«Viele Leute haben den Bezug zur Landwirtschaft verloren»
Seit dem Jahr 1648 existiert der Glarnernhof in Trachslau. Im Jahr 2000 hat Florian Kälin den Hof in zehnter Generation übernommen. Der 44-jährige Präsident des Bauernvereins Einsiedeln schildert, wo den Landwirten derzeit der Schuh drückt.
MAGNUS LEIBUNDGUT
Wie geht es der Landwirtschaft in Einsiedeln?
Angesichts der Initiativenflut, die uns demnächst erwartet, sind die Aussichten nicht wirklich rosig. Sie richtet sich grundsätzlich gegen unseren Berufsstand und stellt die Landwirte vor existenzielle Probleme. Als ich kürzlich einem Referat beim Schwyzer Umweltrat gefolgt bin, habe ich eine sehr einseitige Betrachtung unseres Berufsstandes erfahren. Also alles machen wir jetzt doch nicht falsch … Welche Themen beschäftigt den Bauernverein Einsiedeln? Ein brennendes Thema ist der Wolf: Er kommt immer näher und wurde ja auch schon im Bezirk Einsiedeln gesichtet. Ich hoffe, dass das Jagdgesetz angenommen wird, damit man den Wolf besser bejagen kann. Es gibt einfach zu wenig Platz bei uns, auf dass dieses Raubtier hier bei uns auch noch Raum finden kann. Man kann zwar den Wolf im Schadensfall heute schon jagen, aber die Hürde ist doch zu hoch. Ein Problemwolf muss eliminiert werden.
Was brennt den Landwirten unter den Nägeln, wo drückt der Schuh? Der öffentliche Druck, insbesondere vonseiten der Umweltverbände, und die überhandnehmende Bürokratie wachsen uns über den Kopf und binden viele Ressourcen. Es ist nicht unbedingt die drohende Verschuldung, welche die Bauernbetriebe quält. Jeder, der ein Einfamilienhaus kauft oder baut, verschuldet sich ja auch, indem er Hypotheken bei einer Bank aufnimmt.
Was bringt Freude?
Der tägliche Umgang mit den Tieren und das Arbeiten draussen mit der Natur, mit all seinen Tücken, freuen uns. Unser Label Natura-Beef feiert seinen 40. Geburtstag. Damals wurden unsere Pioniere noch belächelt: Das Natura- Beef sei weder Fisch noch Vogel. Heute ist das Label mit seinen rund zehn Monate alten Absetzern bestens etabliert. Auf unserem Betrieb grasten 1998 die ersten Mutterkühe. Seit 2000 betreiben wir Direktvermarktung. Diesen direkten Kundenkontakt schätzen wir sehr. Dürfen Sie als Biobauer Kraftfutter aus dem Ausland importieren, Dünger ausführen und Pflanzenschutzmittel auf die Felder bringen? Der Einsatz von Soja ist bei Mutterkuh Schweiz nicht erlaubt. Futtermittel können wir auf unserer Weide ausreichend selber produzieren. Jetzt im Herbst können wir im Flachmoor von Rothenthurm noch Streue gewinnen. Die Hofdünger, die anfallen, werden fürs Grünland gebraucht. Auf Pflanzenschutzmittel verzichten wir. Stattdessen graben wir die Blacken von Hand aus. Allerdings muss ich gestehen, dass wir weder Acker-, Obstnoch Gemüsebau betreiben.
Ist es möglich, Fleisch zu produzieren, ohne Kraftfutter zukaufen zu müssen? Ja, das geht gut. Es ist doch ideal, wenn wir hierzulande Fleisch produzieren können, statt es aus dem Ausland in die Schweiz importieren zu müssen. Vielleicht muss es in Zukunft nicht alltäglich Fleisch geben. Man soll sich aber bewusst sein, woher das Fleisch stammt und wie es produziert worden ist. Von den Konsumenten wünsche ich mir, dass sie aber auch bereit sind, für unsere extensive Fleischproduktion einen höheren Preis zu bezahlen. Momentan stehen wir da an. So können beispielsweise keine neuen Betriebe für das Natura- Beef-Programm aufgenommen werden, da die zusätzliche Nachfrage nach Labelfleisch nicht vorhanden ist. Mit Discounter- oder Auslandspreisen können wir aber definitiv nicht mithalten. Wieso landet viel Geld in der Agrarindustrie statt in den Taschen der Bauern?
Wir haben selber einiges investiert, zum Beispiel unseren neuen Betriebszweig Bio-Mastpoulets. Wo möglich wurden die Arbeiten an regionale Handwerker vergeben. Natürlich stiegen mit den Investitionen auch der Druck auf unseren Hof und das finanzielle Risiko. Allerdings haben wir die Kosten für Vorleistungen auf unserem Betrieb gut im Griff. Wieso werden Landwirte in dieser Zeit vermehrt zu Prügelknaben der Nation?
