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Schwyzer Söldnertum – etliche falsche Annahmen korrigiert

Schwyzer Söldnertum – etliche falsche Annahmen korrigiert Schwyzer Söldnertum – etliche falsche Annahmen korrigiert

Eine Fachtagung befasste sich mit dem Soldwesen in der Zentralschweiz und Schwyz. Neue Erkenntnisse sind vorgestellt worden.

JOSIAS CLAVADETSCHER

Das Söldnertum vergangener Jahrhunderte hat in der Zentralschweiz – und besonders in Schwyz und Luzern – Spuren bis heute hinterlassen. Einerseits als Teil der historischen Forschung in zahlreichen Dokumenten und andererseits in repräsentativen Bauten, welche die Soldunternehmer und aristokratischen Familien mit den Gewinnen aus dem Solddienst erstellen konnten. Aber treffen wirklich all die landläufigen Annahmen zu? Waren die Schwyzer Söldner wirklich rauflustige, blutrünstige Krieger? Warum zogen sie in fremde Dienste? Und wie viele waren es überhaupt? Oder sind viele Annahmen einfach falsch? Eine Fachtagung des Historischen Vereins der Zentralschweiz (HVZ) hat sich in sechs ausgezeichneten Referaten mit der Thematik «Militärunternehmertum und Soldwesen» eingehend befasst. Das Ergebnis ist überraschend. Es war ein «marktorientiertes Geschäftsmodell» In seiner im Jahr 1548 erschienenen Chronik der Alten Eidgenossenschaft verklärte Autor Johannes Stumpf (1500–1578) «die besondere Kriegstüchtigkeit der ‹Eidgenossen›». Sie sei-en «zur Waffe geboren». Tatsächlich werden es gemäss der neueren Forschung vom 15. bis 19. Jahrhundert mehrere 100’000 Schweizer gewesen sein, die für fremde Herrscher Solddienste geleistet haben.

Dass aber aufgrund von Armut oder Überbevölkerung so viele in den Solddienst und damit in die temporäre Emigration getrieben worden sind, trifft nur sehr bedingt zu. Wie Professor André Holenstein darlegte, war der Solddienst ein Marktphänomen. Es bestand in Westeuropa eine Nachfrage nach Kriegern. Es war also eine Nachfrage am Markt, die gerade in der Zentralschweiz und Schwyz von einigen Familien gezielt als Geschäftsmodell bewirtschaftet worden ist.

Weiter hat die geopolitische Lage der damaligen Eidgenossenschaft diesem Marktmodell in die Hände gespielt. Die Eidgenossenschaft kontrollierte die Pässe im zentralen Alpenraum und lag als weitgehende «Friedensinsel » genau zwischen den grossen Machtzentren: hier spanisch- österreichische Habsburg, dort das königliche Frankreich. Und zudem lag die Eidgenossenschaft immer nahe an den Kriegsschauplätzen in Oberitalien, Nordfrankreich, Süddeutschland, dem Elsass und der Pfalz. Die Aufmarschwege waren relativ kurz.

Familien sicherten sich Macht und Einfluss Wesentlich waren also die «Unternehmer in diesem Kriegsgeschäft ». Sie rekrutierten und bildeten die Söldner aus, stellten meist eigene Kompanien mit rund 200 Mann, teils sogar ganze Regimenter, und kommandierten diese auch noch selber.

Ebenfalls waren sie Finanziers für dieses Geschäft. Dies waren über mehrere Jahrhunderte hinweg Familien der politischen und kulturellen Eliten vor Ort, die mit den Erträgen aus dem Söldnerwesen wiederum ihre Stellung im eigenen Land sichern und ausbauen konnten. Es ging letztlich um Macht und Einfluss.

In der Zentralschweiz waren dies 34 Familien, davon 5 aus dem Kanton Schwyz: Auf der Maur, Betschart, Nideröst, (von) Reding und (von) Weber. Vertreter dieser Familien waren nicht nur Soldunternehmer für Habsburg- Österreich, Frankreich, Savoyen und Spanien-Mailand, sondern sie waren vor Ort dann auch Landvögte, Landammänner, Ordensleute, Äbte und Geistliche.

