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«In nächster Zeit wird es in Rom keinen Unterricht mehr geben»

«In nächster Zeit wird es in Rom keinen Unterricht mehr geben» «In nächster Zeit wird es in Rom keinen Unterricht mehr geben»

Stiftskapellmeister in Einsiedeln und Dozent in Rom: Doch auch für Pater Theo Flury hat das Coronavirus einschneidende Konsequenzen.

VICTOR KÄLIN

Seit 2003 arbeiten Sie auch für das päpstliche Institut für Kirchenmusik in Rom. Ist das auch in Corona-Zeiten noch immer so?

Jawohl, meine Pensionierung ist, wie für alle angestellten Geistlichen der römischen Kurie, auf das siebzigste Altersjahr angesetzt. Falls Abt Urban und meine Kräfte dies erlauben, möchte ich mein Mandat bis zu diesem Zeitpunkt wahrnehmen.

Was umfasst Ihre Arbeit?

Das päpstliche Institut für Kirchenmusik (www.musicasacra. va) bietet sieben Studienrichtungen an: Gregorianischer Gesang, Komposition, Chorleitung, Orgel, Musikwissenschaft, Klavier und Schulgesang. Unsere Abschlüsse gehen von Baccalaureato, der Licenza (dem Master) bis hin zum Doktorat, entweder in Musikwissenschaft oder in Musicologia applicata (einem Doktorat, das einen musikwissenschaftlichen und einen praktischen Teil vorsieht, beispielsweise bestehend in der Einspielung einer CD). Ich bin in der Ausbildung der Organisten und Komponisten beschäftigt. Improvisation ist mein Spezialgebiet, aber auch Literaturspiel für Organisten und Orgelbaukunde gehören zu meinem Lehrauftrag. Wie geht das praktisch? …

Normalerweise reise ich jede zweite Woche nach Rom und unterrichte das Pensum von zwei Wochen in einer einzigen, und zwar von Dienstagmorgen bis Samstagmittag – fast durchgehend.

Wie reisen Sie?

Fliegen ist am zeit- und kostengünstigsten.

Was hat sich seit Corona für Ihren Unterricht verändert? Alles! Der Unterricht ist suspendiert, ursprünglich bis nach dem Weissen Sonntag. Wenn ich die Entwicklung in Italien verfolge, beschleichen mich aber etliche Zweifel, ob das realistisch ist. Einzelunterricht in einem musikalischen praktischen Fach via Internet zu erteilen, ist mühsam und schwierig. Technisch bin ich ausserdem irgendwo in der Steinzeit hängengeblieben; ich hoffe sehr, dass ich umständehalber nicht rüde in die harte Gegenwart katapultiert werde! Wie und wann haben Sie es geschafft, zurückzukommen? Ich war nach Rom einige Tage auf Sizilien und hatte dort zu tun. Mit knapper Not konnte ich vor einer Woche einen Flug von Palermo nach Rom buchen und am nächsten Tag den Rückflug nach Zürich. Die Swiss flog schon lange nicht mehr, Alitalia hielt noch einige Flüge aufrecht. Allerdings: «Wir waren bloss 18 Passagiere im Flugzeug. Für einmal gab es also immerhin genug Platz in den Gepäckablagen!» Fühlten Sie sich sicher?

Ja, seltsamerweise. Wenn echte Gefahr droht, rücken die Italiener instinktiv zusammen und parieren – und zwar entspannt und irgendwie ergeben. Auch ist gegenseitige Solidarität spürbar. Beeindruckt hat mich die Disziplin, mit welcher die staatlich verordneten rigorosen Massnahmen befolgt wurden und immer noch werden. Premier Conte hat am Fernsehen empathisch, sympathisch und überzeugend gesprochen, sodass sich danach alle wie eine grosse Familie fühlten. Seine Popularität ist übrigens inzwischen sprunghaft auf über siebzig Prozent angestiegen. Er hat beste Arbeit geleistet!

Wie geht es jetzt mit Ihrer Arbeit in Rom weiter? Solange das Institut geschlossen ist, bleibe ich selbstverständlich hier in Einsiedeln. Sicher werde ich auch danach alle Vorsichtsmassnahmen berücksichtigen. Und unter diesen Umständen wird der Wiederaufnahme der Unterrichtstätigkeit wohl nichts im Wege stehen.

Keine Reisen nach Rom und keine Gottesdienste in Einsiedeln: Damit fällt auch die Kirchenmusik aus – Orgel und Gesang. Was bedeutet das für Sie als musikalischer Mensch und vor allem als Stiftsorganist? Ich kann damit leben; das ist keine Frage, weil jeder in dieser Situation im Hinblick auf eigenes und fremdes Wohl entsprechende Folgen auf sich zu nehmen hat. Ich nutze die Zeit, um Liegengebliebenes anzupacken und zu üben. Auch schätze ich (noch …) eine gewisse Entschleunigung und Stille, die mit Corona einhergehen. Aber das sind höchstens – in diesem Fall durchaus erwünschte – Nebenwirkungen der globalen Krise. Sie haben jetzt viel Zeit. Womit füllen Sie sie aus? Mit Komponieren? Kommt das Ihrem Oratorium zugute, das am 17. Oktober uraufgeführt wird? Ich hoffe schon, dass dieser Termin realistisch bleibt. Aber man kann heute nichts mit Sicherheit sagen; die Vorbereitungen sind jedenfalls an einem guten Punkt angelangt – daran sollte es nicht liegen. Die Uraufführung sollte in Einsiedeln stattfinden, und zwar im Zusammenhang mit den weit fortgeschrittenen Arbeiten am Klosterplatz, diesem schönen Beispiel für das vorbildliche Zusammengehen von Bezirk und Kloster. Wie ist der Umgang im Kloster – einer grossen Hochrisikogruppe? Wie begegnet man sich? Abt Urban Federer informiert die Klostergemeinschaft fast täglich über neue Anpassungen innerhalb unserer Gemeinschaft, je nach der jüngsten Weiterentwicklung der Seuche. Abstandhalten und Hygiene sind natürlich die hauptsächlichen Anliegen, auch die Abschottung nach aussen, um nicht die vielen älteren Mitbrüder zu gefährden und unvorsichtigerweise anzustecken. Schön zu sehen ist, dass viele situationsbedingte kreative Initiativen gerade von sprudelnden jüngeren Mitbrüdern ausgehen und problemlos umgesetzt werden. Normalerweise mahlen Gottes Mühlen gemächlicher und stockender. Was sagen Ihnen die Corona- Zeit mit all ihren Auswirkungen als Mönch, als Priester, als Gläubiger? Sicher zeigt uns diese Phase, dass wir uns besser nicht in Sicherheiten einnisten. Das Leben kann sich verändern, von einem Tag auf den andern – individuell und kollektiv. Es ist gut, wenn wir unser Leben als Einzelne und als Gesellschaft tiefer verankern. Die Reduktion unserer Gewohnheiten auf eine eiserne Ration macht uns wieder bewusster, was für uns eigentlich wesentlich ist, und was nicht. Wer hätte das noch vor wenigen Wochen gedacht: Eine Gesellschaft, die sich mächtig und fortschrittlich wähnt, wird durch ein kleines Ding komplett in die Knie gezwungen …

Pater Theo Flury mit einer Katze in den Vatikanischen Gärten. Das Bild entstand anlässlich einer Führung. «Privat», so Pater Theo, «komme ich da nicht herein.» Und im Zeitalter des Coronavirus schon gar nicht mehr.

Foto: zvg

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