Auftakt der Orgelkonzerte
1. Orgelkonzert am Dienstag, 19. Juli, in der Klosterkirche
Den Start der Orgelkonzertreihe in der Klosterkirche macht Organist Stefano Bertoni.
STEFANO BERTONI
J. S. Bach Toccata und Fuge BWV 538: Die Toccata und Fuge in d-Moll BWV 538 trägt den gleichen Titel wie die bekannte Toccata und Fuge d-Moll BWV 565, wird jedoch oft mit dem Beinamen dorische versehen – Grund dafür ist die für d-Moll heute unübliche Schreibweise ohne Generalvorzeichen, die auf den ers-ten Blick den dorischen Modus vermuten lässt. Die beiden Werke unterscheiden sich musikalisch sehr voneinander, vor allem ist die BWV 538 beinahe monothematisch.
Die Quellen erwiesen die Datierung der Toccata zwischen 1727 und 1736; die Fuge hingegen ist schon am Ausgang der Weimarer Jahre, also etwa 1716/17, entstanden.
Die Toccata beginnt mit einem beharrenden Sechzehntel-Motiv, das sich nahezu ununterbrochen bis zum Ende fortsetzt. Dieses ist von kunstvollen Concerto-Effekten untermalt: Bach notiert in der Partitur Manualwechsel für den Organisten, eine sowohl für die damalige Zeit als auch für Bachs Orgelwerke, ungewöhnliche Vorgehensweise.
Die Fuge ist lang und komplex, und beinhaltet ein archaisch klingendes Thema, das eine markante Synkopierung (Akzentverschiebungen) und drei reine Quart-Sprünge aufwärts, aufweist. Andere Merk-male der Fuge BWV 538 weisen eine kantable Art, durch das Allabreve- Metrum unterstützt, von einer linearen Achtelbewegung (statt der Sechzehntel, die sich in den meisten Fugen Bachs finden), und enthält ausserdem viele Chromatismen, Vorhalte, sowie eine ununterbrochene Folge von Dialogen der Stimmen. Der Höhepunkt, die kontrapunktische Entwicklung, wird in den letzten vier Takten erreicht, wo das Werk mit Akkord-Blöcken über einem Orgelpunkt auf der Dominante zu einem eindrucksvollen Ende gelangt.
L. Vierne Sinfonie in d-moll op. 14 Nr. 1 Der französische Komponist, Organist und Instrumentalpädagoge Louis Victor Jules Vierne (1870-1937) war hochbegabt, ehrgeizig und nahezu blind. Seine Reaktion auf virtuoses Orgelspiel, wie etwa das von César Franck, war geprägt von Wonne und Leiden, Freude und Furcht: «Ich kam fast völlig blind zur Welt; meine Eltern umgaben mich mit besonderer Herzlichkeit, was mir schon sehr früh zu einer fast ungesund zu nennenden Überempfindlichkeit verhalf […]. Dieser Zustand verfolgte mich in meinem ganzen Leben und war der Grund für Zeiten grosser Freude, aber auch Zeiten unaussprechlichen Leidens.» Er studierte in Paris bei Charles-Marie Widor, der die Gattung der Orgel-Sinfonie begründet hatte. Im Jahr 1894 durfte Louis Vierne mit nur 23 Jahren seinen Lehrer gleich doppelt vertreten, sodass eine Zukunft voller Hoffnung vor ihm lag: als Organist an der Pariser Kirche Saint-Sulpice und als Lehrer in Widors Orgelklasse am Konservatorium.
In Viernes Orgelschaffen nehmen die Symphonien eine ähnlich zentrale Stellung ein wie bei Widor. Viernes Schaffen stellt einen Höhepunkt der symphonischen Orgelliteratur dar, zumal es stilistisch und qualitativ auf der Höhe seiner Zeit stand, während viele der französischen Orgelkomponisten des 19. Jahrhunderts eher der Sphäre des Kleinmeisterlichen, Konventionellen verhaftet geblieben waren und mit den jeweils aktuellen Strömungen massgeblicher Musikentwicklung kaum in Berührung kamen. Die 1. Symphonie in d-moll op. 14 (1898/99) lehnt sich noch stark an Viernes Vorbilder an. Ihre bunte Folge von sechs Sätzen steht in der Nachfolge Widors; klanglich ist sie mehr von Franck geprägt, an den be-sonders den Kopfsatz mit seiner schweren, dunklen Tonsprache erinnert. Das zugrunde liegende Dreitonmotiv einer verminderten Quarte lässt an den ers-ten Hauptgedanken von Francks Orchester-Symphonie d-Moll denken. Viernes Eigenart zeigt sich am ehesten im scherzoartigen Satz. Das toccatenhafte Finale erinnert an ähnliche Sätze von Widor, verrät aber in seiner strengen Orientierung am Sonatenhauptsatzmodell ein viel klassizistischeres Formdenken; es gehört zu Viernes populärsten Stücken und ist Bestandteil der virtuosen Orgelliteratur.