Um nicht ein «Klumpenrisiko» zu fahren, haben diese Soldunternehmer oft Kompanien gleichzeitig für mehrere sich konkurrierende Herrscherhäuser gestellt. Im Jahr 1709 kam es so in Nordfrankreich zur Schlacht bei Malplaquet, an der sich prompt Schwyzer und Schweizer auf französischer und niederländischer Seite bekämpften und 8000 Mann Verluste verzeichneten. An der Tagsatzung führte dies zu heftigem Disput.

Grosse Zahlen sind ziemlich falsch

An der Fachtagung korrigiert wurde auch die Annahme, dass Abertausende von Schwyzern in fremde Dienste gezogen sind. Im 15. und 16. Jahrhundert waren das «Reislaufen» und der Solddienst noch relativ anarchisch, also kaum organisiert. Darum ist die Quellenlage dort schwach. Um das Jahr 1700 he-rum aber sind Daten vorhanden, mit denen sich nun falsche Annahmen korrigieren lassen.

Die bis heute vertretene Ansicht, dass von 1701 bis 1705 zum Beispiel zwischen 3000 und 4000 Schwyzer im Solddienst gestanden sein sollen, ist falsch. Wie der Historiker Oliver Landolt – bis vor Kurzem noch auf dem Staatsarchiv Schwyz tätig – ausführt, zählte das Gebiet des Kantons Schwyz damals lediglich 21’000 Einwohner. Nur etwa 2700 davon waren überhaupt «wehrfähig»,wovon höchstens ein Bruchteil im Solddienst stand.

Dazu kommt, gemäss Referat von Historiker Willi Loepfe, dass sowohl im Kernland Schwyz wie in seinen Untertanengebieten (March, Höfe, Küssnacht) niemand zum Dienst gezwungen werden konnte. Auch eine angebliche Überbevölkerung und damit der Zwang zum Kriegsdienst spielte keine Rolle.

Holz- und Viehexport war interessanter Zudem belegen die neuen Forschungen, dass über Jahrhunderte der Vieh- und Holzexport wirtschaftlich ein wesentlich grösseres Gewicht gehabt hat als das Söldnertum, ganz abgesehen von den damit verbundenen Risiken wegen Verletzungen, Krankheiten, Seuchen und Tod. «Das Land Schwyz war zu keiner Zeit auf den Solddienst angewiesen», wird betont.

Der Solddienst hat zwar die oligarchischen Unternehmerfamilien reich gemacht, aber nicht die Allgemeinheit. Um die Bevölkerung ruhigzustellen, wurden Kleinund Kleinstbeträge aus den Pensionen an die Landleute verteilt.

Keine Kriegserfahrung für die eigene Miliz Immer wieder wurde bisher das Argument vorgebracht, dass die Kantone und die Eidgenossenschaft mit dem Engagement von Männern in fremden Diensten militärische, taktische und strategische Kenntnisse und Erfahrung sammeln konnten, um diese bei den eigenen Truppen anwenden zu können. Das sei ebenfalls eine «unzulängliche These», erklärte Historiker Landolt.

Zum Beispiel weil die schwyzerischen Truppenführer möglichst lange im Ausland blieben, zu ihrem eigenen materiellen Vorteil und um Karriere zu machen. So war eine Ausbildung der schwyzerischen Miliz vor Ort gar nicht möglich.

Die chaotische Auflösung der Innerschweizer Truppen und die miserable Führung durch die Offiziere im Jahr 1712 im Zweiten Villmergerkrieg belegen deutlich, dass von im Ausland erlernter Kriegskunst keine Rede sein kann. Die Ausrüstung der Innerschweizer Truppen war rückständig, die Heeresverfassung schlecht, die Miliz versagte.

Angebaut an das im Jahr 1609 erstellte Ital-Reding-Haus (rechts) ist ein Ökonomiegebäude (links), das im Jahr 1663 erbaut und höchstwahrscheinlich als Kaserne für angeworbene Rekruten und Söldner bis zu deren Weitertransport genutzt worden ist. Foto: Josias Clavadetscher

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