Das Monatsgespräch mit George Klee – Heute lesen, was morgen im EA steht
Franziska Keller trifft George Klee, Journalist, Soulfather und Macher
Jahrgang: 1954
Bürgerort: Zürich, Heiden
Geburtsort: Zürich
Wohnort: Einsiedeln
George Klee habe ich schon seit zwei Jahren auf dem Radar. Ich kenne ihn nicht persönlich, aber eine Kollegin hat mich auf ihn aufmerksam gemacht: Klee, ein ehemaliger Zürcher, kritisch, konstruktiv, eine spannende Persönlichkeit. Eine erste Anfrage führte damals zu einem Nein – der Anruf ein Jahr später ist zielführender und wir vereinbaren einen Termin im Drei Herzen. Beim Eintreffen sitzen vier Herren alleine an Tischen: welcher ist es denn nun? Wir hätten vielleicht doch ein Kennzeichen vereinbaren sollen …
Nebst dem Kritiker sitzt mir, wie ich nach den Einleitungsworten erfahre, auch noch ein ehemaliger Chefredaktor gegenüber – das kann ja heiter werden und mitten in der Fragestellung wechsle ich plötzlich vom Sie zum Du. Das Gespräch ist überaus spannend und wir könnten locker zwei Seiten füllen.
Was bedeutet Musik für Sie?
Es ist eine Leidenschaft.
Wer hat Sie zur Musik gebracht?
Schlicht und ergreifend meine Jugenderlebnisse. Die ganze gesellschaftliche Entwicklung anno dazumal, die Jugendbewegung in den 68ern, da warst du entweder dabei und hast dich voll engagiert oder du gehörtest nicht dazu.
In den späten Sechzigern war die Musik mehr als nur Klang. Sie war ein Teil meiner Sozialisierung. Wir definierten uns über die Musik, bildeten sozial dementsprechende Gruppierungen und bauten in der Schule ganze Strukturen nach unseren Vorlieben auf, da gab es die Beatlesfans, Stonesfans und eine dritte kleine Gruppe widmete sich Jimi Hendrix, den Doors, Janis Joplin.
Wie sind Sie zu Soul Jam gekommen?
Es gab unterschiedliche Bands, viele von ihnen wehrten sich in ihren Songs gegen die Gesellschaftsstrukturen. Oder man hat die Band als rebellisch gesehen, weil die Leute in der Bewegung sich ihre Musik anhörten. Die Musik bekam dadurch eine politische und soziale Bedeutung, sie war damals nicht isoliert vom Rest der Welt, sondern gehörte zur ganzen Entwicklung der damaligen Gesellschaftsform. Sie hatte damals einfach ein ganz anderes Gewicht mit viel Dynamik, enormer Reibungsfläche und ich find’s echt schön, dass ich das miterleben durfte. Das ist heute anders, da viel Industrieware abgespielt und die Musik ohne authentische Aussage in der westlichen Welt immer weniger gelebt wird.
Von den einzelnen Richtungen hat mich das Klangbild des Souls, der schwarzen Musik aus den US-Südstaaten, total angesprochen. Die erste Langspiel-platte, die ich besass, war eine Soulscheibe. Mit Gleichgesinnten gründeten wir 1996 Soul Jam.
Wer komponiert und textet die Soul-Jam-Songs und auf welchen Bühnen spielen Sie?
Wir komponieren nur wenige selbst, sondern übernehmen die meisten, da es so viele tolle Songs mit Wurzeln aus den Südstaaten gibt. Wenn wir etwas Eigenes machen, muss es besser sein – was ein sehr hoher Anspruch ist.
Tritt Soul Jam auch international auf?
Nach 25 gemeinsamen Jahren haben sich die Lebensentwürfe der einzelnen Bandmitglieder verändert und wir treten weniger und nur national auf, da sich Termine immer schwieriger finden lassen.
Sie leben als Stadtzürcher seit über 40 Jahren in Einsiedeln. Wie kams?
Durch Zufall; nicht gesucht – keine spannende Story – es hat uns einfach hierher verschlagen. Wir lebten oberhalb Gommiswald und wollten nicht mehr in einer Mietwohnung wohnen, sondern in einem Haus und autonom sein, hatten aber keine Kohle. 1980 las man also Zeitungsinserate und suchte dementsprechend ein Haus bis zum Betrag x und da kam einzig ein denkbares Objekt hier in Frage: ein paar schräge Bretter, es «schiffte» ins Dach, Warmwasser gabs keines.
