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Ab jetzt wird es in Einsiedeln haarig

Ab jetzt wird es in Einsiedeln haarig Ab jetzt wird es in Einsiedeln haarig

Vorletzte Woche konnte die Welttheaterfamilie in der Cineboox in Erinnerungen schwelgen. Gezeigt wurden die beiden Dokumentarfilme von Marianne Pletscher. Der erste Film, Wahnwitzige Szenen im Klosterdorf, beschäftigte sich vor allem mit dem Autor und dem künstlerischen Stab. Beim zweiten Film, Weltuntergang im Welttheater, zeigte auf, warum die Einsiedler eine solche Spielfreude für das Theater entwickeln können.

Dem geübten Beobachter der Einsieder Welttheaterszene dürfte es schon länger aufgefallen sein. Irgendwie wachsen bei allen Beteiligten die Haare ins unermessliche. Da wäre doch sicherlich ein Gang zum Coiffeur von Nöten dürfte einige schon zu hören bekommen haben. Ja, ich auch. Ob ich zu Hause keinen Strom mehr habe, war noch der netteste Spruch. Mein grundlegendstes Problem ist, dass vor 100 Jahren jeder, der etwas auf sich hielt, mit Gesichtsbehaarung rumlief. Auf den Bildern aus dem Jahr 1924 wurde dies verdeutlicht, alle hatten Bärte, ausser die Frauen.

Von meinem Kostüm habe ich ja schon geschrieben. Letzten Samstag fand nun die erste Anprobe statt. Wir, Kostümbildnerin und -schneiderin, einigten uns: Der hundertjährige Reiche sieht mit Bart viel besser aus. So lasse ich meinen nun auch spriessen. Der einzige Bartträger bei uns im EA, Produktionsleiter Lukas Schumacher, freut sich schon seit Wochen, nicht mehr «The one and only» Bärtige zu sein. Die Meinung der übrigen Bürokameraden ist geteilt.

Schlimmer wird es aber in meiner Familie. Nach über drei Wochen des Wachsenlassens sahen mich meine Schwestern wieder. Na ja, was soll ich sagen, aufgrund der Reaktion muss ich mich wohl langsam daran gewöhnen, künftig als Einzelkind zurechtzukommen. Und Kinder sind ja immer ehrlich. Bei meiner achtjährigen Nichte wird es schwieriger. Früher waren Begrüssungsund Abschiedsküsschen gang und gäbe. Je älter sie wird, je weniger werden diese. Jetzt mit Bart? Vergessen Sie das mal! Die gängigste Ausrede, es pickst, verunmöglicht jedes Abschiedsküsschen.

Langsam aber sicher überlege ich mir, doch wieder ein Haustier anzuschaffen. Diese sind doch etwas pflegeleichter. Solange sie verpflegt werden, zeigen sie dem Besitzer ihre volle Zuneigung. Mit oder ohne Bart im Gesicht!

Was geschieht dann aber nach der Derniere am 7. September? Werden die Einsiedler Coiffeure beziehungsweise Barber-shops wie in Oberammergau zum Ende der Passionsspiele Überstunden leisten? Oder wird alles bei der Dernierenfeier radikal abrasiert? Ich weiss es nicht. Das einzige, was ich weiss: Ich werde bald irgendein Mittel kaufen gehen, welches meinen Bart geschmeidiger macht. Auch mit Bart will ich ja schick aussehen und nicht daherkommen wie ein zerzauster Strassenköter.

* Redaktor René Hensler (*1974) spielt 2024 bereits zum sechsten Mal am Einsiedler Welttheater mit. Vom Welttheatervirus angesteckt wurde er von seinem damaligen Klassenlehrer. Und alle paar Jahre bricht die-ser Virus wieder in ihm aus. In loser Reihenfolge ermöglicht er während des ganzen Jahres als «Arkadenspion» Einblicke in die Arbeit rund um das Spiel.

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