Viele Leute haben den Bezug zur Landwirtschaft verloren. Das Bauern ist den Menschen fremd geworden. Wir versuchen, da etwas Gegensteuer zu geben, indem unser Bauernverein etwa den Erlebnistag, das «Hiesigi choched Hiesigs» und nicht zuletzt einen Stand an der Gewa betreiben. Unser Hof darf jederzeit besichtigt werden. Wir leben hier in Einsiedeln noch in einer vergleichsweisen heilen Welt, jedoch berichten die Medien zum Teil sehr einseitig. Die zukünftige Agrarpolitik geht in Richtung Ökologie und Schutz des Bodens. Es braucht ein Verständnis auf beiden Seiten: Ein Landwirt sollte nicht gerade am Samstagabend die Gülle ausführen. Manchmal geht es aber auch nicht anders, wenn das Wetter umschlägt. Wie würde sich ein Ja zur Trinkwasser- und Pestizidinitiative auf Ihren Hof auswirken? Ich wüsste nicht, wie ich dann noch Biopouletfleisch, das Getreide als Nahrung braucht, produzieren könnte. Denn die Initiative bringt mit sich, dass nur noch betriebseigenes Futter zur Verfügung stehen darf. Unsere Region mit den vielen Niederschlägen und der Höhenlage ist für den Anbau von Getreide und Hülsenfrüchten jedoch nicht geeignet. Die Trinkwasserinitiative würde also dazu führen, dass wir weniger Lebensmittel vor Ort herstellen könnten und deshalb mehr importiert werden müsste. Wie die Produktion der Importware aussieht, interessiert dann jedoch niemand. Kommen Sie finanziell gut über die Runden? Ich habe noch Nebenjobs, so geht das finanziell auf. Ich bin Berater und Kontrolleur bei der Vereinigung Mutterkuh Schweiz. In dieser Funktion besuche ich unangemeldet Bauernhöfe, die Natura-Beef produzieren, um zu kontrollieren, ob die Richtlinien des Markenfleischprogramms eingehalten werden. In meinem zweiten Nebenjob arbeite ich bei der Mebag AG und bin derzeit gerade als Monteur beim Bau des «Gastro-Silos», des Turms an der Zürichstrasse, beschäftigt. Wir haben mit der Bio-Pouletmast ein Nischenprodukt gefunden: Es gibt zwei Betriebe im Kanton Schwyz, die Biopouletfleisch produzieren. Dadurch ist unser Absatz bei Coop gesichert. Auch der Absatz unseres Natura-Beef ist gesichert. Dass ich ein Nebeneinkommen brauche, um finanziell über die Runden zu kommen, hat weniger mit Bio zu tun als vielmehr mit der Grösse unseres Betriebes.
Welche Perspektiven hat die Landwirtschaft in Einsiedeln?
Bauern ist an sich ein wunderbarer Beruf, der viel Abwechslung und Vielseitigkeit bietet: Wir sind viel in der Natur an der frischen Luft, haben mit Tieren zu tun und können uns auch noch mit der Technik und Maschinen beschäftigen. Hinzu kommt auch noch die Büroarbeit (lacht). Bezüglich der 158 Bauernbetriebe in unserem Bezirk bin ich für die Zukunft durchaus zuversichtlich gestimmt. Auch wenn Gefahren drohen: Schlecht wäre es, wenn es zu einem Freihandelsabkommen mit den südamerikanischen Mercosur-Staaten kommen würde. Auch der Klimawandel hinterlässt hierzulande Spuren: Es gibt zunehmend trockenere Wiesen sonnseitig, oben auf der Alp.
Im Jahr 2019 haben Florian und Michaela Kälin mit der Bio-Pouletmast begonnen. In sechs Mobis leben 2500 Hühner und Güggel, die nach 65 Tagen geschlachtet werden. Der Glarnernhof wird nach den Bio-Suisse-Richtlinien bewirtschaftet. Momentan steht der Hof im zweiten Umstellungsjahr.
Nicht von schlechten Eltern: Radlof heisst der Stier auf dem Glarnernhof in Trachslau, der für viel Nachwuchs bei den Mutterkühen sorgt.
Dank Weidebewirtschaftung ist auf dem Glarnernhof kein Zukauf von Kraftfutter aus dem Ausland notwendig. Die 19 Mutterkühe erhalten Gras, Heu und Silofutter, das auf dem Hof produziert wird. Produziert wird Natura-Beef: Fleisch von Kälbern aus der Mutterkuhhaltung. Fotos: Magnus Leibundgut
Florian und Michaela Kälin sind zuversichtlich, dass ihr Hof auch in elfter Generation weiterbesteht.
Am Sonntag war es so weit: Die Mutterkuh Aurora (Dritte von links) hat am Sonntag ihr Kälblein Misi auf der Weide des Glarnernhofes geboren. Die anderen Kühe und Kälber begrüssen das frischgeborene Tier mit Freude und Neugier.
Foto: zvg
Michaela Kälin mit ihrem Lieblingskalb, King Julian: Die Kälber bleiben auf der Weide bei ihren Müttern, im Sommer auf der Alp Lochweid.