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«Der Markt für heimische Produkte ist da – ebenso das Geld»

«Der Markt für heimische  Produkte ist da – ebenso das Geld» «Der Markt für heimische  Produkte ist da – ebenso das Geld»

Dominik Flammer erforscht im Auftrag des Kantons die Schwyzer Ernährung. Gastronomie und Landwirtschaft sollen davon profitieren.

CHRISTOPH CLAVADETSCHER

Sie sind Ernährungsforscher. Das muss ein Traumjob sein.

Ich kam dazu wie die Jungfrau zum Kinde. Ich bin Ökonom, habe mich mit Wirtschaftsgeschichte beschäftigt und dann gemerkt, dass mich Ernährungsgeschichte am meisten interessiert. Dies, weil sich unsere Vorfahren bis vor drei Generationen zu 90 Prozent ihrer Zeit mit Ernährung beschäftigt haben. Mit dem Anbau, der Ernte, dem Konservieren, der Suche nach neuen Nahrungsmitteln, aber auchmitdemHungern– sie waren eigentlich immer daran, ihre Nahrung zu sichern. So bin ich beim Forschen in die Geschichte der Kulinarik der Alpen reingerutscht. Und ja, es ist ein Traumjob. Es ist mein Leben. Forschen und schreiben Sie nur übers Essen, oder kochen Sie auch? Wenn ich zu Hause bin, koche ausnahmslos ich. Meine Frau kann zwar kochen, aber ich entdecke so viele neue Sachen und möchte so vieles ausprobieren, dass sie kaum dazu kommt. Im Auftrag des Kantons erforschen Sie die Schwyzer Ernährung. Um was geht es bei diesem Projekt?

Wir möchten die Vielfalt der Schwyzer Ernährung und Produkte aufzeigen. Köche, Gastronomie, Hotellerie, Bauern und allgemein Produzenten sollen näher zusammengebracht werden. Wir möchten der Gastronomie zeigen, welche Werte sie vor der Haustüre hat, indem wir das Profil der heimischen Ernährung schärfen.

Funktioniert das?

Ja. Wir haben das gleiche in Nidwalden mit dem Culinarium Alpinum gemacht. Das ist das Kompetenzzentrum für Regionalkulinarik im Alpenraum. Dort werden Innovation in der Landwirtschaft und die Zusammenarbeit aller an der Wertschöpfungskette Beteiligten gefördert. Mit grossem Erfolg. Das muss doch auch in Schwyz möglich sein.

Was ist das konkrete Ziel im Kanton Schwyz? Wir hoffen, dass wir 40 bis 50 Gastronominnen und Gastronomen davon überzeugen können, mit Regionalität ein gewisses Profil in ihren Betrieb reinzubringen, indem sie auf Produzenten und Direktvermarktung vor der Haustüre setzen. Das muss ja nicht radikal sein, doch schön wäre, wenn sie ein paar Spezialitäten auf der Karte hätten, die wirklich spannend sind. Auch im Ausland wollen wir als Touristen lokale Spezialitäten probieren. Wieso wird in Schwyz denn nicht schon längst aufs Lokale gesetzt? Das ist kein Schwyzer, sondern ein Schweizer Problem. Die Schweiz war das erste kulinarisch globalisierte Land der Welt. Der Tourismus, die Hotellerie, die vor 150 Jahren entstanden sind, führten dazu, dass wir bereits damals eine internationale Küche auf Topniveau hatten. Der Einfluss der französischen Küche war und ist gross. Und wir hatten grossen Erfolg damit. Dadurch haben wir ein bisschen vergessen, dass es vor unserer Haustüre viele spannende Spezialitäten gibt. Wieso denken wir, unsere Gäste möchten hier Panna Cotta oder Carpaccio essen? Touristen sind heute anspruchsvoll, sie erwarten regionale Spezialitäten, insbesondere auch Binnentouristen. Ich bin enttäuscht, wenn ich in Schwyz rumlaufe und mir nur Fondueund Cordon-bleu-Plausch angeboten werden.

