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«Reiten hat mit Gefühl zu tun»

«Reiten hat mit Gefühl zu tun» «Reiten hat mit Gefühl zu tun»

Interview mit der 22-jährigen Nachwuchsspringreiterin Georgina Leimer

Georgina Leimer ist eine der grossen Schweizer Nachwuchshoffnungen im Reiten. Seit einem Jahr gehört die Springreiterin dem Espoirs-Kader an. Die 22-Jährige liebt Einsiedeln und verbringt hier viel Zeit. Wir haben sie im Marstall des Klosters zum Interview getroffen.

WOLFGANG HOLZ

Hallo Frau Leimer, was sagen Sie zu den Pferden hier im Marstall, die gerade von Kindern gestriegelt werden? Es ist schön zu sehen, wie die Pferde hier im Marstall so natürlich gehalten werden. Das Kloster hat ja eine lange Tradition mit Pferden. Das passt einfach gut so – das Bild hier mit den Kindern und den Pferden. Sie bereiten die Pferde wohl gerade vor, gehen anschliessend in die Halle zur Reitstunde oder zum Ausreiten an diesem idyllischen Ort. Oder sie bringen sie zurück in die Boxen, nachdem die Pferde auf der Weide oder im Paddock waren. Es gibt wahrscheinlich wenig schönere Plätze zum Ausreiten oder um Pferde zu haben – wie hier ums Kloster. Haben Sie auch so angefangen mit dem Reiten? Ja. Ich war in einem kleinen Stall in Wilen bei Wollerau. Und ich kann mich gut erinnern, dass ich früher auch immer mittwochnachmittags nach der Schule zum Reiten gehen durfte. Dieser Ort war auch wahnsinnig schön, aber wenn man sich vorstellt, an einem Ort wie dem Kloster Einsiedeln reiten zu können, den es schon seit mehreren Hundert Jahren gibt, dann ist das schon sehr toll. Die Rasse der Einsiedler Pferde gibt es ja auch schon sehr lange. In welchem Alter haben Sie Ihr erstes Pferd bekommen? Eigentlich spät erst mit 14 Jahren. Ich habe zwar davor schon ein bisschen geritten. Da meine Eltern aber nicht aus einer reitenden Familie kommen, wollten sie zuerst sicher gehen, dass ich auch wirklich am Reiten interessiert bin. Dass ich das wirklich will. Was ist das für ein Gefühl, ein eigenes Pferd zu haben?

Ein wahnsinnig tolles Gefühl! Es ist ein stolzes Gefühl, so ein stolzes Lebewesen besitzen zu dürfen. So ein Pferd bedeutet Eigentum. Verantwortung. Was fasziniert eigentlich junge Mädchen so an Pferden? Ja, das ist eine interessante Frage. Das weiss ich auch nicht. Ein Pferd ist halt immer da für einen. Ein Pferd vereint vielleicht so ein Gefühl der Freiheit, wie wenn man das erste Auto geschenkt bekommt, mit dem Gefühl der Wärme, den ersten Freund zu haben. Irgendwie so.

Hört sich gut an. Aber wie viel Aufwand bedeutet so ein Pferd wirklich? Das viele Striegeln und Putzen … … Ja, es ist schon viel Aufwand. Ein Pferd ist eben kein Golfschläger, den man nach Gebrauch in die Ecke stellt. Man muss sich jeden Tag um sein Pferd kümmern. Man kann nicht plötzlich sagen, jetzt habe ich keine Lust. Man kann auch nicht so einfach in die Ferien fahren. Wer ein Pferd hat, ist einfach mehr gebunden. Natürlich verspürt man nicht jeden Tag die gleiche Lust, sich um das Pferd zu kümmern. Jeder hat mal einen Tag, an dem er lieber im Bett bleiben und sich einen Film anschauen würde. Gerade im Winter, wenn es kalt ist. Wie hiess Ihr erstes Pferd?

