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«Unsere Kirche ist in Not»

«Unsere Kirche ist in Not» «Unsere Kirche ist in Not»

Der ukrainische Weihbischof Wolodymyr Hruza war am Sonntag Hauptzelebrant im Pontifikalamt der Wallfahrt nach Einsiedeln

«Es wäre angesagt, dass der Papst nach Kiew reisen würde, um ein klares Zeichen der Solidarität zu geben», sagt der griechisch-katholische Geistliche und ukrainische Weihbischof Wolodymyr Hruza aus Lemberg.

Wie geht es Ihnen in diesen bewegten Zeiten?

Wir leben in sehr spannenden Zeiten – Kriegszeiten sind überaus dramatisch. Es ist eine Zeit voller Leiden und Wunden. Es liegt an uns, Verantwortung für andere Menschen zu übernehmen – zu ihnen gehören Priester, die das Land nicht verlassen und auf diese Weise dem Krieg gegen die Ukraine ausgeliefert sind. Es gibt viele Gefahren in unserem Land – kein Ort ist sicher in der Ukraine. Sie stammen selber aus Lemberg. Fallen auch in Galizien Bomben? Ja, wenngleich Lemberg keineswegs im Bereich der Frontlinie liegt, wo sich die russische und die ukrainische Armee gegenüberstehen. Man muss im ganzen Land damit rechnen, von Bomben getroffen zu werden, in einen Bombenhagel zu geraten. Das Schlimmste ist, wenn in der Nacht der Alarm losgeht und man dann in den Keller flüchten muss. Man weiss nie, wann es losgeht. Lemberg ist also denn gleichermassen wie andere Städte in der Ukraine das Ziel von russischen Bombenangriffen. So ist die ganze Zivilbevölkerung in unserem Land betroffen: Alle Zivilisten sind Leidtragende in diesem Krieg.

Stehen Sie auf der Todesliste von Putin?

Jede Ukrainerin, jeder Ukrainer steht auf der Todesliste von Putin. Symptomatisch hierfür ist, wenn Russland eine Geburtsklinik angreift. Wofür? Um Leben auszulöschen. Wie geht es der katholischen Kirche in der Ukraine? Unsere Kirche ist in Not. Nichtsdestotrotz gilt: Die Kirche dient, die Kirche hat eine Mission zu erfüllen. Ich denke an all die Priester, die im Land ausharren und nicht die Flucht ergreifen: Sie sind nicht nur als Seelsorger tätig, sondern überdies als Sozialarbeiter – die Geistlichen haben auch ein soziales Werk zu verrichten. Russland greift die Ukraine an: Wieso ist die Orthodoxie wegen Moskau tief zerstritten? Die russische Kirche ist und war schon immer eine Staatskirche: Sie wird stark instrumentalisiert und politisch vereinnahmt. Bezüglich der ukrainischen Kirche kann man getrost festhalten: Sie ist in erster Linie der Seelsorge verpflichtet. Die Orthodoxie ist seit Jahren zerstritten. Zwischen dem ökumenischen Patriarchen Bartholomäus I. und Kyrill I. herrscht Eiszeit. Welchen Spielraum gibt es?

In Jesu Wort heisst es: «Ich habe noch andere Schafe, die nicht aus diesem Stall sind; auch sie muss ich führen, und sie werden auf meine Stimme hören; dann wird es nur eine Herde geben und einen Hirten.» Ich hoffe in diesem Sinne darauf, dass es einen Hirten und eine Herde geben wird. Jeder soll seinen Teil dazu beitragen. Es ist wie im Sport: Auch grosse Distanzen müssen mit kleinen Schritten in Angriff genommen werden. Wesentlich ist, dass wir offen sind und bleiben für die anderen – dass wir gemeinsam vereint miteinander unterwegs sind. Wie ist es möglich, dass sich eine Kirche unter die Interessen eines kriegerischen Diktators unterordnet? Diese Unterordnung ist ja beileibe nicht in einem Tag über die Bühne gegangen: Die Instrumentalisierung der russischen Kirche hat eine lange Vorgeschichte. Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde die orthodoxe Kirche eine Staatskirche, währenddem die katholische Kirche unterdrückt, verfolgt und in den Untergrund verdrängt wurde. Vor über dreissig Jahren wurde dann die ukrainische griechisch-katholische Kirche legalisiert, nachdem sie im Jahr 1946 auf einer Pseudo- Synode in Lemberg aufgelöst worden war. Gleichzeitig kam es in den 90er-Jahren zu einer Spaltung in eine russische und eine ukrainische orthodoxe Kirche. Kyrill legitimiert den Krieg religiös und theologisch: Was bedeutet dies für die Ökumene? Das ist ein brutaler Akt, der sich gegen das Christentum und auch gegen jede andere Religion richtet. Es ist ein beispielloser Akt, weil er vollends mit Gewalt durchtränkt ist, den wir zutiefst und mit allen Mitteln ablehnen.

Was erwarten Sie von der Vatikan- Diplomatie? Müsste der Papst in Rom mehr unternehmen?

Es wäre angesagt, dass der Papst nach Kiew reisen würde, um ein klares Zeichen der Solidarität zu geben: Er ist in der ukrainischen Hauptstadt hochwillkommen. Es sind ja bereits andere Staatsoberhäupter nach Kiew gereist. Wobei es hier ja nicht nur um Diplomatie geht: Im Kirchenwesen steht die Seelsorge zuoberst, vor allen anderen Dingen.

Was erwarten Sie von Kardinal Kurt Koch, Schweizer «Ökumene- Minister» des Papstes im Vatikan?

Ich möchte nicht Menschen idealisieren – auf dass ich nicht frustriert werde. Was könnte Kardinal Kurt Koch erreichen und bewirken? Ich weiss es nicht. In jedem Fall wäre auch Kurienkardinal Kurt Koch in Kiew sehr willkommen.

Sind Sie selber überrascht worden, dass Putin diesen Krieg gegen die Ukraine angezettelt hat? Ich bin über alles sehr überrascht worden, als am 24. Februar 2022 der Alarm losgegangen und der Krieg ausgebrochen ist: Ein Krieg inmitten von Euro-pa im 21. Jahrhundert? Unglaublich absurd. Mögliche Gründe für den Kriegsausbruch gibt es viele: Putin kann die Ukrainerinnen und Ukrainer nicht in Würde leben lassen. Er hat Angst vor der demokratischen Bewegung in unserem Land. Naturgemäss geht es um Macht und Ideologie: Putin hat Sehnsucht nach jenem Imperium, in dem er gross geworden ist. Putin gehört jener Generation an, für welche die Existenz der Sowjetunion selbstverständlich gewesen ist. In diesem Sinne ist sein Gebaren Ausdruck eines überkommenen Grossmachtdenkens. Was können wir für den Frieden tun – ausser zu beten? Wir können Zeugen der Wahrheit sein. Sich hinter einem Neutralitätsbegriff zu verstecken, macht keinen Sinn: Das Christentum selber ist nicht neutral und bezieht Stellung in den Fragen, die das ganze Leben betreffen. Sich zu verteidigen ist schliesslich ein Menschenrecht. Für die Weltstabilität ist es wesentlich, dass diesem Krieg Einhalt geboten werden kann. Was begonnen worden ist, muss wieder beendet werden – was bei einem Krieg nicht einfach ist. Ich bin zuversichtlich, dass die ganze Wut, die der Krieg gegen die Ukraine auslöst, schliesslich in Mut umgewandelt werden kann.

Foto: Magnus Leibundgut

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