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«Es ist enorm wichtig zu wissen, was früher passierte»

Lukas Inderbitzin ist Fachbereichsleiter für Naturgefahren im kantonalen Amt für Wald und Natur. Mit ihm sprach Martin Lüthi.

Führte der nasse Sommer 2021 zu besonderen Ereignissen in Bezug auf die Naturgefahren? Die meisten Schäden wurden durch Überschwemmungen verursacht. Einige Gewässer, wie zum Beispiel die Alp in Einsiedeln, erreichten Abflusswerte, wie sie wohl nur alle 100 Jahre zu erwarten sind. Um solche Spitzenwerte zu erreichen, braucht es intensive Niederschläge und einen vorgesättigten Untergrund. Der nasse Sommer 2021 hat diese Zutaten geliefert.

Zwischenzeitlich zeigt sich, dass die nasse Witterung auch diverse permanente Rutschungen aktiviert hat, also langsame Bodenbewegungen von wenigen Zentimetern bis einige Meter pro Jahr. Wie gross der Aufwand sein wird, Schäden durch diese Prozesse zu verhindern, werden die nächsten Monate zeigen. Gibt es vergleichbare Perioden in der Vergangenheit? Im Jahr 2005 gab es grosse Schäden durch Starkniederschläge. Damals führten intensive und vor allem lang anhaltende Niederschläge dazu, dass zahlreiche Hänge ins Rutschen kamen und Seepegel noch höher stiegen als im Juli 2021. Die Schäden damals waren gar deutlich grösser. Auch im 19. Jahrhundert gab es nasse Perioden. Die berühmteste ist sicher jene Anfang des 19. Jahrhunderts, als aufgrund mehrerer sehr nasser Jahre der Goldauer Bergsturz im Jahr 1806 abging. Das Werk von Pater Damian Buck erschien vor hundert Jahren. Hat es auch heutzutage noch eine Bedeutung? Für die Beurteilung von Naturgefahrenprozessen ist es enorm wichtig zu wissen, was früher passierte. Daraus kann man ableiten, mit welchen Ereignissen künftig zu rechnen ist und welche Schutzmassnahmen allenfalls umgesetzt werden müssen. Je grösser und besser dokumentiert die Ereignissammlung ist, umso besser können künftige Schäden verhindert werden. Insofern ist das Werk von Damian Buck als Teil dieser Sammlung Gold wert. Wie schätzen Sie aus heutiger Sicht Pater Damians Erklärungen für die Erdrutsche und Bergstürze ein?

Eindrücklich ist, wie genau Pater Damian die zahlreichen Ereignisse recherchiert und wie präzise er diese beschrieben hat. Da steckt unglaublich viel Liebe zum Detail, Interesse an der Natur, Fleiss und Verstand dahinter. Obwohl das Wissen über Naturprozesse damals viel geringer war, hat er sie richtig gedeutet. Sind die heutigen Erdrutsche mit denen vor hundert Jahren vergleichbar?

Ja, das sind sie. Die Naturgesetze haben sich nicht verändert. Natürlich ändern sich teilweise die Verhältnisse wie zum Beispiel die Bodennutzung, welche einen grossen Einfluss auf die Prozesse hat. Bewaldete Gebiete neigen zum Beispiel weniger zu Hangmuren als landwirtschaftlich genutzte Flächen. Die eigentlichen Prozesse haben sich aber nicht verändert. Gibt es in den letzten Jahren eine Häufung von Felsstürzen und Rutschungen?

Eine offensichtliche Häufung von Sturz- und Rutschprozessen ist in Gebieten oberhalb von rund 3000 Metern zu beobachten. Dort führt die ansteigende Temperatur der Erdatmosphäre dazu, dass der permanent gefrorene Untergrund langsam auftaut und dadurch destabilisiert wird. Aber auch in tieferen Lagen gibt es vermehrt Ereignisse, vor allem Rutschprozesse. Dies ist darauf zurückzuführen, dass Starkregenereignisse in den letzten Jahrzehnten zahlreicher und intensiver wurden. Inwiefern hat das Klima eine Auswirkung auf die Stabilität von Bergflanken?

Das Klima spielt eine wesentliche Rolle. Wie bereits beschrieben, sind bei uns durch die Klimaerwärmung häufiger und intensivere Starkniederschläge zu erwarten. Wasser ist der Antrieb vieler Instabilitäten. Dementsprechend ist davon auszugehen, dass sich der Trend für eine Zunahme von Naturgefahrenprozessen fortsetzen wird.

Können wir uns heute besser vor solchen Naturgefahren schützen?

Wir haben heute mehr Wissen über die Prozesse und können uns grundsätzlich besser schützen. Aufgrund der regen Bautätigkeit steigen die Personen- und Sachrisiken trotzdem an. Das hat sich in diesem Jahr wieder eindrücklich gezeigt. Es dürften Hunderte Keller und Tiefgaragen unter Wasser gestanden haben.

Darum ist es entscheidend, dass sich jede Bürgerin und jeder Bürger mit der Materie auseinandersetzt und wo möglich den Schutz verbessert. Es gibt diverse Möglichkeiten, um sich über mögliche Gefahren und entsprechende Massnahmen zu informieren. Ein sinnvoller Ausgangspunkt ist die Naturgefahrenkarte. Dort sind auch viele Tipps und Hinweise zu finden, wie zum Beispiel der Schutz des eigenen Hauses inklusive Keller und Tiefgarage verbessert werden kann.

www.sz.ch/naturgefahren

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