Veröffentlicht am

«Mit Strassenbau lässt sich Stau nicht bekämpfen»

«Mit Strassenbau lässt sich  Stau nicht bekämpfen» «Mit Strassenbau lässt sich  Stau nicht bekämpfen»

Immer wieder kommt es im Winter im Raum Einsiedeln zu kilometerlangen Staus, wenn Skifahrer mit dem Auto in das Klosterdorf oder ins Ybrig fahren. Gunnar Heipp, Professor für Verkehrsplanung an der Ostschweizer Fachhochschule, erklärt, wie es zum Flaschenhals kommt.

MAGNUS LEIBUNDGUT

Wie würden Sie die Situation von Einsiedeln aus verkehrstechnischer Sicht beschreiben? Bezüglich der Strassen-Infrastruktur ist der Raum Einsiedeln bestens ausgerüstet. Auch in Sachen öffentlicher Verkehr ist das Klosterdorf hervorragend angeschlossen. Zu Stausituationen kommt es im Winter an Wochenenden während Spitzenzeiten, wenn bei guten Wetterbedingungen Massen von Touristen nach Einsiedeln und weiter ins Ybrig strömen. Strassen und Züge sind dann überlastet, die Kapazitäten müssten erhöht werden. Müssten also Strassen ausgebaut und die Frequenzen beim öV erhöht werden? In der Tat müsste beim öV die Kapazität erhöht werden – zum Beispiel in Form von längeren Zügen. Auch ein direkter Zug von Zürich und dem weiteren Einzugsbereich der Tourismusdestination Einsiedeln ohne Umsteigen in Wädenswil würde sicher mehr Menschen auf den öV brin-gen können. Bezüglich eines Ausbaus des Strassennetzes gilt es festzuhalten: Mit Strassenbau lässt sich Stau nicht bekämpfen. Braucht es wirklich noch eine weitere Strasse, einen Parkplatz mehr? Längst hat sich die Erkenntnis durchgesetzt: Neue Strassen ziehen nur weiteren Autoverkehr an. Bis es auch auf den neuen Strassen wieder zu Stau kommt. Zumal es hier um wenige Spitzenstunden im Jahr geht, für die man gut überlegen sollte, wo man das öffentliche Geld nachhaltig und wirksam anlegt.

Die verkehrstechnische Gesamtlage von Einsiedeln ist nicht ideal. Hätte man die Verkehrsplanung schon früher von Grund auf anders gestalten sollen?

Die geografische Lage von Einsiedeln ist speziell und verfügt gerade deshalb über viel Charme. Welche Region befindet sich schon in einem Hochtal, das von drei Seiten von Natur umgeben ist? Die Lage von Einsiedeln hat viel Qualität. Mit dem Raum hat man zu leben, schliesslich umgeben Pässe (Etzel, Ibergeregg, Sattelegg) das Klosterdorf: Da lässt sich kaum einfach so eine andere Verkehrsplanung gestalten. Der Preis dafür ist eine Lage seitlich der grossen Verkehrswege, die aber landschaftlich vorteilhaft ist. Wie kann der Flaschenhals in Einsiedeln gelöst werden?

Für den geografischen Flaschenhals an sich gibt es keine Alter-native. Hingegen wäre denkbar, dass man mittels Preisgestaltung und touristischem Destinationsmanagment Einfluss auf den Verkehrsfluss nimmt: Dadurch liesse sich eine bessere zeitliche Verteilung des Verkehrs im Verlaufe des Tages steuern. Indem etwa Liftund Loipen-Tickets vor neun Uhr günstiger verkauft werden, auf dass nicht alle just nach neun Uhr am Zielort eintreffen. Womöglich liesse sich mit zusätzlichen Skiund Shuttlebussen ab dem Dorf etwas Entspannung an den Parkplätzen in den Tälern erreichen. Zu guter Letzt könnten neue Angebote Abhilfe schaffen, in denen ein neues Geniessen im Vordergrund stehen würde: Früher sind Urlauber für einige Tage nach Einsiedeln gekommen. Heutzutage kommen fast nur noch Tagestouristen und -ausflügler. Der Tourismus in Einsiedeln könnte sich neu positionieren, indem die Möglichkeit einer oder zweier günstiger Übernachtungen geschaffen würde, eine Art Bed and Break-fast. Dann steckt der Tourist nicht im Stau, sondern erlebt den Tag im Klosterdorf. Und die Wertschöpfung am Ort steigt.