Meine Frau und ich fuhren mit dem Töff bei strömendem Regen über den Etzel zur Hausbesichtigung. Zum Entsetzen und vielen nachfolgenden Entbehrungen meiner Frau, ohne die das meiste in meinem Leben nicht möglich gewesen wäre, sagte ich zum Hausverkäufer: «Isch guet, chaufemer.» Das ist möglicherweise sinnbildlich dafür, wie ich oft funktioniere: Ich zaudere nicht ewig, bin eher der Macher – im guten und im schlechten Sinne.
Wie wurden Sie damals in den 80er-Jahren hier oben aufgenommen?
Eigentlich gar nicht. Anfangs war es ein absoluter Kulturschock, das kann man sich fast nicht vorstellen. Wir waren ja nicht gerade Aussätzige – aber nahezu. Meine Frau und ich haben uns die Hausarbeit und Kinderbetreuung geteilt und ich war wohl einer der ersten Väter, der, zusammen mit Armin Fässler, tagsüber mit den Kindern im Kinderwagen spazieren und ins Muki-Turnen ging.
Als Städter meint man vielleicht fälschlicherweise, hier gehöre man automatisch ins Gefüge – dass dies anders ist, stellte sich bald heraus. Man versuchte, altgewachsene Wurzeln vor uns Neuzugezogenen zu schützen. Es wäre falsch ausgedrückt, dass wir uns integriert hätten, aber wir suchten irgendwie ein Miteinander, versuchten, hier doch anzukommen.
Es ist etwas, das mich bis heute fasziniert, und über die Jahre habe ich gemerkt, dass man schon ganz gut ankommen und tolle Menschen finden kann.
Vermissen Sie etwas aus der städtischen Zivilisation?
Ja, ich vermisse Zürich – das Zürich von früher. Ich vermisse die Bewegung in den Städten, die mich als Mensch dazu bewegte, Formen, Autoritäten und Strukturen zu hinterfragen – ich vermisse die Stadt im Aufbruch. Ich sage damit nicht, dass es früher besser oder schlechter war – es war ein urbanes Phänomen, das sich bewegte. Ach ja, und dann fehlen mir noch der Frühling und die Wärme.
Welche Bewegung nehmen Sie in Einsiedeln wahr?
Keine. Es gibt kein gemeinsames Austarieren, sondern jede Form von Bewegung ist sehr fragmentiert. Da sind schon einzelne Bewegungen und Veränderungen im Gange, aber nicht im grossen Ganzen. Ich erlebe eher Rückzugs- oder Schutzbewegungen. Hier sind wohl viele Menschen, die sich sozial engagieren, aber das grosse Öffnen findet nicht statt. In diesem Sinne existiert «die Bewegung» nicht. Grundsätzlich wünschte ich mir mehr Lockerheit und Offenheit.
Was ist dir wichtig im Leben?
Ich möchte mir am Schluss selbst in die Augen schauen und sagen können: «Was ich gemacht habe, habe ich anständig gemacht.»
Was findest du besonders an Einsiedeln?
Ich finde das kulturelle Leben hier beeindruckend, was mit den Menschen und der Durchmischung der Neuzugezogenen mit den Einheimischen zu tun hat. Und betonen möchte ich viele tolle Menschen und eine grosse Herzlichkeit, die ich über die Jahre hier auch kennengelernt habe.
Möchtest du bis zum Ende hierbleiben oder zieht es dich doch wieder in die Stadt?
Eine praktische Frage, die ich ganz praktisch beantworten kann, denn ich habe immer gesagt: «Ich will wieder zurück nach Zürich!» Das können wir uns aber schlicht gar nicht mehr leisten, da es fast nicht mehr bezahlbar ist. Und, wie erwähnt: wir sind letztlich hier wirklich gut angekommen. Uns gefällt es hier.
Zum Schluss: Warum wirst du auf der Band-Webseite als gnadenloser Kritiker beschrieben?
Ich erlebe dich eigentlich ganz angenehm.
Ich neige dazu, meine Meinung zu sagen – auch dort, wo sie nicht unbedingt eingefordert wird, und ich hinterfrage vieles. Ich glaube und hoffe aber, dass meine kritischen Gedanken auf der Auseinandersetzung mit der Sache und auf dem Anspruch gründen, etwas möglicherweise fundierter zu entscheiden, vielleicht besser, richtiger zu machen.