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«Das steckt tief in mir drin»

«Das steckt tief in mir drin» «Das steckt tief in mir drin»

Frauen als Parteipräsidentinnen sind in Einsiedeln rar. Lilian Schönbächler stand vier Jahre lang der Ortspartei der FDP vor.

VICTOR KÄLIN

Ihr erster Gedanke, Ihr erstes Gefühl, als Ihr Entscheid feststand, das Präsidium abzugeben?

(überlegt) Ich hatte ein lachendes und weinendes Auge. Es fühlte sich an wie nach einer langen Ferienzeit: ein Abschied von etwas Schönem, aber im Wissen, an einem guten Ort anzukommen. Ich hinterlasse ein gutes Team. Das ist mein weinendes Auge. Dafür habe ich wieder mehr Zeit für mich. Das ist das lachende Auge. Wie aufwendig ist ein solches Amt? Das hängt stark von der Organisation des Vorstands ab. Bei uns ist er in verschiedene Ressorts aufgeteilt. Wir arbeiten sehr teamorientiert. Deshalb kann man das Präsidium problemlos neben seinem Beruf ausüben. Auf 8 bis 10 Stunden pro Woche kommt man aber schnell. Im Schnitt war es ein 20-Prozent-Pensum. Gut ist, dass man vieles flexibel erledigen kann. Es kommen aber noch einige Sitzungen hinzu … Wie haben Sie sich motiviert?

Mein Antrieb war sicher der Gemeinsinn – den englischen Begriff «common sense» kennen wohl viele besser. Die Schweiz baut darauf, dass jeder Bewohner seinen Beitrag für die Gesellschaft leistet. So bin ich aufgewachsen. Das steckt tief in mir drin. Der Gemeinsinn hat mich getragen. Und ich sehe direkt, wofür ich mich einsetze. Die Politik zeigt, dass man etwas bewirken und verändern kann – hier vor Ort in Einsiedeln.

Welche Ziele hatten Sie sich gesetzt, damals, als Sie an die Spitze der FDP Einsiedeln gewählt wurden?

Ich wollte erreichen, dass alle Parteien in Einsiedeln miteinander reden und sich für gemeinsame Lösungen einsetzen. Das war vor vier Jahren noch nicht so selbstverständlich. Tatsächlich sind die Parteien näher zusammengerückt, was nicht heissen muss, dass man von seiner politischen Haltung abrückt. Heute passiert es häufiger, dass Präsidenten überparteilich zum Hörer greifen. Als damals alle fünf Parteipräsidenten für ein Ja zum Klosterplatz geworben haben, signalisierten wir damit ganz klar: Zuerst kommt Einsiedeln, dann die Partei. Das ist für mich Kommunalpolitik.

Wo erkannten Sie die Grenzen einer Parteipräsidentin? Das letzte Präsidialjahr hat das Milizsystem der FDP Einsiedeln an seine Grenzen gebracht. Nationale Wahlen, der Grossanlass der FDP Kanton Schwyz im Kloster, die Vorbereitung der Kantonsrats- und Bezirksratswahlen … das führte einen an die Grenzen der Belastbarkeit. Da war ich sehr dankbar für das Team und den guten Austausch. Dennoch plädiere ich dafür, dem Milizsystem Sorge zu tragen und dieses nicht weiter zu professionalisieren. Politisch und strategisch ist das Milizsystem nach wie vor möglich. Irrtum vorbehalten, sind Sie die erste FDP-Präsidentin. Macht es einen Unterschied, ob Mann oder Frau an der Spitze steht? Ich kann das nicht beurteilen. Ich weiss ja nicht, wie ich arbeiten würde, wenn ich ein Mann wäre. Ich glaube, dass Diversität immer einen Unterschied macht. Vielleicht hat das dazu geführt, dass die eine oder andere Diskussion ruhiger und sachlicher verlaufen ist – gerade mit anderen Parteien.

Haben Sie genderspezifische Nachteile, oder Vorteile gespürt?

Nachteile nie. Wenn, dann spürte ich eher Wohlwollen. Wie empfinden Sie die politische Situation in Einsiedeln? Nachhaltig schockiert bin ich über die tiefe Stimmbeteiligung bei den Bezirksrats- und den Kantonsratswahlen. Selbst wenn eine echte Auswahl nicht gegeben sein sollte, sollten wir doch unsere Meinung kundtun.

In Einsiedeln nehme ich eine ruhige, friedliche politische Stimmung wahr. Vielleicht machen alle den Job viel zu gut, vielleicht ist es gar etwas zu ruhig. Wenn man sich am Stammtisch umhört, meint man einen grossen Handlungsbedarf zu erkennen. Aber diese Leute kommen leider meistens nicht an die Bezirksgemeinde.

Wie erlebten Sie die Zusammenarbeit mit den anderen Parteien, den Parteipräsidenten? Konstruktiv. In den letzten Jahren passierte tatsächlich ein Wandel. Die Präsidenten erkennen, dass ihr Verhalten eine wichtige Signalwirkung hat, wie die Leute über die Politik urteilen. Und wie war für Sie und die FDP die Zusammenarbeit mit dem Bezirksrat? In der Regel wurden wir pro-aktiv informiert. Das Verhältnis muss per Definition ja nicht zwingend harmonisch sein. Eine wichtige Aufgabe der Parteien ist ja, die Arbeit des Bezirks kritisch zu begleiten.

Was bringt die Zukunft der FDP in Einsiedeln, den (Orts-) Parteien insgesamt? Überleben sie? Ja, sie überleben. Das Schweizer Mehrparteiensystem ist zwar unter Druck, da immer weniger Menschen zum Mitwirken bereit sind. Das Mehrparteiensystem ist für mich jedoch das beste System überhaupt. Es zwingt uns, einen Konsens zu finden und Minderheiten zu integrieren. Und was tun die Parteien selbst für ihr Überleben? Hier muss ein Umdenken stattfinden. Wir müssen uns fragen, was die Jungen interessiert. Dann sind sie auch motiviert, in die Politik einzusteigen. Das hat sich in den letzten Jahren stark gewandelt. Wichtig ist auch das kollegiale Umfeld innerhalb einer Partei: Man darf miteinander an der Parteienarbeit durchaus Freude haben.

Wie sieht es aus mit dem Nachfolger? Gab es Probleme bei der Suche? Die Suche war tatsächlich ein grosses Thema. Da die langfristige Lösung aktuell noch nicht spruchreif ist, hat Kantonsrat Christian Grätzer am 25. Juni interimistisch das Präsidium übernommen. Die Erwartung ist, dass er das Amt in einem Jahr definitiv übergeben kann.

Nun naht das Amts-Ende: Was bleibt politisch? Gibt es politisch konkrete Erfolge, erledigte Aufgaben, angestossene Ideen … Der Umgang der Ortsparteien untereinander hat sich verbessert. Und ich bilde mir ein, dazu beigetragen zu haben. Ein nach wie vor offenes Thema sind die (wenigen) Frauen in der Politik. Da gibt es noch einiges zu tun. Ich hoffe, dass ich über mein neues Angebot «Coaching und Training » etwas bewegen kann. Es sollte mittlerweile keine Ausnahme, nichts Spezielles mehr sein, wenn eine Frau Präsidentin, Bezirks- oder Kantonsrätin ist. Was bringt die Zukunft Ihnen persönlich? Mehr Freizeit. Und mehr Zeit, meine Ausbildung als Ausbildnerin mit eidgenössischem Fachausweis abzuschliessen.

«Ein nach wie vor offenes Thema sind die (wenigen) Frauen in der Politik»: Lilian Schönbächler.

Foto: Victor Kälin

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