Wäre denkbar, dass man den Autoverkehr in Biberbrugg stoppt und dort einen grossen Parkplatz einrichtet? Dann müsste man aber einen sehr grossen Parkplatz in Biberbrugg bauen (lacht) – und ein entsprechendes Park-& -Ride-Angebot in Bennau. Das Problem des Staus lässt sich allerdings so nicht lösen, sondern höchstens verschieben: Es gibt dann einfach einen grossen Stau vor und nach Schindellegi. Zentral ist mehr und direkterer öV und die zeitliche Entzerrung der Anreise.

Gibt es denn aus verkehrsplanerischer Sicht überhaupt Alternativen zum Stauverkehr im Gebiet des Bezirks? Zielführend wäre es sicher, wenn der Bezirk Einsiedeln als Ganzes aktiv würde. Verkehrsprobleme im weiteren Sinne angehen kann nur der Bezirk in Zusammenarbeit mit den Kantonen. Wichtig wäre es, mit den Unternehmen und weiteren Akteuren ein gesamthaftes Mobilitätsmanagement zu entwickeln, in dem Beschäftigte, Touristen und Einwohner alle berücksichtigt würden. Kennen Sie Beispiele, in denen Lösungen gelungen sind, die mit Einsiedeln im Ortskern vergleichbar wären? Braunwald oder Gstaad sind autofrei, aber deren Lage lässt sich kaum mit Einsiedeln vergleichen. Im Oberengadin, zum Beispiel in Pontresina, sind Lösungen gelungen. Ebenso im Oberallgäu: Dort sogar über die Landesgrenze hinaus in Richtung Österreich. Zahlreiche kleinere Städte in der Schweiz haben vor allem den öffentlichen Raum im Zentrum aufgewertet und den Fuss- und Veloverkehr ins Zentrum gestellt. Baden zählt zu einem guten Beispiel, wo Verkehrsprobleme haben gelöst werden können, indem auch der Langsamverkehr integriert wurde. Es braucht für eine Verkehrslösung einen politischen Willen – und Programme, wie man das Problem angehen möchte.

Zizers will den Durchgangsverkehr stoppen. Die Gemeinde Zizers hat genug vom sonntäglichen Heimkehr-Verkehr der Unterländer und hat ein Gesuch um eine temporäre Sperrung der Kantonsstrasse eingereicht. Wäre derlei auch in Einsiedeln vorstellbar?

Diese Gemeinde gibt damit ein deutliches Zeichen ab, dass ihr die Lebensqualität der Ortschaft am Herzen liegt. Sobald es sich um eine Kantonsstrasse handelt, werden die Dinge naturgemäss kompliziert, da eben der Kanton und nicht (primär) die Gemeinde zuständig ist. Man muss dann verhandeln. Der Spielraum einer Ortschaft ist grösser, wenn es sich um eine temporäre Sperrung einer Gemeindestrasse handelt. Zizers lässt sich von der Lage her kaum mit Einsiedeln vergleichen: Um das Klosterdorf führt ja keine Autobahn, auf die sich der Durchgangsverkehr ableiten liesse. Aber: Einsiedeln könnte für den Binnenverkehr und die Lebensqualität die Hauptachse zwischen Bahnhof und Kloster durchaus aufwerten und dem Autoverkehr dort weniger Raum einräumen. Mit dem Ziel, dort für Einheimische und Touristen mehr Platz zum Laufen, Treffen, Geniessen, für die Gastronomie einzuräumen und den historischen Ortskern zu verschönern.

Eine andere verkehrstechnische Erschliessung ist wohl illusorisch?