Die kleinen abgepackten Konfi- Portionen auf dem Zmorgebuffet müssen für Sie Horror sein. Ja, das ist ganz schlimm. Wenn das Geld ein Killerkriterium für regionale Spezialitäten auf dem Frühstücksbuffet ist, dann verachten Hoteliers den Gast. Klar kostet ein regionales Frühstück vielleicht pro Gast anstatt drei bis vier Franken acht oder zehn Franken. Doch wenn bei einem Zimmerpreis von 180 Franken nur zwei Prozent ins Frühstück fliessen, fühle ich mich nicht ernstgenommen. Was gehört denn auf ein regionales Frühstücksbuffet? Guter Schwyzer Käse, Honig vom nächstmöglichen Imker, Konfi vom Bauernhof, Brot vom Dorfbäcker. Weiter will ich wissen, woher die Eier kommen. Sicher keine ausländischen Batterieeier. Und wieso nicht Trinkschoggi vom Felchlin? Hier gibt es den besten Couverturenhersteller von Europa. Käse und Schoggi gehören zu den wichtigsten Schweizer Klischees, ausländische Touristen wären begeistert, würden sie so eine Trink-Schoggi bekommen. Die Branche buhlt um Gäste mit super Wellness-Angeboten und ausgefallenen Aktionen, doch dass der moderne Reisende die Kulinarik sehr hoch gewichtet, ist vielerorts noch nicht angekommen. Der Gast will regionale Spezialitäten entdecken. Wie gehen Sie beim aktuellen Projekt konkret vor? Zuerst besuchen mein Team und ich alle Märkte, an denen Schwyzer Produzenten teilnehmen. Schauen, was es alles gibt, knüpfen Kontakte und besuchen die Bauern und Produzenten. Dann reden wir mit Experten. Zum Beispiel mit Personen, die sich speziell gut mit Rinderzucht, Fischerei oder Schwyzer Honig auskennen. Ein grosser Teil ist auch Archiv- und Literaturrecherche. Wir sammeln alles, was über die Schwyzer Ernährung geschrieben wurde. Auch Bilder, Postkarten und alte Familienrezepte helfen uns weiter, da sind wir immer froh um Hilfe aus der Bevölkerung.

Haben Sie schon eine Trouvaille entdeckt?

Oh ja, der Traumfund ist ein Kochbuch der Ingenbohler Schwestern von 1897. Das ist in keinem Archiv auffindbar, ich habe es per Zufall in einer Auktion entdeckt. Da hat es ein Rezept für einen Birnenquittenhonig drin. Das ist erstaunlich, weil es eine Schwyzer Eigenheit ist. Im Nidund Obwaldnerischen wurde immer nur ein reiner Birnenhonig, also ein Birnendicksaft gemacht. In Schwyz wurde immer noch ein Drittel Quitten beigesetzt. Dieses Produkt kann als Schwyzer Spezialität vermarktet werden. Vor allem, weil eine Geschichte dazu erzählt werden kann.

Es geht also auch um Marketing. Wie wichtig sind solche Geschichten? Wir möchten das Bewusstsein stärken, dass die Schwyzer Landwirtschaft und Gastronomie etwas zu erzählen hat. Man muss gar nicht weit studieren. Nehmen wir den Härdöpfelstock. Früher hatte jede Region eine eigene Bezeichnung dafür. Heute heisst er überall Härdöpfelstock – ausser in Schwyz ist es der Gumelistunggis. Das Bewusstsein für diese eigene Variante eines gesamtschweizerischen Gerichts ist wichtig und soll vermarktet werden. Wieso nicht Hafechabis mit Gumelistunggis auf die Karte nehmen? Wieso nicht den Hafechabis als Variante auch mit Rindfleisch, im Idealfall vom Schwyzer Original Braunvieh, anbieten? Und die Geschichten dazu erzählen. Was wäre hier die Geschichte?

