«Alle waren für Einsiedeln»
Stefan Meyer, Präsident der reformierten Kirchgemeinde Einsiedeln, tritt zurück und zieht eine Bilanz zu seiner Amtszeit
Stefan Meyer hatte bei der Sanierung der reformierten Kirche im Klosterdorf die Fäden in der Hand. Mit Stolz schaut der 58-jährige Immobilienbewirtschafter aus Einsiedeln auf die überaus gelungene Erneuerung des Gotteshauses zurück.
MAGNUS LEIBUNDGUT
Wie kommt bei Ihnen die Sanierung der reformierten Kirche in Einsiedeln an? Ich bin begeistert. Aus der vom Zerfall bedrohten Kirche ist ein kleines Schmuckstück geworden. Die Erneuerung des Gotteshauses inklusive der Unterkellerung scheint mir überaus gelungen. Die Rückmeldungen der Besucher sind jedenfalls äusserst positiv. Die Kirche in ihrem Landistil mit viel Holz und Schmiedeeisen überzeugt heute mehr denn je mit ihrem Charme und ihrer warmen Ausstrahlung. Diese Kirche soll vorallem auch noch die nächsten Generationen erfreuen. Zudem dürften mindestens dreissig Jahre lang keine grösseren Investitionen notwendig werden. Der neue Mehrzwecksaal trägt den Namen «Zwinglisaal». Wieso gerade Zwinglisaal? Zwingli war katholischer Leutpriester im Kloster Einsiedeln und hat von hier aus die Reformation gestartet. Ausgerechnet im Klosterdorf kommen sowohl die katholische wie auch die protestantische Facette dieses Reformators in einer Person zum Ausdruck. Zwingli ist für Einsiedeln sehr bedeutsam. Wie ist Ihnen gelungen, die Renovation zu finanzieren? Verständlicherweise war es eine Herausforderung, die notwendigen 2,3 Millionen Franken aufzutreiben. Ein Drittel der Kosten stammt aus Rücklagen und Erspartem unserer Kirchgemeinde. Einen Drittel haben andere reformierte Kirchgemeinden als Darlehen beigesteuert. Der letzte Drittel stammt aus einem Legat, dem kantonalen Finanzausgleich und einer schweizweiten Reformationskollekte. Dann waren alle für Einsiedeln?
Ja, das kann man so sagen. Wobei uns ein glücklicher Zufall zu Hilfe kam. Die Reformationskollekte ist die älteste und einzige in allen reformierten Kirchen in der Schweiz gleichzeitig erhobene Kollekte. Als solche ist sie das Zeichen protestantischer Solidarität in der Schweiz und wird seit 1897 am Reformationssonntag durchgeführt – für Kirchgemeinden in der Diaspora. Wir selber haben uns aber gar nicht getraut, für eine erneute Reformationskollekte anzufragen, weil eine solche bereits vor zwölf Jahren für das dringend benötigte Kirchgemeindehaus aufgenommen worden war. Wie kam diese Reformationskollekte schliesslich doch zustande?
Man hörte in Zürich von den Finanzproblemen in Einsiedeln und sprach beim Schweizerischen Evangelischen Kirchenbund vor. Mit Erfolg: Die Reformationskollekte 2019 ging an die Diaspora im Klosterdorf. Da ein Projekt im Kanton Genf nicht rechtzeitig zustande kam, wir aber bereits über eine Baubewilligung verfügten, konnten wir kurzfristig in die Lücke springen. Im Frühling 2019 starteten die Sanierungsarbeiten, die rund ein Jahr dauerten.
