Die Kirchen leeren sich dramatisch
In den letzten 30 Jahren ist der Anteil der Katholiken an der Bevölkerung in Einsiedeln um einen Drittel gesunken
Über tausend Katholiken sind im letzten Jahr aus der Schwyzer Landeskirche ausgetreten. Unter diesen stammen über hundert aus Einsiedeln. Bei der reformierten Schwyzer Landeskirche verhält es sich durchaus ähnlich. Die Reformierten in Einsiedeln tanzen derweil aus der Reihe: Ihre Zahl wächst kontinuierlich.
MAGNUS LEIBUNDGUT
Zahlen lügen nicht. Zumindest sprechen sie eine deutliche Sprache. Parallel zum Bevölkerungswachstum sinkt die Zahl der Mitglieder der Landeskirchen, während die Zahl der Konfessionslosen steigt. Das ist im Kanton Schwyz nicht anders als im Rest des Landes. 1085 Schwyzer Katholiken und 280 Schwyzer Reformierte sind im letzten Jahr aus der Kirche ausgetreten.
Die Tendenz bei beiden Landeskirchen ist dieselbe: Die Zahl der Austritte nimmt laufend zu. In der Bilanz des Jahres 2019 verzeichnen beide Schwyzer Kirchen einen Rückgang der Mitgliederzahl von 1,1 Prozent. «Lebendige Kerngemeinde»
Einen Ausnahmefall bedeutet hierbei die reformierte Kirchgemeinde Einsiedeln: Sie verzeichnet in den letzten Jahren einen kontinuierlichen Anstieg der Zahl an Mitgliedern.
«Wir profitieren hier in Einsiedeln von Zuzügern aus anderen Kantonen und aus Deutschland, welche die Zahl unserer Mitglieder steigen lassen», erklärt Urs Jäger-Beux, Pfarrer in der reformierten Kirchgemeinde Einsiedeln: Allerdings schwäche sich jetzt die Zunahme ab. «Es ziehen vermehrt Konfessionslose nach Einsiedeln», konstatiert Jäger-Beux.
Zwar hätte es in den beiden letzten Jahren ein paar Austritte aus der Kirche wegen der Steuererhöhung in der Kirchgemeinde gegeben. «Grundsätzlich kann man aber festhalten, dass die Austrittsquote in der reformierten Kirchgemeinde Einsiedeln tief ist», schildert der Pfarrer: Einerseits bestehe in Einsiedeln eine lebendige Kerngemeinde, in welcher der Zusammenhalt und die Verbundenheit mit der reformierten Kirchgemeinde gross seien.
«Andererseits ist der Raum Einsiedeln eine ländliche Gegend, in der ein Kirchenaustritt wenig opportun erscheint», bemerkt Jäger- Beux: «Ich mache mir da allerdings keine Illusionen.» Die Entwicklung einer zunehmenden Säkularisierung werde wohl irgendwann auch Einsiedeln einholen, wenn sich die Gesellschaft nicht grundsätzlich wieder auf ihre Werte besinne. «Dementsprechend ist schon zu befürchten, dass in einer hoffentlich fernen Zukunft auch in unserer Kirchgemeinde die Zahl der Austritte steigen könnte», stellt Jäger-Beux fest. Die Verbundenheit schwindet
Innerhalb von dreissig Jahren, von 1990 bis 2020, ist der Anteil der Katholiken in Einsiedeln an der Bevölkerung um rund einen Drittel gesunken (von 92 auf 65 Prozent). «Das ist im Verhältnis zur Bevölkerungsentwicklung ein grosser Einbruch der Mitgliederzahlen in unserer Kirchgemeinde, wobei wir heute rund tausend Mitglieder mehr zählen als im Jahr 1990», sagt Hans Iten.
Der Präsident der katholischen Kirchgemeinde Einsiedeln erklärt sich diese Entwicklung mit vielfältigen Ursachen: «Es ist nicht einzig die gesamtgesellschaftliche Tendenz, wonach sich viele nicht mehr lebenslang binden wollen.» Traditionen würden nicht mehr verbindlich weitergegeben.
«Die Individualisierung hat heute den grösseren Stellenwert », konstatiert Iten: «Auf der Strecke bleibt die Verbundenheit. Gemeinschaft wird nicht mehr von allen gesucht und gelebt. Und just Gemeinschaft in vielfältiger Form bietet unsere Pfarrei an.» «Innerkirchliche Probleme» Weiter seien auch die innerkirchlichen Probleme für diesen Anstieg verantwortlich, erklärt Iten den schwierigen Stand, den die Kirche in der heutigen Zeit einnehme.
