möglich. Unsere Freiwilligen, wie auch unsere Mitarbeitenden, haben in dieser Zeit einen fantastischen Job gemacht. Halten Sie es für möglich, dass das Rote Kreuz wieder einmal in kriegerischen Auseinandersetzungen zum Einsatz kommt? Im Ausland ist das SRK nie in kriegerischen Einsätzen. Diese werden vom IKRK geleistet. Die Herausforderung für Einsätze in einer solchen Ausnahmesituation ist, dass wir für unsere aktuellen Dienstleistungen mobil sein müssten. Im Krieg sind aber weder die Strassen frei, noch Treibstoff frei zugänglich (weil meist rationiert). Somit würden wir im Kanton dann neben Blaulichtorganisationen, Armee und Zivilschutz für ergänzende Hilfeleistungen eingesetzt werden. Wie schnell sich die Weltlage ändern kann und wie aktuell gerade diese Frage ist, zeigt sich ja leider gerade in Osteuropa. Wäre das Rote Kreuz gerüstet für einen Kriegsausbruch? Dies ist eine gute, aber auch sehr schwierig zu beantwortende Frage. Wie vorher erläutert, würde das SRK nicht alleine und an vorderster Front, sondern im Auftrag der regionalen beziehungsweise kantonalen Führungsstäbe, zusammen mit weiteren Hilfsorganisationen, eingesetzt werden. Je nach Auftrags- und Gefahrenlage bin ich aber überzeugt, dass unsere Organisation einen Beitrag leisten kann. Ist das SRK gewappnet für einen Ansturm von Flüchtlingen aus der Ukraine? In vielen Kantonen engagiert sich das Rote Kreuz bereits in der Flüchtlingshilfe, in der Integration von Asylbewerbern und im Göttidienst. Im Kanton Schwyz ist das nicht der Fall. Einerseits gab es bisher keinen akuten Bedarf und andererseits ha-ben wir nicht genügend Ressourcen. Nun kommt mit dem Krieg in Osteuropa eine komplett neue Situation ins Spiel: Zu rechnen ist dabei, dass das SRK als Unterstützung in der Betreuung von Flüchtlingen zum Einsatz kommt. Auch für diese Dienste ist das Rote Kreuz auf Freiwillige angewiesen, die uns bei die-ser Arbeit unterstützen.

Wie sind Sie selber beim Roten Kreuz gelandet? Auf der Suche nach einer neuen Herausforderung, bei der die «Sinnhaftigkeit meines Tuns» einen ziemlich hohen Stellenwert hatte, bin ich auf diese spannende Aufgabe gestossen und freue mich nun sehr, für den Kantonalverband Schwyz des SRK tätig zu sein.

Bruno Geiger, Geschäftsführer des Schwyzer SRK: «Wir müssen für Einsätze in einem Krieg mobil sein. Im Krieg sind aber weder die Strassen frei, noch Treibstoff zugänglich.

Foto: zvg

«Wir möchten unseren Bekanntheitsgrad bei Familien stärken.» «Die Aus- und Belastung durch die Arbeit steigt in unserer Gesellschaft.» «Das Interesse für Mitmenschen ist am Schwinden. Selten lebt eine Familie noch zusammen.» «Ein grosser Kostendruck herrscht in allen Institutionen der Pflege, Beratung und Betreuung.» «Im Ausland ist das Schweizerische Rote Kreuz nie in kriegerischen Einsätzen.» «In vielen Kantonen engagiert sich das Rote Kreuz bereits in der Flüchtlingshilfe.»

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