Coco Cardoso. Das war ein Wallach. Er war dunkelfuchs, das ist eine etwas seltenere Farbe. Er war ganz brav. Nach zwei, drei Jahren ist er leider gestorben. Das war sehr traurig – wie wenn ein Freund oder ein Partner stirbt. Wenn man heutzutage in Reitställe geht, fällt sofort die Mischung junge Frau / Pferd auf. Woran liegt das? Man sieht auf Anhieb nicht so viele Männer, die reiten. Es gibt auch sehr viele Männer, die reiten. Vor allem an der Spitze des Reitsports gibt es viel mehr Männer. Was ist aus Ihrer Sicht der Grund dafür? Das habe ich schon oft mit Freunden diskutiert. Wir sind noch immer nicht drauf gekommen, warum das so ist. Im Dressurreiten sind ja Frauen sehr erfolgreich. Warum nicht auch beim Springreiten? Kann es sein, dass Männer risikobereiter und mutiger sind? Ich weiss es nicht. Das ist sicher eine Theorie. Es kann schon sein. Wobei Reiten nichts mit Kraft zu tun hat. Reiten hat mehr mit Gefühl zu tun. Worauf kommt es denn beim Springreiten drauf an, damit die Symbiose zwischen Reiter und Pferd harmoniert? Es gibt Pferde, mit denen klappt es besser. Und es gibt Pferde, mit denen klappt es nicht so gut. Im Endeffekt ist ja der Mensch da, damit das Pferd seine Höchstleistung erbringen kann. Die Chemie zwischen Reiter und Pferd muss einfach stimmen. Das ist wie bei uns Menschen auch – manche Paare passen zusammen, manche nicht. Und manchmal springt ein Pferd tatsächlich mit einem besseren Reiter nicht unbedingt besser. Springen Pferde denn gerne über solche hohen Hindernisse? Ja, schon. Aber es gibt auch Pferde, die machen das nicht so gerne und halten immer mal wieder an vor Hindernissen. Es gibt auch Pferde, die sich regelrecht weigern. Im Spitzensport darf es das aber nicht geben, denn die Pferde müssen mit dir kämpfen. Sind Sie auch schon Pferde geritten, die nicht gerne springen und sich geweigert haben, über ein Hindernis zu springen? Ja, das habe ich auch schon erlebt. Das ist gar nicht lustig. Es kommt dann auf das Turnier an, bei dem einem das gerade passiert. Man schämt sich dann. Zum Teil denkt man: Blödes Pferd. Zum Teil denkt man: Was habe ich bloss falsch gemacht. Man zweifelt in solchen Momenten an sich selbst. Kann man sagen: Springreiten ist ein Fifty-fifty-Job zwischen Mensch und Tier? Körperlich erbringt das Pferd sicher die viel grössere Leistung als der Mensch. Grundsätzlich ist ja ein Reiter ohne Pferd ein Fussgänger, aber ein Pferd ohne Reiter ist immer noch ein Pferd. Ohne Pferd gehts nicht. Es gibt aber auch Pferde, die einen immer wieder herausfordern, nach dem Motto: Wie viel darf ich denn? Und dann gibt es Pferde, die machen jeden Tag ihren Job, denen muss man nicht die Leviten lesen. Was macht Ihnen am meisten Spass, über so einen Springparcours zu reiten? Mir macht am meisten Spass, wenn man irgendwo hinkommt, und sich erst mal völlig überfordert fühlt und denkt, diese bis zu 1,50 Meter hohen Hindernisse sind zu viel, zu hoch und zu schwierig für mich. Aber am Ende empfindet man dann das tolle Gefühl, den Parcours doch gemeistert zu haben und es ohne Fehler geschafft zu haben. Das ist sehr anstrengend für den Reiter – vor allem mental. Ich habe deswegen auch einen Mentaltrainer, mit dem ich Übungen mache, die mir helfen, die Ruhe und die Übersicht zu bewahren. Wie oft sind Sie schon vom Pferd gestürzt? Kann ich nicht sagen. Schon zu viele Male. Wenn es zu oft passiert, kann es schon sein, dass man etwas unsicher wird. Man reitet dann auch anders, verhaltener oder zieht mehr – die Pferde spüren das sofort. Ich habe mir einmal bei einem Sturz das Schlüsselbein gebrochen. Ansonsten habe ich bis jetzt immer Glück gehabt. Ich habe aber auch schon die Erfahrung gemacht, nach Stürzen besser geritten zu sein: Weil ich den Sturz einordnen und mental gut verarbeiten konnte. Es gibt Leute, die sagen, Reiten ist ein Sport für Reiche. Es ist definitiv teuer, eigene Pferde zu haben. Das ist so. Reitstunden zu nehmen, ist natürlich nicht so teuer. Aber ein eigenes Pferd zu besitzen, ist sicher ein Privileg. Wie viele Stunden pro Tag trainieren Sie?

Vier bis fünf Stunden pro Tag. Aber das ist auf sechs Tage in der Woche gerechnet. Ich wohne in Wollerau und gehe an die Universität. Ich studiere in Zürich an der ETH Umweltnaturwissenschaften.

Was war Ihr grösster Erfolg?

Ich bin 2020 bei der Schweizer Meisterschaft für junge Reiter Zweite geworden. Und in das Espoirs-Kader aufgenommen zu werden, war auch sehr speziell. Ich trainiere ja bei der Familie Züger, und diese hat es mir ermöglicht, dass ich relativ schnell auf ein gutes Niveau gekommen bin. Das ist nicht selbstverständlich. Sind Sie also zufrieden mit ihren Leistungen? Ich habe sehr hohe Ansprüche an mich, zufrieden bin ich sicher nicht. Aber ich gebe mir Mühe und versuche, in einem positiven Mindset an mir zu arbeiten. Was ist Ihr sportliches Ziel?

Ich möchte an die Olympischen Spiele, vielleicht schaffe ich es ja an die übernächsten. Aber dann sind Sie schon 30 …

Das ist ein junges Alter, um als Reiter an der Olympiade teilzunehmen. Ich glaube, der Olympiasieger von 2016 war knapp sechzig Jahre alt. Erfahrung ist beim Reiten sehr viel wert. Halten sich Reiter überhaupt sportlich fit? Früher war es ja nicht ungewöhnlich, dass Reiter sich nach dem Wettkampf gleich zum Whisky an die Bar begeben haben. Das gibt es heute auch noch. Generell gab es früher eine Generation von Reitern, die nicht unbedingt so viel auf die eigene Fitness hielten. In meiner Generation achten dagegen schon viele darauf, fit zu sein. Ich selbst jogge regelmässig und mache Fitnessübungen. Oder mache Ausgleichssport. Grundsätzlich können Reiter halt gut feiern. Träumen Sie davon, auch einmal Olympiasiegerin für die Schweiz zu werden? Ja, natürlich. Es wäre gelogen, wenn ich nein sagen würde. Es besteht allerdings nur eine kleine Wahrscheinlichkeit, dass ich das tatsächlich schaffen kann. Letzte Frage: Wie förderlich oder störend können Pferde für eine Liebesbeziehung sein? Sie können stören, wenn die andere Person nicht reitet. Weil Pferde viel Zeit in Anspruch nehmen. Auch am Wochenende.

«Ein Reiter ohne Pferd ist ein Fussgänger, aber ein Pferd ohne Reiter ist immer noch ein Pferd.»

Georgina Leimer

Im Marstall: Georgina Leimer. Foto: Wolfgang Holz

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