Die Überlieferung sagt, dass am Hof Gummi am Rossberg die ersten Kartoffeln im Kanton Schwyz angebaut wurden. Darum heissts Gumel. Der Hof wurde später Opfer des Bergsturzes – noch eine Geschichte. Dazu ein kurzer Hinweis auf das Schwyzer Braunvieh, das von hier aus die ganze Welt erobert hat. Vielleicht noch ein historisches Bild eines Kartoffelackers auf der Menükarte. Mehr braucht es nicht, und der Gast ist fasziniert. Können in der kleinräumigen Schweiz überhaupt kulinarischkulturelle Kantonsgrenzen gezogen werden?

Nein, und das soll man auch nicht. In Schwyz können auch Urner Gerichte oder Glarner Produkte auf der Karte stehen. Für uns als Gast in Genf spielt es auch keine Rolle, ob wir einen Käse aus Genf oder aus dem nahen Jura bekommen. Die Zürcher Gastronomen haben das übrigens erkannt und kaufen alle Weissfische der Schwyzer Zürichseefischer zusammen – und haben Erfolg damit. Mit «Das kulinarische Erbe der Alpen» haben Sie ein bedeutendes und länderübergreifendes Standardwerk über die Esskultur in den Alpen geschaffen. Müssen wir uns um unser kulinarisches Erbe sorgen? Nein, müssen wir nicht. Wir müssen es aber kennen und ihm Sorge tragen. Es gibt genügend innovative Bäuerinnen und Bauern, die etwas wagen und dafür belohnt werden. Auch in Schwyz wird beispielsweise vermehrt altes Getreide angebaut, die Nachfrage ist da enorm. Der Markt für heimische Produkte ist da, ebenso das Geld beim Konsumenten. Im Marketing gäbe es aber sicher noch Potenzial. Direktvermarktung haben mittlerweile viele erkannt, dieser Bereich ist aber auch noch nicht ausgeschöpft. Und man muss sich mit der Gastronomie austauschen, um zu wissen, was man für die Restaurants anbauen soll, da kann noch viel passieren.

Machen Sie sich um kein Schwyzer Produkt Sorgen? Doch, um den Käse. Der Schwyzer Käse war noch vor 200 Jahren eine Spezialität wie der Emmentaler oder der Greyerzer. Das ist er nicht mehr. Klar, der Muotathaler Alpkäse ist gut, aber er deckt nur etwa ein Prozent des Marktes ab. Sonst werden im Kanton aber leider fast nur noch industrielle Pastmilch-Käse hergestellt. Schwyz hat auf der Käselandkarte der Schweiz an Bedeutung verloren. Es wäre wahnsinnig gut, wenn wieder zwei, drei handwerklich gute Molkereien das Zepter übernehmen würden. Denn jeder innovative Produzent, der etwas Spannendes macht, ist erfolgreich. Ein Beispiel: In Graubünden gibt es einen Bauern, der 60 alte Kartoffelsorten anbaut. Sein Vater hat ihn ausgelacht, er verkaufte früher 80 Tonnen zu 30 Rappen das Kilo. Der Sohn verkauft heute 80 Tonnen zu 3 bis 12 Franken das Kilo. Klar kann das nicht jeder machen, doch die Nachfrage für solche Nischenprodukte ist da.

Zur Person

cc. Dominik Flammer ist Ökonom und Ernährungsforscher, er beschäftigt sich seit dreissig Jahren mit der Geschichte der Kulinarik im Alpenraum. Er ist Initiant des Kompetenzzentrums «Culinarium Alpinum» für alpine Regionalkulinarik in Stans und Autor zahlreicher Bücher zur Ernährungsgeschichte, wie beispielsweise «Das kulinarische Erbe der Alpen». Dominik Flammer ist in St.Gallen aufgewachsen, lebte zwölf Jahre in Vitznau und wohnt heute in Zürich.

Dominik Flammer, Ökonom und Essensforscher, ist zurzeit intensiv im Kanton Schwyz am Forschen.

Foto: zvg

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