«Die Grösse der Katastrophe war eine besondere Herausforderung»
Roman Kälin, Regisseur und Künstler für visuelle Effekte aus Einsiedeln, spricht über den Bergsturzfilm.
In der neuen Erlebnishalle Goldauer Bergsturz im Besucherzentrum des Natur- und Tierparks Goldau gibt es einen Bergsturz-Simulator. Er zeigt, wie sich am 2. September 1806 der Bergsturz ereignete. Die Naturkatastrophe dauerte drei Minuten, 457 Menschen kamen ums Leben. Roman Kälin, Jahrgang 1985, aus Einsiedeln, Regisseur, Künstler für visuelle Effekte, hat die Katastrophe als Film für den Natur- und Tierpark Goldau realisiert. War die Visualisierung des Bergsturzes eine besondere Aufgabe für Sie? Ich war von Anfang an sehr angetan von der Idee und wollte mich dem Projekt unbedingt annehmen. Man hat selten die Chance, an einem Projekt zu arbeiten, das sowohl geschichtlich als auch aktuell in der Gegenwart eine so grosse Relevanz hat. Zusätzlich bin ich mit dem Bergsturz durch meine Heimat verbunden. Schon als Kind haben mich die riesigen Felsbrocken im Tierpark fasziniert. Man hat sich immer wieder gefragt, wie sich das wohl zugetragen hat. Mich dem anzunehmen, war eine sehr besondere Aufgabe und ein Herzensprojekt für mich. Was unterscheidet dieses Projekt von Ihren Arbeiten in der Werbung? Im Gegensatz zur Werbung steht nicht ein Produkt im Zentrum, sondern eine Geschichte. Der Goldauer Bergsturz war die grösste historische Naturkatastrophe der Schweiz. Damit hat-te das Thema von Beginn an bereits eine komplett andere Dimension. Die Geschichte und damit die Katastrophe visuell und emotional umzusetzen, war mit sehr viel Aufwand und Recherche verbunden. Der Bergsturzfilm macht die Katastrophe für das Publikum erlebbar und weckt Emotionen. Was war für Sie die besondere Herausforderung? Die unfassbare Grösse der Katastrophe war eine besondere Herausforderung. Der Simulator präsentiert den Film in einem überbreiten Format, dadurch ist das Blickfeld immer sehr weit, und wir hatten wenig Spielraum bei den Kameraeinstellungen. Vereinfacht gesagt, sieht man dadurch immer sehr viel, und das alles musste entsprechend erstellt werden. Wir mussten das Dorf und einen sehr grossen Teil der Landschaft um Goldau komplett in 3D erstellen, gestützt auf Gemälde, Texte und Überlieferungen. Nach dem Erstellen der Umgebung und der Dörfer war der noch aufwendigere Teil die Simulation und die Animation der Katastrophe. Neben den Abertausend Arbeitsstunden waren wir auch technisch am Limit, und gewisse Simulationen und Renderings lie-fen über Tage und teilweise so-gar über Wochen. Haben Sie das alleine realisiert oder steckt Teamwork dahinter?
Ein solches Projekt wäre alleine nicht realisierbar gewesen. Es steht ein grosses Team hinter mir. Nur Teamwork hat den Film erst möglich gemacht. Das Projekt wurde in unserem Studio und Kollektiv Pulk realisiert. Das ganze Team hat mit viel Passion und Hingabe an dem Projekt gearbeitet. Während der Dauer der Produktion waren mehr als zehn Personen unseres Studios involviert. Auch externe Personen waren beteiligt. Das Sound-Design wurde von Philip von During erstellt, und die Musik wurde von Jeremy Calame und Fabio Poujouly von Pavillon komponiert. Oscar Wüest von der Stiftung Bergsturzmuseum war eine unverzichtbare Hilfe und hat uns mit den geschichtlichen und geologischen Fakten und Unterlagen versorgt. Wie sind Sie mit der Präsentation im Tierpark Goldau zufrieden?
Ich bin sehr zufrieden mit der Präsentation im Simulator. Es war spannend, den Sprung auf den grossen Screen in der Bergsturzhalle zu machen und den Bergsturz in einer anderen Dimension zu erleben, als auf dem Bildschirm im Büro. Auch bin ich, wenn ich vor Ort bin, immer wieder fasziniert von der Architektur und der Inszenierung des Museums. Ich finde die Erlebnishalle Goldauer Bergsturz wurde spannend und ansprechend umgesetzt. Sie ist auf jeden Fall einen Besuch wert. Sie haben mit Kurz-, Animationsfilmen und mit Werbeaufträgen schon zahlreiche Preise gewonnen. Von welcher Auszeichnung träumen Sie? Ich bin sehr dankbar für die Preise und Auszeichnungen, die ich bereits erhalten durfte. Ich habe aber meine Arbeit nie danach ausgerichtet. Ich interessiere mich für spannende und ansprechende Projekte und die Chance, diese realisieren zu können. Die Anerkennung ist dann besonders viel Wert, wenn sie neue Türen öffnet.
Vor etwas weniger als zehn Jahren haben Sie den Kulturförderpreis des Kantons Schwyz erhalten. Was hat der Preis zu diesem Zeitpunkt für Sie bedeutet?
Ich habe lange im Ausland gelebt und gearbeitet und bin trotzdem oder gerade deswegen sehr verbunden mit meiner Heimat und meiner Familie. Zu diesem Zeitpunkt durfte ich zwar bereits einige internationale Preise entgegennehmen, aber die Anerkennung in der Heimat hat mich be-sonders gefreut und überrascht. Was fasziniert Sie an Ihrem Beruf?
Mich fasziniert im 3D-Bereich, dass der Kreativität sehr wenige Grenzen gesetzt werden beim Erzählen von Geschichten und deren Umsetzung. Mein Beruf hat eine sehr technische und gleichzeitig emotionale Komponente. Dieser Mix macht die Arbeit sehr abwechslungsreich und spannend. Ich übernehme viele verschiedene Aufgaben bei meinen Projekten und bin oft als Director, Artist und Producer am Werk. Diese Arbeit ist sehr anspruchsvoll, zeitintensiv und mit viel Verantwortung verbunden. Verändert sich die Computer-animation mit der künstlichen Intelligenz? Dieses Thema ist momentan brandaktuell mit der Präsentation von Sora, dem Text-to-Video- Modell, von OpenAI. Momentan finde ich es noch sehr schwierig, abzuschätzen, wohin das führt. Ich habe eine sehr gespaltene Haltung gegenüber den aktuellen Entwicklungen, was beispielsweise Midjourney und Sora angeht. Die Resultate sind in gleichem Masse faszinierend wie beängstigend. Ich kann momentan den positiven Nutzen nur begrenzt sehen und denke, dass AI bezüglich Copyright und Desinformation sehr problematisch ist. Es wird auf jeden Fall grosse Veränderungen geben. Im besten Fall wird unsere Arbeit in Zukunft einfacher und von AI unterstützt und im schlimmsten Fall ersetzt. Was sind Ihre nächsten Aufgaben?
Momentan bin ich mit diversen Werbeproduktionen beschäftigt. Sie leben in Zürich. Verbringen Sie noch Zeit in Einsiedeln? Ich bin nach wie vor oft in Einsiedeln bei meinen Eltern, meiner Familie und bei Freunden. Die Fasnacht nehme ich inzwischen mit meinen Kindern eher als Zuschauer wahr, bin aber regelmässig in der Region, wenn es sich einrichten lässt.
Foto: zvg