Was ist das Besondere am Bau der Kirche aus dem Jahr 1943, dass sie unter Denkmalschutz gestellt wurde? Die Kirche wurde von Hans Vogelsanger gebaut, einem renommierten Schweizer Architekten. Seinen denkmalgeschützten Bau abzubrechen, kam von daher schon einmal kaum in Frage. Ein Abbruch der Kirche wäre zudem ein Affront gegenüber dem Zürcher Hilfsverein gewesen, der uns diese Kirche im Jahr 1943 geschenkt hatte. Überdies ist den Mitgliedern der Einsiedler Kirchgemeinde die Kirche ans Herz gewachsen. Zu alledem wäre ein zeitgemässer Neubau wesentlich teurer geworden. Wieso musste die Kirche bald nach ihrer Entstehung bereits wieder saniert werden? Die Kirche, ein stattlicher Bau aus Stein und grosszügig dimensioniert, weil man mit einer wachsenden Zahl an Protestanten im Klosterdorf rechnete, hatte einen Haken: Dem Gebäude fehlte ein Fundament. Für den Bau der Kirche war kein Beton vorhanden, weil dieser seit Kriegsbeginn für militärische Zwecke verwendet worden war. Eine Kirche ohne Grundfeste, das sollte sich schon bald als Hypothek herausstellen. Immer häufiger bemerkte man im Mauerwerk Risse, die grösser wurden, wenn in der Umgebung gebaut wurde. Zudem zeigte sich, dass der Holzboden, der direkt über dem Erdreich gebaut worden war, wegen der Feuchtigkeit zu faulen begann. Sie haben viel Herzblut in die Sanierung gesteckt. Kann man getrost von «Ihrem Kind» sprechen bei diesem Projekt? Ja, das ist so. Die Idee, die Kirche auf diese Weise umzubauen, stammt tatsächlich von mir. Unterstützt von einem tollen Team leitete ich das Projekt «Kirchensanierung » die ganzen fünf Jahre. Als Immobilienbewirtschafter bin ich mit der Materie allerdings auch gut vertraut. Zusammen mit dem Präsidium der Kirchgemeinde entstand ein beachtliches Pensum. Mit meinem Engagement wollte ich der Gesellschaft aber bewusst etwas von meinem Glück zurückgeben. Nach Abschluss der Sanierung, das heisst am Ende dieses Jahres, werde ich aber nicht mehr für eine weitere vierjährige Amtszeit kandidieren. Sie sind als Kirchenmusiker ein Fachmann in Sachen Akustik: Wie kommen die Klänge in diesem Kirchenraum bei Ihnen an? Die Akustik ist ziemlich trocken d.h. es gibt in der Kirche kaum Hall. Das ist gut für den Pfarrer, der predigt: So versteht man ihn besser. Wenig Hall ist aber nicht so ideal für den Klang unserer Orgel, die in den 70er-Jahren von Mathis in Näfels gebaut worden ist. Wegen der Kirchensanierung wurde die Orgel verschoben. Jetzt steht sie tiefer und zu beiden Seiten frei. Der Klang kann sich dadurch besser ausbreiten und wirkt, meines Erachtens, nun etwas runder. Wegen des Coronavirus muss nun die Einweihungsfeier verschoben werden. In welchem Rahmen planen Sie die Feier im kommenden Jahr? Aufgrund der aktuellen Pandemie ist es uns zurzeit leider nicht möglich, ein Fest zur Einweihung unserer fertiggestellten Kirche durchzuführen. Der für den 22./23. August geplante Anlass entfällt daher. Der Kirchgemeinderat plant die Feier im nächsten Jahr nachzuholen. Am liebsten würden wir die gesamte Schweiz zur Einweihungsfeier einladen. Die Solidarität, die wir erfahren haben, überwältigt uns. Gleichzeitig ist der Präsident der reformierten Kirche Schweiz wegen «Grenzverletzungen» zurückgetreten. Tangieren diese Turbulenzen die reformierte Kirchgemeinde Einsiedeln?
Für die einzelnen Mitglieder dürfte der Vorfall nicht viel ändern. Als reformierte Kirchgemeinde verfügen wir nach wie vor über eine beträchtliche Autonomie und sind nicht von «Bern» abhängig. Für uns Verantwortliche sind die Ereignisse aber unangenehm, weil sie das Bild der Kirche ankratzen, das wir gemeinsam aufbauen und mittragen. Können Sie uns erklären, was «Grenzverletzungen» sind? Nach meinem Kenntnisstand dürfte es sich um unanständige und unangemesse Berührungen oder Äusserungen handeln. Der ehemalige Präsident des Kirchenbundes scheint ein massives Problem im korrekten Umgang mit Frauen gehabt zu haben. Ich habe ihm geschrieben, er solle sich behandeln lassen – auch seiner Familie zuliebe. Sie selber treten gleichsam zurück als Präsident – allerdings unter vollends anderen Umständen: Wie fällt Ihre Bilanz im Rückblick auf Ihre Amtszeit aus? Wir haben in den vergangenen fünf Jahren gemeinsam viel bewegt und erreicht. Die Kirchgemeinde verfügt über ausgezeichnete Mitarbeitende, viele freiwillige Helferinnen und Helfer und einen bemerkenswerten inneren Zusammenhalt. Die Infrastruktur ist auf dem neusten Stand, die Strukturen werden laufend angepasst und auch finanziell steht die Gemeinde solide da. Ich übergebe die reformierte Kirchgemeinde