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«Der Lebensstil führt zu einer Zunahme von Allergien»

«Der Lebensstil führt zu einer  Zunahme von Allergien» «Der Lebensstil führt zu einer  Zunahme von Allergien»

Immer mehr Leute leiden unter Heuschnupfen: Wie Luftverschmutzung, Klimaveränderung und der Verlust der Biodiversität Pollenallergien auslösen, erklärt Regula Gehrig von Meteo Schweiz: «Der Klimawandel erhöht die Pollenbelastung signifikant.»

Wie ist der Stand der Dinge derzeit in Sachen Pollenbelastung in Einsiedeln? In der Region Einsiedeln beginnen derzeit die Birken und Eschen zu blühen. Aber auch Eichen- und Platanenpollen werden bald mässige bis starke Belastungswerte aufweisen. Für Pollenallergikerinnen und Pollenallergiker ist also noch kein Durchatmen in Sicht. Ganz im Gegenteil: Da es in die-sen Tagen sonnig und warm ist, ist in der ganzen Schweiz mit starker Pollenbelastung durch die Birke zu rechnen. Einige der Pollen mit starker Allergiestufe sind zwar auf tiefe Werte gesunken: Es hat kaum mehr Hasel- und Erlenpollen. Doch die Gräserpollen stehen bereits in den Startlöchern: Im Mittelland kann bereits Ende April die Belastung durch Gräserpollen zunehmen, in der Region Einsiedeln im Mai. Wieso sind die Birkenpollen heuer auffällig früh dran? Der Blühbeginn auf der Alpennordseite war um ein bis zwei Wochen früher als im langjährigen Mittel. Der Grund für die sehr frühe Blüte liegt in den aussergewöhnlich hohen Temperaturen seit Februar, bei denen sich die Frühlingsvegetation sehr rasch entwickeln konnte. Wie ist die Haselpollensaison heuer ausgefallen? Der Haselstrauch hat bereits sehr früh in diesem Jahr geblüht und den Allergikerinnen und Allergikern zu schaffen gemacht. Allgemein ist die Belastung durch Haselpollen heuer stark ausgefallen: Das hat nicht zuletzt mit dem schönen Wetter und den warmen Temperaturen im Winter und vor allem im Februar zu tun, die zu einem regen Pflanzenwachstum geführt haben. Welche Rolle spielt der Wind bei der Pollenbelastung? Der Windtransport spielt eine wichtige Rolle in Sachen Pollenbelastung, gerade im Raum Einsiedeln. Während die Bise dafür sorgt, dass Pollen vom Mittelland, vom Raum Zürichsee her, in die Region rund um den Sihlsee verfrachtet werden, können Pollen bei Föhnwind vom Schwyzer Talkessel her ins Klosterdorf fliegen: Allerdings bremst das Gebirge den Pollenflug aus Süden. Grundsätzlich kann man festhalten: Windtransport kann zu einer Pollenbelastung in Einsiedeln führen, obwohl Anfang April noch keine Eschen und Birken in Einsiedeln geblüht haben. Welche Baumarten blühen heuer aufgrund des Zyklus besonders stark? Im Jahr 2018, im Jahr 2020 und im Jahr 2022 hat die Birke zyklusbedingt besonders kräftig geblüht. Im letzten Jahr war die Pollenbelastung schwächer, weil die Birke just in den ungeraden Jahren zyklusbedingt weniger stark blüht. Die Birke hat in diesem Jahr ein sogenanntes Mastjahr und bildet daher besonders viele Kätzchen aus. Welchen Einfluss hat der heisse und trockene Sommer im vergangenen Jahr auf die heurige Pollenbelastung? Ein heisser, trockener Sommer kann die Bäume schwächen oder sogar zum Absterben bringen. Noch ist es nicht klar, ob sich diese Schwächung auch auf die Anzahl gebildeter Blüten und somit auf die Pollenproduktion auswirken kann. Da der letzte Sommer gerade im Raum Einsiedeln aber nicht speziell trocken war, ist von keiner Schwächung der Pollenproduktion auszugehen. Kommt die hohe Belastung durch Pollen in Einsiedeln später, weil der Ort höher gelegen ist? Pro hundert Höhenmeter rechnet man mit zwei bis drei Tagen Verzögerung. An sich tritt also in der Tat eine hohe Belastung durch Pollen verspätet in höher gelegenen Regionen auf. Aller-dings spielt eben der Wind auch eine Rolle, der die Pollen vom Unterland ins Bergland transportiert und dort die Pollenbelastung verstärken kann. Tritt die Pollenbelastung we-gen der Klimaveränderung immer früher und stärker ein? Der Klimawandel erhöht die Pollenbelastung signifikant. Mehr Kohlendioxid in der Luft und höhere