«Es war gewaltig und unbeschreiblich!»
Ein Unteriberger und ein Euthaler Liverpool-Fan reisten zum Abschiedsspiel von Jürgen Klopp
Michael Holdener und Thomas Kälin sicherten sich Plätze für das letzte Spiel von Jürgen Klopp als Trainer des Liverpool Football Clubs (LFC). Die Freunde sind langjährige Fans der «Reds» und freuten sich darauf, diesen historischen Moment live an der Anfield Road zu erleben.
Der 27-jährige Michael Holdener und der 28-jährige Thomas Kälin kennen sich schon lange. «Wir fuhren gegeneinander Skirennen und waren ‹Rivalen›. Aber wir haben mehr gejasst, als dass wir Ski gefahren sind!», lacht Thomas Kälin. Michael spielte früher auch Fuss-ball. Thomas tschutet noch heute, aber nur zum Hobby: «Ich bin ein Grümpi-Tschüteler!» Thomas schaut praktisch jede Sport-art im TV, Michael vor allem Liverpool- Matches, ausgewählte Fussball-Spitzenspiele und natürlich Skirennen. «Wir teilen definitiv die Leidenschaft zum Sport – auch mit dem erweiterten Kollegenkreis», erzählen beide. 2005 kamen sie zum ersten Mal mit dem LFC in Berührung, als diese überraschenderweise gegen den AC Milan die Champions League gewinnen konnten (siehe Kasten).
Von diesem Moment an waren die Freunde Liverpool-Fans. Doch am Anfang war es praktisch unmöglich, Spiele der Reds zu verfolgen. Das kam erst im Jahr 2014 auf, als man über Bezahl- Abos die Spiele anschauen konnte. Seither schauen sie hier in der Schweiz praktisch alle Spiele bei Michael zu Hause in Unteriberg: «Unser Kollegenkreis weiss das und alle sind willkommen.» Meistens ist unser Freund, Stefan Kälin, dabei, der Fan des ehemaligen Erzrivalen Manchester United ist. So ist bei jedem Match für Emotionen gesorgt.
Im Oktober 2016 waren die beiden zum ersten Mal selber vor Ort in Liverpool. Michael war seither acht Mal in England und wurde stets durch jemanden begleitet – viermal von Thomas, einmal von seinem Vater Edgar und von weiteren Kollegen. Bei jedem Aufenthalt in Liverpool merkten die Schweizer vor und nach den Spielen den unglaublichen Zusammenhalt der Fans indem sie mit Leuten aus der ganzen Welt angestossen und zusammen Fanlieder gesungen ha-ben. Bei jedem Aufenthalt kam der eine oder andere Fanartikel hinzu, unzählige Trikots, T-Shirts und Kappen. Aber auch einen Aufkleber für Michaels Rollstuhl, auf welchen er seit 2017 aufgrund der Erb-Krankheit Gliedergürtel- Muskeldystrophie angewiesen ist. Der Rollstuhl bedeutet für Michael nicht unbedingt ein Hindernis: «Eigentlich ist es oft noch gäbig, denn ich kann zum Beispiel am Flughafen durch die Crew-Eingänge durch und muss dadurch nicht anstehen oder erhalte überhaupt erst spezielle Tickets fürs Stadion für mich und eine Begleitperson.» Abschied von Trainerlegende
Nun war es endlich wieder so weit und ein aussergewöhnlicher Anlass wartete auf die beiden Fans. Der langjährige Trainer der Reds, Jürgen Klopp, stand zum letzten Mal an der Seitenlinie des LFC. An Tickets zu kommen sei immer schwierig, für so ein spezielles Spiel praktisch unmöglich. Auf dem Schwarzmarkt wurden die Tickets für bis zu 21’000 Pfund gehandelt! Aber Michael Holdener darf als Rollstuhlfahrer von einigen Vorzügen profitieren und versuchte es einfach telefonisch: «Das war Zufall! Ich hatte Glück und es hatte genau noch einen Platz für einen Rollstuhlfahrer mit Begleitperson im Stadion. Das war dann unserer!» Der Platz war in der Carlsberg Lounge, direkt neben der einheimischen Fankurve, der sogenannten KOP.
