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VCS zum neuen Veloweggesetz: «Völlig desillusioniert»

VCS zum neuen Veloweggesetz:  «Völlig desillusioniert» VCS zum neuen Veloweggesetz:  «Völlig desillusioniert»

Markus Andreas Bamert, Vorstandsmitglied des VCS Schwyz aus Tuggen stellt dem Kanton ein schlechtes Zeugnis aus für seine Velopolitik. Angesprochen auf die Realisierung des neuen Veloweggesetzes zeigt er sich ohne jede Hoffnung.

Der Velonetzplan muss in der ganzen Schweiz umgesetzt werden – wie bewerten Sie das Vorgehen im Kanton Schwyz bis jetzt? Insbesondere im Alltagsverkehr hat sich die Situation der Sicherheit für unsere velofahrende Bevölkerung in sehr vielen Gemeinden seit der Vorstellung des ers-ten Radroutenkonzeptes im Jahr 1993 sowie der Vorstellung des zweiten Radroutenkonzeptes im Jahr 2015 weiter verschlechtert. Aktuell gehen wir deshalb leider davon aus, dass sich auch in den kommenden Jahren beim Velowegnetz für den Alltagsverkehr nur sehr wenig tatsächlich verbessern wird. Wie bereits bei der Umsetzung des Behindertengleichstellungsgesetzes wird es auch hier beim Veloweggesetz wohl eher Jahrzehnte als Jahre dauern, bis unser Kantonales Tiefbauamt dieses Gesetz tatsächlich umsetzt. Wir hoffen natürlich weiterhin auf eine schnellere Umsetzung, doch dafür werden wohl noch manche Wunder geschehen müssen. Wo liegen die Stärken und wo die Schwächen des Veloweggesetzes?

Eine Stärke ist sicher die Homogenität der Velowege, die darin festgelegt ist, denn früher hat man Velowege so gebaut, wie es je nach Standort gerade gepasst hat. Die zweite Stärke ist die Differenzierung zwischen Velowegen für den Alltag und solchen für die Freizeit. Der Kanton Schwyz hat sich in der Vergangenheit vor allem auf den Freizeitbereich konzentriert. Die wichtigste Stärke dieses Gesetzes ist, dass der Kanton nun auch im Alltagsbereich gefordert ist.

… und die Schwächen?

Eine Schwäche ist, dass man bei der Umsetzungsdauer und der Finanzierung den Kantonen zu viel Freiraum gibt. Als der Kanton Schwyz vor wenigen Jahren seine Motorfahrzeugsteuern senkte, befürworteten wir, dass auf diese Senkung verzichtet wird, um diese Gelder für die Sicherheit der velofahrenden Menschen sinnvoll einzusetzen. Ein weiterer Nachteil ist, dass der Kanton die Verantwortung vor allem für Velowege entlang der Hauptstrassen übernimmt, während er Unterhalt und Haftung bei diversen Velowegen wohl auf die jeweiligen Strassenträger überträgt. Wir sind der Ansicht, dass der Kanton auch für die Erschliessung der übrigen Gebiete die Kosten übernehmen sollte.

Wie gut ist die Zusammenarbeit zwischen Umweltverbänden, Velolobby, Tourismus und Kanton? Zwischen den Umweltverbänden ist die Zusammenarbeit gut, mit dem Tourismus ist sie lösungsorientiert. Mit einigen kantonalen Amtsstellen gibt es nur teilweise einen Informationsaustausch, beim vor allem zuständigen Tiefbauamt gibt es fast keinen. Dabei müsste man eigentlich am selben Strick ziehen, weil es hier sehr stark um die Sicherheit für Velofahrer geht. Kürzlich war ich drei Stun-den auf der Gemeinde, nur um zu kopieren, weil das Tiefbauamt seine Unterlagen immer noch in Papierform auf den Gemeinden auflegt, statt sie wie die meis-ten anderen Ämter elektronisch aufzuschalten. Das erschwert die Einsicht auch für die jeweils betroffene Bevölkerung massiv. Es gibt Velowege, die den neuen Vorschriften bezüglich Sicherheit nicht mehr genügen werden, dafür aber direkter zum Ziel führen. Was zählt mehr – Sicherheit oder Geschwindigkeit?

