Militärprojekt Satteleggstrasse
Vor 80 Jahren wurde die Satteleggstrasse zum ersten Mal offiziell befahren. Hinter dem Bau während des Zweiten Weltkrieges stehen eine ganze Reihe von Schicksalen, Skandalen und grossen menschlichen Leistungen.
HEIDI PERUZZO
Für die meisten ist die Satteleggstrasse ein gewöhnlicher Pass, welcher von Vorderthal nach Willerzell führt. Hinter dem ehemaligen militärischen Projekt stehen aber eine ganze Reihe von Schicksalen, Problemen, Skandalen und grossen menschlichen Leistungen.
In Geschichtsbüchern ist kaum etwas über den Bau der Satteleggstrasse während des Zweiten Weltkriegs zu erfahren, das Projekt war geheim. Auftraggeber war die Schweizer Armee, welche den Beschluss zum Bau der Militärstrasse im Februar 1940 fällte. Die elf Kilometer lange Strasse sollte das Wägital mit dem Sihltal verbinden und war als Rückzugsstrasse ins Reduit gedacht. Der Strassenabschnitt auf der Wägitaler Seite musste so angelegt werden, dass er vom Ricken aus nicht gesehen werden konnte.
Strassenbau in Handarbeit
Zackig wie der militärische Entscheid sollte das Projekt an die Hand genommen werden, geplant waren gerade mal fünf Monate. Mit dem Bau wurde begonnen, bevor definitive Pläne vorlagen. Die Armeeleitung plante die Fertigstellung auf Ende November 1940, was sich aber schon bald als illusorisch herausstellte. Fertiggestellt wurde sie schliesslich 17 Monate später als ursprünglich geplant, am 30. März 1942. Die Baukosten wurden anfänglich auf 1,4 Millionen geschätzt, die tatsächlichen Ausführungskosten betrugen 4,7 Millionen. Franken.
Ausser Kompressoren, Rollbahnen und drei Strassenwalzen standen für den Bau keine Maschinen zur Verfügung. Für Transporte wurden Pferdegespanne eingesetzt. Es fehlte allenthalben an technischen Hilfsmitteln, sodass die ganze Strasse praktisch in «Handarbeit» erledigt werden musste. Weitere Schwierigkeiten erwuchsen den Planern und Arbeitern auch in der Geologie. Der damalige Bauleiter Max Keller erzählte in einem Interview im «March-Anzeiger » vom 28. Oktober 1995: «Wir begegneten fast überall einem sehr wechselhaften Gelände, verschiedene Felspartien wurden von Erd- und Schieferpartien durchzogen, im Wechsel mit Waldpartien, Alpweiden und sumpfigem Gelände.» Der Bau war in vier Lose (Abschnitte) eingeteilt. Grosse Probleme bereitete die Beschaffung der benötigten Arbeitskräfte. Nebst 400 polnischen und 300 französischen Kriegsinternierten waren auch viele Juden, die vor dem Nazi-Regime in die Schweiz flüchteten, am Bau der Satteleggstrasse beteiligt. Durch die Arbeitsämter wurden auch Leute aus den Städten Zürich und Basel zugewiesen. Die meis-ten der Arbeiter waren keine Baufachleute, auch die Motivation war nicht immer dem ambitiösen Projekt angemessen. Durchschnittlich waren etwa 500 Arbeiter beschäftigt. Für den Endspurt im Herbst 1941 stieg die effektive Belegschaft auf den Spitzenwert von 1074 Arbeitern, die Zeit drängte. Die Einweihung der Strasse erfolgte schliesslich am 29. November 1941.
Für die Unterkunft standen sechs Barackenlager mit Kantinen zur Verfügung. Diese waren teilweise absolut primitiv, erinnerte sich Max Keller im Inter-view. Seines Wissens entstand jedoch nie eine spürbare Opposition. Die einheimische Bevölkerung pflegte mit den Arbeitern in den sechs Barackenlagern Steinboden, Rickental, Sattelegg, Eschenau, Güspi und Kohlweid kaum Kontakt.
