«Einsiedeln wird zusätzlich durch Wind mit Pollen versorgt»
Der Klimawandel erhöhe die Pollenbelastung, sagt Regula Gehrig von Meteo Schweiz: «Die Pollensaison droht heuer zudem verschärft intensiv auszufallen, weil gewisse Baumarten in diesem Jahr viel Blütenstaub tragen.» Bereits im Februar sind denn im Klosterdorf zahlreiche Haselpollen durch die Luft geflogen.
MAGNUS LEIBUNDGUT
Wie ist der Stand der Dinge derzeit in Sachen Pollenbelastung in Einsiedeln? Haselpollen haben ihren Höhepunkt bereits überschritten und sind auf dem Rückzug – nachdem der Hasel heuer extrem früh geblüht hat. Weil der Winter in diesem Jahr ausgefallen ist, hat die Vegetation einen Vorsprung von drei bis vier Wochen im Vergleich zur Norm. Was in Einsiedeln derzeit akut festzustellen ist, sind Erlenpollen und letzte Haselpollen. Diese bleiben auch noch in der kommenden Zeit in der Luft – erst recht, wenn in der nächsten Woche die Temperaturen wieder ansteigen werden. Kommt die hohe Belastung durch Hasel- und Erlenpollen in Einsiedeln später, weil der Ort höher gelegen ist? Das ist in der Tat so, weil die Blütezeit in höher gelegenen Gebieten später eintritt. Man rechnet pro hundert Höhenmeter mit einer Verzögerung von rund drei Tagen. So ist davon auszugehen, dass die Pollenbelastung in Einsiedeln mit einer Verspätung von zwei Wochen eintritt. Weil Haselnusssträucher und Erlen prächtig gedeihen bis auf eine Höhe von rund tausend Meter über Meer, ist die Pollenbelastung in Einsiedeln genügend hoch, um Allergien auszulösen.
Welche Rolle spielt der Wind?
Eine ganz grosse und gewichtige. So kann es denn vorkommen, dass der Westwind oder die Bise Pollen vom Mittelland her ins Klosterdorf blasen und denn also für eine Pollenkonzentration in der Luft von Einsiedeln sorgen, obwohl im Klosterdorf die betreffenden Bäume gar noch nicht blühen.
Tritt die Pollenbelastung wegen der Klimaveränderung immer früher und stärker ein? Das Gefühl trügt nicht: Die Pollenbelastung in der Schweiz hat generell zugenommen. Die Pollensaison wird vor allem für die Bäume immer intensiver. So sind blühende Hasel im Winter klar Anzeichen des Klimawandels. Für gewisse Pflanzenarten wie den Haselnussstrauch beginnt der Frühling immer früher. So blüht etwa die Hasel heute im Durchschnitt 13 Tage früher als im Jahr 1951. Verlängert die Klimaveränderung die Pollensaison? In erster Linie führt der Klimawandel zu einer Verschiebung der Pollensaison: Weil die Bäume früher blühen, setzt auch die Pollensaison vorzeitig ein. Die Klimaveränderung kann aber bei bestimmten Pflanzen – wie just dem Hasel – dazu führen, dass sie längere Zeit blühen als früher. In diesem Sinne führt dann der Klimawandel in der Tat auch zu einer Verlängerung der Pollensaison – und damit zu einer Ausdehnung der Leidenszeit für Pollenallergiker und Heuschnupfen-Patienten. Können Sie eine Prognose machen zur Pollensaison 2020? Dass die Pollensaison 2020 bereits intensiv gestartet ist, beweist die Hasel: Sie hat nicht nur viel früher zu blühen begonnen, sondern befindet sich just auch noch einem «starken» Jahr. Viele Pflanzen haben einen Zweijahres- Rhythmus: Es wechseln sich Jahre ab, in denen sie abwechslungsweise stark und schwach blühen. Und heuer blüht die Hasel stark. Dasselbe lässt sich über die Esche aussagen, die demnächst zu blühen beginnt: Auch dieser Baum wird in diesem Jahr aufgrund des Zyklus stark blühen. Inwiefern tangiert die auch in Einsiedeln grassierende Eschenwelke die Pollenbelastung? In der Tat tritt diese Prognose für Einsiedeln nur bedingt ein: Einerseits sind im Bezirk Einsiedeln Nadelbäume und nicht Laubbäume vorherrschend. Andererseits wütet auch in Einsiedeln die Eschenwelke: Ein Pilz sucht die Esche heim und sorgt dafür, dass der Baum nicht mehr blühen kann. Diese Krankheit kann für ein starkes Zurückgehen der Esche sorgen – und für eine Entlastung von Heuschnupfen- Geplagten, die eine Eschenallergie haben. Welche Pollen sind federführend in Ortschaften, die auf einer Höhe von rund tausend Meter liegen?