Es gibt mit Bestimmtheit nicht die eine Lösung, die alle Verkehrsprobleme von Einsiedeln im Nu verschwinden lässt. Vielmehr sollte man alles in Betracht ziehen, was zu einer Verbesserung der Situation beitragen mag. Schliesslich dürften viele kleine Puzzleteile zusammen ein Gesamtbild ergeben, das einer Lösung nahekommt. Hinzu kommt, dass Einsiedeln allein das Problem ohnehin nicht lösen kann: Der Bezirk kann nur kleinräumig Veränderungen selbstständig in Aussicht stellen. Verkehrsprobleme sind allerdings in der Regel grossräumig gelagert: Einsiedeln kommt nicht umhin, die Probleme über Bezirks- und Kantonsgrenzen hinweg in Angriff zu nehmen. Gerade die touristischen Gäste kommen teils von weit her. Es braucht also sinnvollerweise ein Gesamtkonzept Tourismus und Mobilität. Anders gefragt: Ist ein Stau für die Autofahrer zumutbar? Touristen, die Skifahren gehen, stehen naturgemäss auch an den Skiliften im Stau: Für sie gehört der Stau gewissermassen zum Erlebnis des Tagesausflugs, zum Programm dazu (lacht). Der Leidensdruck der Autofahrer durch Stau hält sich vermutlich teils in Grenzen. Aber viele Autofahrer würden den öV nutzen, wenn mehr direkte Verbindungen, ausreichend Sitzplätze und Kombiangebote mit Skimiete vorhanden wären. Allerdings ist damit noch nichts gesagt über die Verminderung der Lebensqualität der Bewohner in Einsiedeln, die am Rande des Staus unter den Autokolonnen leiden.

Liesse sich mit Mobility Pricing eine Kanalisierung des Autoverkehrs umsetzen? Mobility Pricing lokal gedacht würde nur zu einer «Mautstelle », einer (zeitlich auf einzelne Wochentage begrenzten) Mautstrasse Richtung Ybrig führen, was technisch vorstellbar, aber politisch zu diskutieren wäre. Mobility Pricing in der Schweiz macht nur grossräumig umgesetzt Sinn und hat dann ja brei-te Ziele – eben öV und motorisierten Individualverkehr. Das ist keine Massnahme für lokale Bedürfnisse. Carpooling wäre eine gute Sache, auf dass weniger Einzelpersonen in den Autos fahren. Aber das muss bereits beim Marketing für den Wochenendausflug mitgedacht werden. Das kann man nicht als Verkehrsplaner verordnen. Was erwarten Sie von der politischen Seite, wie die Verkehrsprobleme in Einsiedeln angegangen werden können? Verkehrsprobleme gehören mitunter zu den komplexesten Problemen, da es hier um die Summe der Entscheidungen vieler Verkehrsteilnehmer geht. Sinnvollerweise sollte man eine fundierte Analyse der Lage in Form einer Studie erarbeiten, um ein Bild mit allen Fakten gemeinsam mit allen Beteiligten zu diskutieren. Von der Politik erwarten wir uns alle eine ganzheitliche Betrachtungsweise, eine Vision, wie der Lebensraum insgesamt gestaltet werden kann – und da ist der Verkehr ein Thema. Ein Blick vor die eigene Haustüre kann hier Wunder wirken: Durch das Klosterdorf führt die stark befahrene Hauptstrasse. Eine verkehrsfreie Strasse durch den Ortskern könnte eine Flaniermeile par excellence zum Geniessen schaffen. Die Einsiedler könnten noch besser zeigen, welch schöne Bauten sich im Klosterdorf verbergen. Überdies könnte eine autofreie Hauptstrasse zusätzlich Tagestouristen ins Klosterdorf locken – die erst noch in den Geschäften dieser Strasse einkaufen würden.

«Der Tourismus in Einsiedeln könnte sich mit neuen Angeboten neu positionieren.» «Zielführend wäre es, wenn der Bezirk Einsiedeln als Ganzes aktiv werden würde.» «Von der Politik erwarten wir eine Vision, wie der Lebensraum gestaltet werden kann.» «Eine verkehrsfreie Hauptstrasse könnte eine Flaniermeile zum Geniessen schaffen.» «Die Einsiedler könnten zeigen, welch schöne Bauten sich im Klosterdorf verbergen.» «Eine autofreie Hauptstrasse könnte Tagestouristen ins Klosterdorf locken.»

Heimkehr-Verkehr von Unterländern – Skisportler kehren vom Ybrig heim ins Züribiet: An einem Sonntagabend staut sich eine Autokolonne weit über Gross hinaus.

Foto: Wädi Kälin

Gunnar Heipp,Professor fürVerkehrsplanung an der Ostschweizer Fachhochschule: «Es braucht für eine Verkehrslösung einen politischen Willen – und Programme,wie man das Problem angehen möchte.» Foto: zvg

Share
LATEST NEWS