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«Ohne dieses Angebot wäre es sehr eng für mich»

«Ohne dieses Angebot wäre es sehr eng für mich» «Ohne dieses Angebot wäre es sehr eng für mich»

Jolanda Wagner bezieht seit einigen Jahren Lebensmittel von «Tischlein deck dich» in Einsiedeln

Bei «Tischlein deck dich» in Einsiedeln erhalten Menschen, die am Existenzminimum leben, jede Woche Gratis-Lebensmittel. Blues-Musikerin Jolanda Wagner ist sehr dankbar für dieses Angebot – und könnte nicht mehr darauf verzichten.

WOLFGANG HOLZ

«Das letzte Mal gab es beispielsweise Rüebli, Käse, Kürbiskerne, Schoggi, Joghurt, Brot», berichtet Jolanda Wagner von ihrem Besuch bei «Tischlein deck dich» im Zentrum Waldstatt. Diese Gratis-Lebensmittelabgabe existiert seit gut neun Jahren in Einsiedeln – und viele Menschen sind dankbar für diese kostenlose Versorgungsmöglichkeit. «Es gibt, was es gibt, und das Angebot wechselt jede Woche», sagt die 45-Jährige, die schon seit vier Jahren im Klosterdorf lebt. Zuvor wohnte sie in Rothenthurm. «Einsiedeln ist ein sehr idyllischer Ort, unter den Menschen herrscht viel Offenheit.» Corona-Betrieb ist anders

In Zeiten von Corona erhalte derzeit jeder einfach eine gefüllte Tüte überreicht – vor Corona habe man die Lebensmittel, die bei «Tischlein deck dich» verteilt werden, noch selbst auswählen können. Sie ist Vegetarierin und kauft Gemüse und Früchte hin und wieder noch selbst dazu. «Manchmal machen die Lebensmittel, die ich zu einem Warenwert von etwa rund 50 Franken beziehen kann, die Hälfte meines wöchentlichen Nahrungsbedarfs aus – manchmal auch mehr», so Wagner. Damit sie Lebensmittel bei «Tischlein deck dich» gratis beziehen kann, brauche sie eine Berechtigungskarte vom Bezirk Einsiedeln, der diese jedes Jahr neu ausstelle. «Burn-out» als Kindergärtnerin

Jolanda Wagner, die aus dem Thurgau stammt, ist eigentlich gelernte Kindergärtnerin. Diese Tätigkeit hat sie auch 14 Jahre lang ausgeübt. «Ich war mit Herz und Seele dabei», sagt sie. Aber vor einigen Jahren habe sie ein Burn-out erlitten. «Mein Beruf wurde für mich zu einer grossen gesundheitlichen Belastung, und ich suchte deshalb nach neuen Wegen in meinem Leben», erzählt sie. Auf dem neuen Weg, den sie beschritt, entdeckte sie ihre künftige Leidenschaft – die Mundharmonika-Bluesmusik. Was bislang ihr Hobby gewesen war, wurde für sie nun immer mehr zum Lebenselixier.

Sie nahm Stunden und begann zuerst im Sommer als Strassenmusikerin zu spielen. «Das ist harte Arbeit», versichert sie. Inzwischen hat sie im Sommer bestimmte Lokale in Thun, Bern, Basel und Luzern gefunden, wo sie auf Gartenterrassen regelmässig auftreten kann. «Manchmal kann ich dort einen ganzen Abend musizieren.» Seit dem Lockdown keine Aufträge als Musikerin mehr Auch im Winter hat sie Lokale, wo sie mit ihrer Musik willkommen ist. «Doch seit Corona sind meine Engagements quasi auf Null heruntergefahren – dabei spüre ich, dass viele Leute derzeit empfänglich für Kultur und Blues sind», sagt Jolanda Wagner. Allerdings seien viele Wirte in der Corona-Krise ihrerseits von Existenzsorgen geplagt und hätten keinen Platz mehr für sie in den Beizen. Nebenbei arbeitet die Musikerin deshalb noch stundenweise als Reinigungskraft auf dem Campingplatz Euthal. «Wieder als Kindergärtnerin zu arbeiten, könnte ich mir nicht mehr vorstellen – das ist vorbei», ist sie überzeugt. Beim «Tischlein deck dich», wo sie früher Kinder im dortigen Café hütete, lernte Jolanda Wagner auch eine Freundin kennen. «Man interessiert sich für andere und spricht viel miteinander.» Stefan Kälin, der bisherige Leiter von Tischlein deck dich, habe sich immer viel Mühe gegeben: Sie habe von den verteilten Lebensmitteln noch nie abgelaufene Waren erwischt. «Ohne das Angebot von Tischlein deck dich wäre es für mich auf jeden Fall sehr eng – es ist jede Woche wie ein Geschenk für mich», freut sich Jolanda Wagner.

«Es ist jede Woche wie ein Geschenk für mich».

Jolanda Wagner

Hat ihr Hobby, die Musik, zu ihrem neuen Lebensinhalt gemacht: Jolanda Wagner. Foto: Ivo Loretz

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