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«Sie hat einen guten Job gemacht»

«Sie hat einen guten Job gemacht» «Sie hat einen guten Job gemacht»

Deutschland hat gewählt: So beurteilen drei Einsiedler mit deutschen Wurzeln die aktuelle Lage im Nachbarland

Nach 16 Jahren ist die Ära Merkel vorbei. Neue Politiker werden in Deutschland regieren. Einsiedler mit deutschen Wurzeln geben der zurücktretenden Kanzlerin beste Noten – zurück in die alte Heimat möchte aber keiner der Befragten.

WOLFGANG HOLZ

«Diese Wahlen sind ein grosser Augenblick für Deutschland» sagt Reinhard Pascher. Grund: «Angela Merkel hat so grosse Fussstapfen nach 16 Jahren als Kanzlerin im Amt hinterlassen, dass es derzeit wohl niemanden gibt, der diese ausfüllen kann», ist der pensionierte Schreiner und Holztechniker überzeugt. Er denkt, dass nun eine SPD geführte Koalitionsregierung unter Olaf Scholz die Regierung übernehmen wird.

Vor 34 Jahren nach Einsiedeln

Pascher wanderte vor 34 Jahren nach Einsiedeln aus, wo er die vakante Stelle als Betriebsleiter bei der damaligen Möbelfabrik Kuriger antrat. «Ich stamme aus Moosbach bei Heidelberg und bin aus Neugier in die Schweiz gekommen», erzählt er. Inzwischen ist für ihn eine Rückkehr nach Deutschland undenkbar. «Unser Lebensmittelpunkt ist Einsiedeln und die Schweiz. Familie und Freunde befinden sich hier.» Der 67-Jährige, der bis vor Kurzem noch Geschäftsführer seiner durch ihn vor 17 Jahren aufgebauten Bodenbeläge-Firma «Floor Trade» in Schindellegi war, ist längst eingebürgert. «Die Schweiz ist ein sehr sicheres und ruhiges Land und bietet eine hohe Lebensqualität», bringt Pascher die Vorzüge des Alpenlands auf den Punkt. Das ganze Umfeld stimme hier für ihn.

Zwar verhehlt er nicht, dass die Schweiz auch ein teures Land ist. «Aber jeder, der fleissig ist, kann sich hier eine gute Existenz aufbauen.» In Deutschland seien die Lebenshaltungskosten sicher nicht so teuer, dafür verdiene man weniger. «Unterm Strich ist die Nettokaufkraft in beiden Ländern wohl ziemlich ähnlich», so Pascher. Einzig die soziale Versorgung sei im Nachbarland besser. «Ebenso wie die Ausbildungsmöglichkeiten», ergänzt der Holzfachmann. Merkel hatte keine Skandale

Das Verdienst von Kanzlerin Angela Merkel sei auf jeden Fall, dass sie während ihrer Regierungszeit sehr viel geleistet habe und dass sie ein neues Bild von Deutschland in Europa und in der Welt vermittelt habe. «Und man konnte ihr nie einen Skandal anhängen.» Die Schweizer Bundesräte machen aus seiner Sicht aber auch einen guten Job. «Die können halt nicht viel eigene Politik machen, sonst bekommen sie sofort von Brüssel eine auf den Rüssel.» Dafür könne man als Schweizer Bürger frei über lokale Politik mitbestimmen: «Das finde ich sehr gut.» Auch Heino von Prondzynski erkennt in den gestrigen Bundestagswahlen einen historischen Moment. Der 72-jährige gebürtige Kölner, der Präsident der Vereinigung der Freunde des Klosters Einsiedeln ist, hat zwar selbst nicht an den Bundestagswahlen teilgenommen. Aber er hat Deutschland noch immer auf dem Radar – nicht zuletzt, weil drei seiner vier Kinder im Nachbarland leben und arbeiten. Hofft auf eine CDU-Koalition

«Es ist ein dramatischer politischer Wechsel, der sich nun in Deutschland vollzieht – wobei ich immer noch hoffe, dass die CDU mit der FDP und den Grünen eine Koalition bilden kann.» Angela Merkel habe während ihrer 16 Regierungsjahre einen unbestritten «guten Job» gemacht. Er würde es nicht gut finden, wenn es jetzt zu einem Linksrutsch in Deutschland käme. «Mich stören diese Umverteilungs- und Neiddiskussionen, die immer wieder von linker Seite vorangetrieben werden», bekennt von Prondzynski.

