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«Ich denke immer wieder an Einsiedeln und die Mitbrüder»

«Ich denke immer wieder an  Einsiedeln und die Mitbrüder» «Ich denke immer wieder an  Einsiedeln und die Mitbrüder»

Seit hundert Tagen ist Pater Kolumban Reichlin Gardekaplan in der Vatikanstadt. Bereits ist der 50-jährige Benediktinermönch einmal dem Papst begegnet: «Es war eine sehr persönliche, gleichsam familiäre Begegnung.»

MAGNUS LEIBUNDGUT

Wie haben Sie Ihre ersten hundert Tage im Amt als Gardekaplan erlebt?

Es waren interessante und intensive Tage, da es viele neue Gesichter und Namen, die neuen Örtlichkeiten und Aufgaben kennenzulernen und auch die Fremdsprachen wieder aufzufrischen galt. Und natürlich habe ich in dieser Zeit auch die einzelnen Gardisten, die Garde als grosse Familie wie auch das Kommando und die Ehefrauen und Familien der Gardisten etwas näher kennenlernen dürfen. Haben Sie sich bereits in der Vatikanstadt einleben können? Ich komme inzwischen gut zurecht hier und weiss ungefähr, wo was zu finden und zu bekommen ist. Immer wieder gibt es aber auch Neues zu entdecken und gilt es, sich ein Stück weit auch an die italienische Lebensweise anzupassen, was für Schweizer bisweilen herausfordernd, aber auch heilsam sein kann. Wie sind Ihre ersten Eindrücke von der Ewigen Stadt? Abgesehen von dem einen und andern Abendessen war ich bis jetzt erst zwei- oder dreimal mit Gästen in der Stadt unterwegs. Ich fühlte mich jeweils zwanzig, dreissig Jahre zurückversetzt in die Zeit, als ich als Teenager und später als Student durch diese Metropole geschlendert bin. Auf den ersten Blick scheint sich seither wenig verändert zu ha-ben. Das schafft Vertrautheit und das Gefühl, in gewisser Weise zu Hause zu sein.

Haben Sie Heimweh?

Schon als Kind hatte ich kaum Heimweh, da ich immer gerne Neues entdeckt und kennengelernt habe. Aber ich bin sehr heimatverbunden. Ich denke immer wieder an Einsiedeln und meine Mitbrüder – auch und gerade, wenn ich jeweils die beiden Kopien der Schwarzen Madonna in der Gardekapelle und im Kommandotrakt sehe und kurz innehalte.

Bekommen Sie bisweilen Besuch von Ihren Mitbrüdern aus Einsiedeln? In der kurzen Zeit seit Oktober war erst Abt Urban hier zu Gast. Ich freue mich darauf, künftig weitere Mitbrüder willkommen heissen und beherbergen zu dürfen. Die Einladung steht; die Mitbrüder wissen es. Schlafen Sie gut im Quartier der Schweizergarde? Oh ja; es fehlt mir nachts selten an der nötigen Bettschwere und an entsprechend gutem Schlaf. Mit welchen Aufgaben sind Sie in der ersten Zeit als Gardekaplan betraut worden? Zunächst einmal bin ich als ihr Seelsorger Ansprechperson für die rund 135 Gardisten und ihre Familien. Ich feiere mit ihnen täglich Gottesdienste. Zudem treffe ich die Gardisten regelmässig zur Weiterbildung und Vertiefung von Lebens- und Glaubensfragen und organisiere und begleite auch Pilgerfahrten und Ausflüge mit ihnen. Jetzt im Januar treffe ich mich zehnmal mit den 14 neuen Rekruten, um sie in das katholische Zentrum einzuführen und mich mit ihnen über den christlichen Glauben auszutauschen und den einen und andern Aspekt zu vertiefen. Und diese Woche werde ich mit dem Kommandanten noch in die Schweiz fahren für die Rekrutierungsgespräche mit den jüngsten Bewerbern, die dreimal jährlich stattfinden.

Sie begleiten 135 Gardisten als Seelsorger: Welchen ersten Eindruck haben Sie von den Soldaten?