Neben Hasel und Erle sind Birke und Gräser auf dieser Höhe tonangebend. Birken fühlen sich wohl auf tausend Meter über Meer, und Gräser sind just in den Voralpen hauptsächlicher Bestandteil der Flora. Macht es für Heuschnupfen-Geplagte Sinn, vom Unterland ins höher gelegene Klosterdorf zu ziehen, um weniger unter ihrer Allergie zu leiden? Das macht wenig Sinn, weil hierfür ein Umzug in eine höher gelegene Ortschaft wie etwa Davos notwendig wäre: Erst ab etwa einer Höhe von 1500 Meter über Meer macht sich der Umstand bemerkbar, dass weniger Blütenstaub in der Luft zu beobachten ist, weil weniger Pflanzen blühen.
Ist denn also Einsiedeln vielmehr gar ein Hotspot in Sachen Pollenbelastung? Zusammengefasst kann man festhalten, dass in Einsiedeln die Belastung durch Baumpollen wie Hasel, Erle, Birke und Esche zwar geringer ist als im Mittelland, aber dass die Belastung durch Gräserpollen gleich stark ist. Das Klosterdorf wird aber noch zusätzlich durch die vorherrschenden Winde mit Blütenstaub aus dem Unterland versorgt, sodass vor der eigentlichen lokalen Blütezeit bereits Pollen in der Luft sein können. Allerdings in tieferen Konzentrationen als im Mittelland. Wieso leiden immer mehr Menschen unter Heuschnupfen? Tatsächlich nimmt die Zahl der Pollenallergiker laufend zu: Unterdessen leidet bereits über ein Fünftel der Bevölkerung an Heuschnupfen. Im Fokus der Erklärung für diese Zunahme steht die Hygiene-Hypothese: Immer mehr Kinder wachsen in einer zu sauberen Welt auf und sind nicht mehr mit Bakterien konfrontiert. In der Folge zeigt das Immunsystem des Körpers eine Überreaktion und bekämpft die Pollen. Wer ist weniger, wer ist stärker von solchen Allergien betroffen?
Bauernkinder sind just aufgrund dieser Hygiene-Hypothese weniger von einer Pollenallergie betroffen: Ihr Körper ist sich früh an Bakterien aus dem Stall gewöhnt – das Immunsystem reagiert dementsprechend angemessen auf die Pollenbelastung. Demgegenüber sind Einzelkinder eher von Allergien betroffen: Ihnen fehlt es an Geschwistern, die sie mit Bakterien konfrontieren könnten. Haben Pollen selber auch eine Wirkung, auf dass denn die Zahl an Allergien stetig ansteigt? Durchaus, auf indirekte Art und Weise – und zwar wegen der Luftverschmutzung: Wegen Schadstoffen in der Luft kommt es zu einer Wechselwirkung zwischen Pollen und Schwebestaubpartikeln: Pollen aus Belastungsgebieten sind mit Schadstoffpartikeln bedeckt und in ihrem Allergengehalt verändert, was deren Wirkung verstärken kann. Was mit sich führt, dass die Pollen gewissermassen aggressiver auftreten und das Immunsystem von Allergikern erst recht reizt.
Eine Schwarzerle zeigt sich in voller Blüte. Was in Einsiedeln derzeit akut festzustellen ist, sind Erlenpollen. Oben rechts: Regula Gehrig ist wissenschaftliche Mitarbeiterin Klima beim Bundesamt für Meteorologie und Klimatologie (Meteo Schweiz).
Fotos: zvg