Schwiegersohn in der SPD Wobei der studierte Mathematiker, Geograf und Historiker, der seit vielen Jahren in Aufsichts- und Verwaltungsräten tätig ist, auch in der eigenen Familie schon so manche Politdebatte führen musste: «Einer meiner Schwiegersöhne ist für die SPD aktiv. Wir vermeiden in der Familie inzwischen politische Diskussionen. » Sagts und räumt ein, dass er in seiner Sturmund Drangzeit als Student selbst auch schon Wahlplakate von Willy Brandt in der Gegend herumgefahren hat. «Aber Politiker wie Brandt, Wehner und Strauss hatten auch ein anderes Niveau als die Politiker heutzutage», stellt von Prondzynski klar.

Für ihn steht auch fest, dass er nach 20 Jahren in der Schweiz als eingebürgerter Eidgenosse nicht mehr nach Deutschland zurückkehren möchte. «Das liegt vor allem daran, dass meine Frau und ich uns hier inzwischen angekommen fühlen, wir Einsiedeln als unsere Heimat empfinden. » Heino von Prondzynski, der auch noch einen deutschen Pass sein eigen nennt, bedauert allerdings, dass er als Sohn von Vertriebenen nach dem Krieg, infolge sehr häufigem Wohnortswechsel, keine richtige Heimat in Deutschland fand, auch wenn die eigentliche Heimat der Familie früher das polnische Kassubien war. «Die Freiheit in der Schweiz ist definitiv grösser als in Deutschland, die Steuern deutlich niedriger und das Gesundheitswesen und der öffentliche Verkehr sind hier ebenfalls besser strukturiert.» Nur die Lebenshaltungskosten seien teurer – dafür aber auch die Löhne höher.

«AfD grösste Enttäuschung» «Ich glaube, es ist noch offen, wer neu Deutschland in den nächsten Jahren regieren wird», sagt Markus Schumacher. Der 60-jährige Unternehmer, vor 33 Jahren aus dem oberbergischen Land in der Nähe der Handball-Hochburg Gummersbach nach Einsiedeln gekommen und seit 2003 selbstständiger Unternehmer, unter anderem für Werkzeuge für die Holzbearbeitung, attestiert Merkel, «eine leise Politik gemacht zu haben. Sie hat Deutschland sehr gut getan und stets Allianzen geschmiedet.» Ihr grösster Fehler sei es vielleicht gewesen, dass sie die Schleusen für die Einwanderung von Flüchtlingen geöffnet habe, blickt Schumacher zurück. «Sie hat damit zwar viel Menschlichkeit bewiesen, aber über die Köpfe vieler Deutschen hinweg entschieden. » Andererseits habe Merkel durch ihre Flüchtlingspolitik möglicherweise einen teuer erkauften «Schutzmantel» für Deutschland geschaffen und in Sachen Terrorismus schlimmeres Unheil verhindert.

Für ihn ist das Enttäuschendste an den Wahlen und an der politischen Entwicklung in den letzten Jahren in Deutschland aber, dass die politische Rechte in Gestalt der AfD so erstarkt ist. Schumacher: «Vor allem vor dem geschichtlichen Hintergrund des deutschen Volkes ist dies unverständlich – selbst wenn die Partei insbesondere im demokratisch unerfahreneren Osten des Landes gewählt wird. Mit der AfD steht eine Partei auf dem Wahlzettel, die dort definitiv nicht hingehört. »

SPD-Phase nun wohl angesagt

Was die anderen Parteien angeht, sieht er bei den Grünen aufgrund ihrer Basisorientiertheit das Dilemma, dass die Öko-Politiker kein diplomatisches Wahlprogramm fahren könnten. «Wahrscheinlich gibt es jetzt nach einer langen Phase CDU geführter Regierungen eine kurze, von der SPD geführte Phase», kann sich Schumacher vorstellen.

Klar ist auch für ihn: Zurück nach Deutschland möchte er nicht mehr – selbst wenn er vor fünf Jahren noch anders darüber dachte und sogar bereits die Ausreise plante. «In der Schweiz geniessen wir einen sehr hohen Lebensstandard sowie gute Sozial- und Gesundheitssysteme », lobt Schumacher. Auch herrsche eine hohe politische und gesellschaftliche Stabilität.

Nur sich einbürgern zu lassen – diesen Schritt hat der Einsiedler Unternehmer bislang noch nicht vollzogen. Sebst wenn er den alten Pass behalten dürfte. «Für mich besitzt der deutsch-europäische Pass doch mehr Wert, und ich sehe momentan auch keinen Grund, mich einbürgern lassen zu müssen.»

«Die Schweiz ist ein sehr sicheres und ruhiges Land und bietet eine hohe Lebensqualität.»

Reinhard Pascher, pensionierter Unternehmer

«Wir sind hier angekommen.»

Heino von Prondzynski

«Für mich besitzt der deutscheuropäische Pass doch mehr Wert.»

Markus Schumacher, Unternehmer

Mit ihrer «Raute» 16 Jahre lang erfolgreich Kanzlerin: Angela Merkel. Foto: de.wikipedia.org

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