Es sind aufgeweckte, interessierte junge Menschen, die mich in ihrer zuvorkommenden Art und mit ihrer Entscheidung für diesen zweijährigen Dienst beeindrucken. Diese dienstbereiten Männer in der Blüte ihres Lebens erfüllen hier nicht bloss einen Job; sie leben hier eine Berufung, sammeln eine Fülle von Erfahrungen und kehren gereift und mit einem erweiterten Bewusstsein vom Leben, vom Wert der Gemeinschaft und der Disziplin, vom Glauben und von der Kirche in ihre Heimat zurück. Das ist eine unglaubliche Chance, eine Lebensschule! Sprechen Sie in französischer und in italienischer Sprache mit den Gardisten aus dem Welschland und dem Tessin oder gar in Latein? Die verbindende Sprache hier ist Italienisch. Aber natürlich spreche ich mit den Gardisten und mit den Ehefrauen privat auch mal Französisch oder Englisch und häufig auch Schweizerdeutsch. Die offiziellen Anlässe wie auch die Gottesdienste sind in der Regel dreisprachig, zumindest an den Wochenenden; während der Woche sind die Gottesdienste meistens Italienisch. Welche kulturellen Aktivitäten müssen Sie organisieren? Der Kaplan ist unter anderem für die Organisation des Besuchs des heiligen Nikolaus im Gardequartier, bei den Familien und im Staatssekretariat zuständig. Er organisiert mit dem Sakristan auch die Advents- und Weihnachtsdekoration im Quartier sowie die gemeinsame Weihnachts- und 1.-Augustfeier. Hinzu kommt die Organisation und Durchführung des Missionsfestes am Ende der Fasnachtszeit mit Tombola und ansehnlichen Preisen wie Vespa, TV, handsignierter Bibel des heiligen Vaters und so weiter, die der Garde geschenkt und teils via Losverkauf, teils via Versteigerung an die Gardisten abgegeben werden. Der Erlös im ansehnlichen fünfstelligen Bereich kommt jeweils ein oder zwei Hilfswerken zugute. Sie sind auch für Pilgerfahrten zuständig. Welche Wallfahrten stehen im Fokus? Nach Weihnachten habe ich für die Gardisten, die polnischen Schwestern in der Küche und für die Familien und Ehefrauen in drei Gruppen eine Wallfahrt ins schöne Rietital nördlich von Rom organisiert. Dort haben wir die beiden franziskanischen Klöster Fonte Colombo und Greccio besichtigt, miteinander Eucharistie gefeiert und am Abend in Greccio die Aufführung der «lebenden Krippe» besucht, die der heilige Franz von Assisi im Rahmen einer Eucharistiefeier an Weihnachten 1223 erstmals realisiert hat.

Was steht in der Fastenzeit auf dem Programm?

Weiter steht in der Fastenzeit die sogenannte Sieben-Kirchen- Wallfahrt mit jedem Geschwader an, bei der wir an einem Tag über zwanzig Kilometer zu Fuss durch die Stadt Rom pilgern, die sieben Hauptkirchen besuchen und dort jeweils eine kurze Andacht halten. Mitte Mai folgt dann die Teilnahme mit einer Delegation an der internationalen Militärwallfahrt nach Lourdes und Ende August, Anfang September eine jeweils siebentägige Heilig-Land-Wallfahrt in drei Gruppen. Auf der Interessenliste der Gardisten stehen darüber hinaus auch Assisi, Montecassino, Subiaco und Turin. Was davon sich zusätzlich realisieren lässt, werden die Covid- 19-Situation und die verfügbare Zeit entscheiden.

Sind Sie bereits einmal dem Papst begegnet? Wie haben Sie ihn erlebt? Ich habe Papst Franziskus vergangene Woche im Rahmen eines Antrittsbesuches, wozu er mich eingeladen hat, erstmals getroffen. Es war eine sehr persönliche, gleichsam familiäre Begegnung. Mich haben seine Aufmerksamkeit und Einfachheit, aber auch sein waches Interesse, seine detaillierten Kenntnisse bis hin zu konkreten Namen und seine grosse Wertschätzung gegenüber der Schweizergarde beeindruckt. Nebst den Familien liegt ihm auch eine gute, ganzheitliche menschlich-spirituelle Entwicklung der einzelnen Gardisten besonders am Herzen. Ist Ihnen bereits einmal Kardinal Kurt Koch über den Weg gelaufen?

Am Weihnachtsabend habe ich nach dem Abendessen alle Gardisten auf den Wachtposten besucht, ihnen Weihnachtsgebäck und Glühwein vorbeigebracht und mit ihnen auf Weihnachten angestossen. Ich war gerade unterwegs zu einem Posten, als ich einigen Leuten begegnete, die von der Mitternachtsmesse mit Papst Franziskus im Petersdom gekommen sind, darunter ganz unscheinbar in der Menge auch Kardinal Kurt Koch. Obwohl ich eine Maske trug, hat er mich sogleich erkannt, mir gesegnete Weihnachten gewünscht und ein paar Worte mit mir gewechselt; das hat mich sehr gefreut.

Ist Ihr Engagement als Gardekaplan zeitlich befristet?

Offiziell wird der Gardekaplan jeweils für fünf Jahre für diesen Dienst ernannt, wobei auch Verlängerungen möglich sind. Wissen Sie bereits, welche Aufgaben und Funktionen womöglich nach Ihrer Amtszeit als Gardekaplan auf Sie warten könnten?

Ich habe gelernt, im Augenblick zu leben. Was in fünf Jahren sein wird, das beschäftigt mich heute noch nicht, da ich ja selbst die Herausforderungen und Freuden von morgen nicht kenne.

Am 7. Januar ist Pater Kolumban Reichlin Papst Franziskus begegnet. Die Privataudienz fand in der Privatbibliothek des Papstes im Apostolischen Palast statt.

Foto: Vatican Media

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