20 Mal vor Untersuchungsrichter Wegen der enormen KostenÜberschreitung wurde eine kritische Nachprüfung eingeleitet, gleich 23 Ingenieure, Techniker und Poliere wurden angeklagt. Sie wurden verdächtigt, mit falschen Angaben in die Taschen ihrer privaten Firmen gewirtschaftet zu haben. Der damalige Bauleiter Max Keller muss-te sämtliche Lohnlisten und Abrechnungen vorlegen. Er erinnert sich, dass er zirka 20 Mal als Beschuldigter vor dem Untersuchungsrichter sass. Das Divisionsgericht schloss die Akte aber wegen fehlender Beweismittel mit dem Vermerk: «Der Sache wird keine weitere Folge gegeben.»
Nach dem Krieg verwaist
Über die Satteleggstrasse und den Umstand, dass die Armee diese baute, waren die betroffenen Landbesitzer nicht unglücklich. Dass sie jedoch später angehalten wurden, den Unterhalt zu übernehmen, stiess nicht auf Gegenliebe. Vorab Genossame und Korporation wehrten sich heftig gegen diese Belastung. Sie kritisierten, dass die Linienführung ohne Rücksicht auf örtliche Vorteile nach rein militärischen Gesichtspunkten projektiert wurde. Zudem wurde mit den Landeigentümern erst nach Baubeginn verhandelt.
Die Satteleggstrasse verwaiste nach dem Krieg, da die Armee kein Interesse mehr an diesem Übergang zeigte. Die Bezirke March und Einsiedeln teilten sich sodann die Pflege der Strasse, 1959 wurde sie vom Kanton übernommen – erst nach langwierigen Verhandlungen aller-dings. Bis dahin war die Passstrasse mit Kies bedeckt, erst später wurde sie asphaltiert.
Respekt vor der grossen Leistung Viele Kunstbauten an der Satteleggstrasse sind heute noch im Originalzustand und in guter Verfassung, wie Strassenmeister Bruno Abegg feststellt. Die Passstrasse befindet sich in einem Rutschgebiet, daher sei der Unterhalt aufwendig. «Die Strasse muss nicht perfekt sein, sondern die nötigen Sicherheitsaspekte erfüllen», meint Abegg.
Wie seine Westentasche kennt der 64-jährige Ruedi Birch-ler aus Gross die Satteleggstrasse. Seit 1970 ist er zuständig für den betrieblichen Unterhalt und fährt an 220 Tagen pro Jahr, teilweise mehrmals, über den Pass. Hochgerechnet auf die 32 Jahre Dienst kommt er somit locker auf 20’000 Befahrungen. «Ja, ich kenne wohl jeden Zentimeter », bestätigt er. «Es erstaunt mich immer wieder, wie exakt damals gearbeitet wurde. Während der Kriegsjahre waren einfache Hilfsmittel wie Beton rationiert, für alles musste ein Antrag gestellt werden. » Beeindruckt ist der Strassenarbeiter auch vom sogenannten Zyklopenmauerwerk, wie die Bauart der damaligen Kunstbauten bezeichnet wird. Ruedi Birch-ler weiss, dass ein guter Steinmetz höchstens drei Steine pro Tag hauen konnte. «Diese Steine haben die 80-jährige Belastung grösstenteils unbeschadet überstanden und stehen heute noch genauso da, wie sie eingepasst wurden.» Die Fugen muss-ten mit Sand gefüllt und durften lediglich mit einer dünnen Zementschicht überzogen werden. Diese Fugen werden heute beim Strassenunterhalt mit Zement ausgebessert.
Was Birchler auch erstaunt: «Viele der Kunstbauten wurden mangels Beton direkt an den Hang gebaut, wie wir bei Ausbesserungen schon festgestellt
haben.»
Als einzige Hilfsmittel standen den Arbeitern drei Strassenwalzen zur Verfügung.
Ein Blick in die Kantine des Interniertenlagers Güspi. «Diese Lager waren teilweise absolut primitiv», erinnerte sich der damalige Bauleiter Max Keller.
Der Viehdurchlass unterhalb der Sattelegg konnte nie in Betrieb genommen werden und wurde zubetoniert.
Weniger Maschinen – Mensch und Tier kamen zum Einsatz. Bilder: Privatarchiv Fridolin Mächler
Dezember 1940: Von der Vorderthaler Seite her wurde das Provisorium der Brücke über den Chratzerlibach erstellt.