Temperaturen fördern das Pflanzenwachstum. Abgesehen davon, dass die Klimaveränderung auch die Dauer der Pollensaison verlängert: Die Bäume blühen früher, die Gräser länger. Der Klimawandel wirkt sich auf die gesamte Natur aus. Die Zunahme von Allergien ist nur ein Teil davon. Weltweit registrieren Wissenschaftler eine zunehmende Pollenkonzentration in der Luft, welche die Allergieneigung in die Höhe treibt. Inwiefern tangiert die auch in Einsiedeln grassierende Eschenwelke die Pollenbelastung? Bezüglich der Eschenblüte werden unterschiedliche Beobachtungen gemacht. Das Auftreten der Eschenwelke bedeutet nicht automatisch, dass der Baum nicht mehr blühen mag. Es kann sogar das Gegenteil auftreten: Wegen der Pilzkrankheit kommt es zu einer Notblüte bei der Esche – sie blüht dann be-sonders intensiv. Eine Notblüte beschreibt eine Blütenbildung, die durch Stress der Pflanze ausgelöst wird. Interessant ist, dass der Pilz, der die Eschenwelke auslöst, zu einer Veränderung des Verhaltens der Esche führen kann: Neuerdings ist ein Zweijahreszyklus bei der Esche zu beobachten. Interessant ist auch, dass sich das in den letzten Jahren zu beobachtende intensive Blühen der Eschen wieder abzuschwächen beziehungsweise einzupendeln scheint. Welche Pollen sind federführend in Ortschaften, die auf einer Höhe von rund tausend Metern liegen? Einsiedeln liegt inmitten einer Landwirtschaftszone mit vielen Wiesen. Dementsprechend sind hier Gräserpollen vorherrschend. Wer allergisch auf Gräserpollen reagiert, wäre froh, wenn die Bauern das Gras häufig schneiden würden, damit weniger Gräser blühen. Der ers-te Schnitt von extensiven Ökowiesen, für welche die Bauern wegen des späten Schnittzeitpunkts Prämien erhalten, darf im Talgebiet allerdings frühestens ab dem 15. Juni vorgenommen werden, um die Biodiversität zu erhalten. Naturgemäss wachsen auch Erlen, Hasel, Birken und Eschen in der Voralpenregion Einsiedeln: Allerdings sind diese Baumarten hier nicht ganz so stark verbreitet wie im Mittelland. Macht es für Heuschnupfen-Geplagte Sinn, vom Unterland ins höher gelegene Klosterdorf zu ziehen, um weniger unter ihrer Allergie zu leiden? Davon würde ich dringendst abraten, weil zum Beispiel eben gerade die Gräserpollen ein Problem bedeuten können für die Bewohner von Einsiedeln. Das Klosterdorf liegt zu tief: Wer wirklich den Pollen entfliehen will, muss höher hinauf: Ab etwa 1500 Metern über Meer ist eine Entspannung in Sicht. In Davos etwa lei-den Pollenallergiker spürbar weniger. Davos hat auch, ganz im Gegensatz zu Einsiedeln, den Vorteil, dass es sehr windgeschützt liegt. Wer also von Zürich nach Einsiedeln flieht, muss damit rechnen, dass mit ihm die Pollen mit dem Wind vom Zürichsee an den Sihlsee fliegen. Ist denn also Einsiedeln vielmehr gar ein Hotspot in Sachen Pollenbelastung? Zusammengefasst kann man festhalten, dass in Einsiedeln die Belastung durch Baumpollen wie Hasel, Erle, Birke und Esche zwar geringer als im Mittelland ausfällt, aber dass die Belastung durch Gräserpollen gleich stark ist. Das Klosterdorf wird aber noch zusätzlich durch die vorherrschenden Winde mit Blütenstaub aus dem Unterland versorgt, sodass vor der eigentlichen lokalen Blütezeit bereits Pollen in der Luft sein können. Allerdings in tieferen Konzentrationen als im Mittelland. Warum leiden Städterinnen und Städter besonders stark unter Heuschnupfen? Wegen der Luftverschmutzung: Einerseits tangiert diese die Atemwege des Menschen, was Allergien begünstigt. Andererseits macht die Luftverschmutzung die Pollen selber allergener. Unter dem Einfluss der Luftverschmutzung produzieren die Pflanzen eine grössere Dosis an Allergenen und entzündlichen Substanzen. Darüber hinaus bilden sie auch neuartige Allergene. CO2 wirkt zudem wachstumsfördernd auf Pflanzen. Die Summe all dieser Faktoren führt zu einer höheren Konzentration aggressiver Pollen in der Luft. Vor allem in der Stadt sind Pollen deshalb aggressiver als in ländlichen Regionen. Zusammengefasst: Stadtpollen schlägt Landpflanze – zumindest beim Allergiepotenzial.