Wir erwarten keinerlei Veränderungen – ausser dass sich die Situation an gewissen Orten vielleicht sogar noch verschlechtern wird. Etwas Ähnliches geschah vor einigen Jahren mit den Fussgängerstreifen im Tempobereich 60, die man aus Sicherheitsgründen oft ohne Alternativen gestrichen hat. Ist diese Haltung des Kantons nicht erstaunlich angesichts der enormen Popularität des Velos als Verkehrsmittel? Ja, natürlich. Der Verkehr hat stark zugenommen, aber es findet keine Entlastung statt – und wenn eine Entlastung stattfindet, dann wird sie durch das Wachstum des motorisierten Verkehrs wieder aufgehoben.

Bei der Umsetzung des neuen Veloweggesetzes wird es mancherorts zum Konflikt zwischen hehren Absichten und harter Realität kommen. Wo zeichnen sich die heiklen Abschnitte ab? Der Bezirk Einsiedeln liess in Zusammenarbeit mit dem VCS Schweiz ein Schulwegkonzept erstellen. Dafür sind wir dem Bezirk dankbar, denn solche Analysen werden nicht vielerorts gemacht. Dieses Schulwegkonzept zeigt vor allem Schwächen an den vielen Kreuzungen und Einfahrten im Zentrum von Einsiedeln auf. Auch die oft relativ hohe Geschwindigkeit inner-orts ist ein Problem. Im Kanton existiert grundsätzlich das Problem, dass viele Problemstellen eigentlich schon lange bekannt sind, dass man eine Lösung aber einfach nicht thematisiert, obwohl sich die Probleme ständig verschärfen. Auch das Veloweggesetz wird nichts ändern. Alle, die sich mit dem Thema beschäftigen sind völlig desillusioniert, denn der Kanton lässt dazu nur verlauten «Wir sind dran» oder «Wir sind noch nicht so weit.» Gibt es nicht auch Lichtblicke, so zum Beispiel der neue Abschnitt für Langsamverkehr zwischen Biberbrugg und dem Chaltenboden entlang der H8? Wir wissen, dass dieses Projekt gelobt wird. Aber wie der Name «Chaltenboden» sagt, ist es dort ziemlich kalt, und ich weiss nicht, ob diese Strecke ganzjährig funktioniert. Wir vom VCS hätten eine Führung entlang der Bahnlinie besser gefunden. Ausserdem bin ich gespannt, wie lange es dauert, bis das Projekt realisiert wird. Der Verdrängungskampf zwischen Auto und Velo scheint also weiterhin unvermeidbar Ja, leider findet er permanent statt. Viele Gemeinden möchten etwas dagegen unternehmen, finden aber kein Gehör beim Kanton. Zum Beispiel wäre die Gemeinde Lachen beim Ausbau der Feldmoosstrasse in Richtung Wangen sehr interessiert gewesen an einer besseren Lösung für den Langsamverkehr, konnte sich aber bei der Realisierung nicht durchsetzen. Die Sperrung der Axenstrasse für den Veloverkehr hat gezeigt, dass der Autoverkehr nach wie vor prioritär ist, wenn es darauf ankommt. Die bisherige Velostrecke an der Axenstrasse ist wirklich gefährlich. Leider ist der Veloverlad eine schwache und noch dazu sehr teure Lösung. Immerhin konnte durch einen Bundesgerichtsentscheid erreicht werden, dass mit der Fertigstellung der Strasse für den Autoverkehr gleichzeitig auch eine neue Strecke für den Langsamverkehr eröffnet werden muss und nicht erst später. Wie wird man die elektrisch betriebenen Fortbewegungsmitteln integrieren, die mit bis zu 45 Stundenkilometern Geschwindigkeit eindeutig nicht mehr zum «Langsamverkehr» gehören? Leider kann von einer Integration keine Rede sein, weil der Kanton einfach zuschaut und die Situation sich selbst überlässt. Es gilt das Credo der Strasse: Der Stärkere siegt, der Schwächere wird verdrängt.

Wären vermehrte Zonen mit Tempo 30 eine Lösung?

Ja, denn bei Tempo 50 innerorts ist eine gemeinsame Benutzung der Strassen eine Illusion. Tempo 30 würde auch die Sicherheit für Autofahrer erhöhen. Leider findet momentan eine Trendwende statt. Man will auf Bundesebene verbieten,dass auf Kantonsstrassen Tempo 30 eingeführt wird – selbst wenn die lokale Bevölkerung das befürwortet. Das alles geht auf Kosten der Schwächeren. Kinder sind weitgehend von der Strasse verdrängt. Und wenn ein Unfall passiert, haben sie eben Pech gehabt. Im Grunde genommen ist das aber eine organisierte Verantwortungslosigkeit.

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