Sie reisten am Samstag, 18. Mai, mit dem Flugzeug nach England und bezogen ihr Hotel in der Stadt der Musik und des Fussballs. Vom Flughafen Manchester fahren sie stets mit dem gleichen Taxifahrer nach Liverpool. Dieser Fahrer konnte Michael Holdener schon einmal Schuhe seines damaligen Liverpool-Spielers, Stürmerstar Roberto Firmino, besorgen, die nun in Holdeners Wohnzimmer stehen. Am Sonntag ging es schon früh los, denn sie besuchten zur Einstimmung auf das Spiel ein Konzert von Jamie Webster. Dieser englische Folk-Pop-Sänger schrieb 2018 die Fussballhymne «Allez Allez Allez» für den FC Liverpool und gab nun anlässlich des Abschieds von Klopp zwei (ausverkaufte) Konzerte.
Top Stimmung im ausverkauften Stadion Um 16 Uhr begann das Spiel mit 60’000 Zuschauern. Aber es ging überall recht zügig, einzig auf ein Bier in der Halbzeit musste man dann doch ein Weilchen warten … «Entscheidender für die Stimmung ist nicht die Zahl der Zuschauer, sondern eher, dass das Stadion ausverkauft ist – und das war definitiv der Fall», meint Thomas Kälin. Anders als in der Schweiz könne es im Stadion auch mal ruhig werden, denn das Spiel werde konzentriert verfolgt und wenn einmal nicht so viel laufe, werde auch nicht gesungen – anders als in der Schweiz, wo praktisch das ganze Spiel hindurch gefeiert und gesungen wird.
Dass die Reds gegen Wolverhampton 2:0 gewinnen konnten, rückte sogar gänzlich in den Hintergrund, denn das Resultat änderte am 3. Tabellenrang sowieso nichts mehr. «Während den letzten zehn Minuten hat das ganze Stadion das Lied von Jürgen Klopp gesungen und beklatscht. Eine solch überwältigende Stimmung habe ich noch nie erlebt; mir sind die Tränen ununterbrochen geflossen. Es war gewaltig und unbeschreiblich! » Michael Holdener erinnert sich gerne an diesen emotionalen Moment. Und Thomas Kälin ergänzt: «Es war unbeschreiblich und super.» Klopp habe einen solchen Abschied verdient, meint Michael: «Er hat den Club in schwierigen Zeiten aufgebaut und mit seinen Emotionen wieder ins Spiel gebracht. Dank seines agressiven, attraktiven Spiels hatte er schnell die Fans auf seiner Seite. » Und Thomas ergänzt: «Klopp ist einfach eine Identifikationsfigur! » Er sei ein emotionaler Typ, aber konnte dank seines Powers und Enthusiasmus mit Leib und Seele für den Club einstehen.
Nicht nur Fussball gehörte zur Reise Natürlich gehörten auch Pub-Besuche zum Kurztripp dazu und Michael und Thomas besuchten unter anderem den bekannten Cavern Club, der als die Geburtsstätte der Beatles gilt. In der Grossstadt Liverpool sei für Rollstuhlfahrer fast alles möglich – wenn es mal eine Treppe in ein Pub habe, stehe irgendwo eine Rampe bereit, damit auch Michael reinkommen könne. Einzig ausserhalb gäbe es schon das eine oder andere Trottoir mit Absätzen, da hilft dann aber Thomas als Unterstützer aus. Zum Stadion komme man nämlich am einfachsten zu Fuss, auch wenn das rund eine Stunde dauert.
Am Montag genossen Michael und Thomas die Stadt, schauten sich einige Kriegs-, aber auch Musikdenkmäler an, und am Dienstag ging es dann mit vielen Eindrücken wieder zurück nach Hause. Und was tat Michael als erstes, als er um Mitternacht nach Hause kam? Er schaute sich das Spiel nochmals mit seinen Eltern am TV an. «Wir gehen sicher bald wieder, ich würde gerne einmal im Jahr gehen. Das sind meine Ferien – schliesslich mache ich keinen Strandurlaub! », freut sich Michael Holdener bereits jetzt wieder auf die nächste Reise zu seinem Lieblingsverein.
Das ganze Stadion mit 60’000 Zuschauern begrüsste vor dem Match Trainer Jürgen Klopp und bedankte sich mit einer beeindruckenden Choreografie.
Fotos: zvg
Die beiden feierten den Sieg ihrer «Reds» auch in den Pubs von Liver-pool und machten Bekanntschaft mit irischen Fans.