Einsiedeln mit gutem Gewissen und in einem guten Zustand in neue Hände. Welche Höhe- und Tiefpunkte haben Sie in Ihrer Amtszeit erlebt? Für mich bedeutet der erfolgreiche Abschluss der Kirchensanierung der Höhepunkt meiner Amtszeit. Auch wie der Entscheid zur Sanierung auf demokratischem Weg zustande gekommen ist, stets getragen vom Kirchenvolk. Besonders anspruchsvoll war das Personaldossier. Wir brauchen heute keine Einzelkämpfer mehr, sondern Teamplayer. In unserer Gemeinschaft hat zwar jede Person Platz, wer ein Amt oder eine Aufgabe übernimmt, muss aber bestimmte Fähigkeiten mitbringen. Da unterscheiden wir uns nicht so sehr von anderen Organisationen. Zurzeit scheint mir der Teamgeist erfreulich gut zu sein. Auffällig ist, dass allerorten die Zahl der Mitglieder der reformierten Landeskirchen sinkt. Ausser in Einsiedeln. Was machen Sie besser als die anderen, dass Sie so gut unterwegs sind? Wir machen vermutlich nichts besser, sondern profitieren von der laufend steigenden Zahl an Neuzuzügern. Mit dem Ende des Bevölkerungswachstums in Einsiedeln, wird sich die Entwicklung vermutlich umkehren. Oftmals treten die Leute just dann aus der Kirche aus, wenn sie die Wohngemeinde wechseln. Es betrifft Personen, die wir leider gar nie richtig kennenlernen durften. Manche deutschen Neuzuzüger haben zudem das Problem, dass ihnen als Evangelische und Lutheraner die reformierte Kirche der Schweiz als fremd erscheint. Dabei sind gerade bei uns auch unterschiedliche Ansichten und Traditionen willkommen. Mich erstaunt immer wieder, dass Katholiken, die zum Beispiel wegen des Zölibats oder der fehlenden Frauenordination aus der Kirche austreten, nicht zu uns kommen. Das dürfte auch damit zusammenhängen, dass wir aus Überzeugung niemals missionieren. Wie schätzen Sie die weitere Entwicklung Ihrer Kirchgemeinde ein? Grundsätzlich bin ich optimistisch, weil es in unserer Gemeinde einen grossen Zusammenhalt gibt. Wir werden auch von vielen Mitgliedern getragen, die wir selten zu Gesicht bekommen. Andererseits müssen wir dafür kämpfen, dass der Wert der Freiwilligenarbeit weiter hochgehalten wird. Die überhandnehmende Individualisierung schadet dem Gemeinwesen. Wir haben Rückmeldungen aus anderen Kirchgemeinden, wo der Zusammenhalt bereits empfindlich gelitten hat.
Haben Sie bereits eine Nachfolgerin für das Präsidium gefunden?
Ja, sie kommt aus dem bestehenden Kirchenrat.
Wie fühlt sich das an, als Reformierter in einer katholischen Hochburg einer kleinen Minderheit anzugehören?
Ich bin ökumenisch aufgewachsen, war zunächst katholisch und dann lange konfessionslos. Ich kenne also beide Seiten und pflege diese, in dem ich regelmässig im katholischen Gottesdienst die Orgel spiele. Das Verhältnis zwischen Katholiken und Reformierten im Klosterdorf scheint mir ausgezeichnet. Im kirchlichen Leben ist vielleicht sogar vorteilhaft, einer überschaubaren Gemeinschaft anzugehören. Es entwickelt sich leichter ein Gemeinschaftsgefühl. Sicher ist es auch ein Vorteil, dass wir seit Jahren über geeignete Räumlichkeiten verfügen, um den persönlichen Kontakt auf vielfältige Weise zu vertiefen. In welchem Zustand befindet sich Einsiedeln? Viele Aufgaben können vom Bezirk nicht wirklich wahrgenommen werden, weil es im Klosterdorf an einer genügenden Anzahl fähiger Politiker fehlt. Der Grund für diese Misere dürfte darin liegen, dass man nicht nach den besten Kandidaten sucht. Für wichtige Ämter kommen nur Parteimitglieder infrage. Von einer echten Auswahl kann da zumeist nicht gesprochen werden. Ungeeignete Kandidaturen werden dann von den anderen Parteien auch noch unterstützt, um eine «Retourkutsche» zu verhindern. Das Problem dürfte sich erst lösen, wenn künftig parteilose Persönlichkeiten gleichberechtigt kandidieren können und in grösserer Zahl tatsächlich auch gewählt werden. Wohin bewegt sich die Welt?
Ich bin da gar nicht so pessimistisch. Ich glaube, dass insbesondere das Christentum mit seinen Grundwerten die Gesellschaft,die Verfassungen der Staaten und die Menschenrechte auf nachhaltige Weise geprägt hat. Das wird bleiben, auch wenn die Kirche weiter an Bedeutung verlieren sollte. Ich habe auch Hoffnung in die jungen Menschen. Sie sind vielfach gut gebildet und mehrheitlich offener als wir Alten es sind. Und sie werden Lösungen für die aktuellen Probleme finden.
Stefan Meyer, Präsident der reformierten Kirchgemeinde Einsiedeln, steht am neuen Abendmahlstisch in der sanierten Kirche.
Wegen des Coronavirus kann die reformierte Kirche in Einsiedeln erst im kommenden Jahr eingeweiht werden. Fotos: Magnus Leibundgut