Wieso leiden immer mehr Menschen unter Heuschnupfen? Der Lebensstil führt zu einer Zunahme von Allergien: Das liegt hauptsächlich an der Umwelt, an der Lebensweise der Menschen und an der Luftverschmutzung. Bauernkinder leiden derweil weniger unter Heuschnupfen. Kinder, die Milch vom Hof trinken und sich oft im Stall aufhalten, leiden weniger an Heuschnupfen. Je mehr Endotoxin, ein Bestandteil bestimmter Bakterien, in der Umgebung der Kinder vorkommt, desto weniger leiden sie an Asthma oder Heuschnupfen. Und auf einem Bauernhof gibt es nun einmal mehr solche Mikroben als in einer blankgescheuerten Stadtwohnung. Wer ist weniger, wer ist stärker von solchen Allergien betroffen?

Wer in einer allzu hygienischen Umwelt aufwächst, hat ein grösseres Risiko, eine Pollenallergie zu entwickeln. Es gibt zudem auch eine genetische Disposition: Die Wahrscheinlichkeit, an einer Pollenallergie zu leiden, erhöht sich signifikant, wenn zum Beispiel beide Eltern diese Aller-gie haben. Welche Pflanzen können Allergikerinnen und Allergiker unbesorgt im Garten oder auf dem Balkon setzen? Vollends unproblematisch sind sämtliche Obstbäume im Garten, weil diese durch Insekten und nicht durch den Wind bestäubt werden und dadurch also keine Pollenbelastung verursachen. Kaum allergen und daher geeignet sind zudem die meis-ten Pflanzen mit attraktiven Blüten – wie zum Beispiel Lilien, Dahlien, Rosen und einige Gehölze wie Hortensien, Rhododendron, Magnolien, Forsythien oder Schneeball. Zudem gibt es eine Reihe weniger allergieauslösender Bäume wie etwa heimische Ahorn- und Nadelbäume, Linden oder Akazien. Edelkastanien können Allergien auslösen, Rosskastanien nicht. Wich-tig zu erwähnen sind die Nadelbäume (Fichte, Weisstanne, Lärche, Föhre): Sie lösen keine Allergien aus. Auf welche Pflanzen sollte man besser verzichten? Alle Korbblütler wie Sonnenblumen oder Löwenzahn sind für Pollenallergiker ungeeignet. Kontaktallergien können derweil durch Primeln ausgelöst werden. Der giftige Saft der Wolfsmilchgewächse (Weihnachtsstern, Christusdorn) können Reizerscheinungen auf der Haut und möglicherweise Allergien auslösen. Gummibäume und Ficus haben ebenfalls einen Saft, der als kleine Partikel auch in der Luft sein kann. Leute mit einer Latexallergie reagieren auf diese Gummibäume. Kakteen lösen keine Allergien aus – aber Wolfsmilchgewächse, die häufig aussehen wie Kakteen, können Allergien auslösen. Bekannt ist überdies, dass Beifuss, Ambrosia und Goldrute Allergien auslösen. Allerdings gedeihen im Raum Einsiedeln Beifuss und Ambrosia kaum.


In der Region Einsiedeln beginnen derzeit die Birken zu blühen.

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