Dabei sei Einsiedeln noch gut bedient, stellt Iten fest: «Wir haben eine lebendige Pfarrei mit engagierten Seelsorgenden und Freiwilligen. In unserer Kirchgemeinde gibt es immerhin auch Eintritte.» Ins Auge sticht denn auch, dass im Vergleich zu Einsiedeln der Rückgang bei den Mitgliedern in der gesamten katholischen Schwyzer Kantonalkirche dreifach so hoch ausfällt.
«Das wiederum spricht dafür, dass in Einsiedeln die Verbundenheit mit der Kirche noch vergleichsweise stärker vorhanden ist als in anderen Regionen», beobachtet der Präsident.
Nichtsdestotrotz sind im letzten Jahr 103 Katholiken aus der Kirchgemeinde in Einsiedeln ausgetreten. Auffällig ist, dass sich die Zahl der Austritte in Einsiedeln während Jahren bei rund fünfzig eingependelt hat und sich diese Zahl dann in einem grossen Sprung im Jahr 2018 verdoppelt hat. Wirren rund ums Bistum Chur
Werner Inderbitzin erklärt den Rückgang der Mitgliederzahlen in der katholischen Kirche des Kantons Schwyz mit dem sexuellen Missbrauch, der die katholische Kirche schwer diskreditiert habe. «Zudem treten einige Leute aus der Kirche aus, um Steuern einzusparen», sagt der Präsident des kantonalen Kirchenvorstands: «Zu guter Letzt werden die Wirren rund um das Bistum Chur viele dazu bringen, der Kirche den Rücken zu kehren.» Just der Rauswurf von Martin Kopp, Generalvikar für die Urschweiz, sei für einige Katholiken Anlass genug, den Austritt aus der katholischen Kirche in die Wege zu leiten.
Überdies seien die Zeiten vorbei, in denen die katholische Kirche vom Zustrom an Migranten aus Süd- und Osteuropa profitert habe und als Folge davon die Zahl der Katholiken landesweit gestiegen sei, konstatiert Inderbitzin: Grundsätzlich habe die Säkularisierung in der Gesellschaft eine allgemeine Entwicklung eingeleitet, welche die Menschen von der Kirche entfremden würde. «Es ist denn ein Problem, dass die katholische Kirche nur schon genug Freiwillige finden kann, um die Ämter besetzen zu können», hält Inderbitzin fest: Die jüngst über die Bühne gegangene stille Gesamterneuerungswahl in das katholische Kirchenparlament zeige just auf, dass – der Not gehorchend – Leute aus den Kirchenräten der Kirchgemeinden in die Bresche springen mussten, weil es an Kandidaten gemangelt habe.
«Keine Migrationsströme» «Im Unterschied zu anderen Religionen haben die Reformierten kaum Migrationsströme, welche die Zahl unserer Kirchenmitglieder anwachsen lassen», erklärt Heinz Fischer den Rückgang der Mitgliederzahl bei der reformierten Landeskirche des Kantons Schwyz. «Zudem steigt die Zahl der gemischten und konfessionslosen Ehen», konstatiert der Präsident der Exekutive der Evangelisch-reformierten Kantonalkirche Schwyz: Dass es immer mehr Konfessionslose gebe, erstaune nicht angesichts der generellen Säkularisierung, der Entflechtung eines wachsenden Teils der Gesellschaft mit dem kirchlichen Leben.
«Das ist allerdings auch eine gesellschaftliche und nicht primär kirchliche Herausforderung », betont Fischer: Grundsätzlich findet es der Präsident des Kirchenrats im Kanton Schwyz müssig, wenn sich die Medien immerzu auf die Frage der Austrittszahlen konzentrieren würden, statt sich mehr mit dem kirchlichen Leben auseinanderzusetzen und Fragen zu stellen, wie die Kirchgemeinden mit den Menschen Beziehungen pflegen, was die Pfarrpersonen beschäftigt, wie sich heute Seelsorge gestaltet und sich verändert und welche Herausforderungen anstehen – lokal – regional – national.
Die Mitgliederzahlen sinken, die Kirchen leeren sich, die Zahl der Austritte steigt. Die Jugendkirche in Einsiedeln bleibt derweil trotz Coronavirus für das persönliche Gebet derzeit geöffnet.
Foto: Magnus Leibundgut