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Heimweh

Die junge Frau im kleinen Café bediente uns freundlich und wir ka-men mit ihr ins Gespräch, soweit ihre schwachen Deutschkenntnisse dies zuliessen. Sie stammte aus Spanien und war erst vor ein paar Wochen in die Schweiz gekommen. Die Arbeit gefiel ihr. Nur die deutsche Sprache und unser «Schwiizerdütsch» erschienen ihr unglaublich schwierig, aber ein wichtiges Wort, das ihre Situation beschrieb, hatte sie zur Bewältigung das Alltags bereits gelernt: Heimweh.

In unseren Ohren ein Wort für ein veraltetes Gefühl, das Schlagerstars wie Freddy Quinn in den 1950er-Jahren besangen: «Dort wo die Blumen blüh’n, dort wo die Täler grün’n, dort war ich einmal zu Hause …». Heimweh erwecken Kinderbuchhelden Heidi und Schellen-Ursli bei mir. Um wieder nachempfinden zu können, wie sich Heimweh anfühlt, muss man erinnern.

Mein Bruder war als Bub bei der Pfadi. Natürlich wünschte er ins Sommerlager zu gehen. Alles war parat und am Bahnhof wink-te er den Eltern glücklich nach. Nach wenigen Tagen erreichte uns eine Karte mit dem Text: «Mutti kommen bite mich holen. Ich habe Heuweh.» Als Kind litt ich nie an Heimweh, eher an Fernweh und einer schmerzlichen Sehnsucht … Alles Fremde war mir vertraut. Jetzt, im globalen Dorf mit Internetanschluss und neuen Kommunikationsformen schätzen wir die Mobilität und kommen selten in die Situation, Heimweh zu verspüren. Der norwegische Autor Tomas Espedal schreibt: «… das Heimweh wächst, wird grösser und breitet sich in allen Körperteilen aus: die Füsse sehnen sich heim, die Hände, das Herz, die Gedanken wollen heim. Wir haben genug gesehen, genug gehört, mehr erlebt als wir aushalten können … * Ida Ochsner (62) verlobt mit Heiri Strohmayer (65) aus der Südsteiermark. Er fragte im Café, wo denn die Spanierin sei? Wieder zu Hause, ohne Heimweh.

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