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Lizenz zum Fehlermachen

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«Wenn einem Mönch ein Fehler unterläuft und er ihn nicht von sich aus bekennt und Busse tut, soll ihn eine schwerere Strafe treffen, wenn er durch jemand anderen bekannt wird.» So schrieb der heilige Benedikt vor 1500 Jahren in seine Klosterregel.

Der Vater des abendländischen Mönchtums verlangt nirgendwo in diesem für uns Einsiedler Benediktiner grundlegenden Text, dass wir perfekt sein müssen. Aber er möchte, dass wir ehrlich sind – uns selbst, anderen und natürlich Gott gegenüber. Dazu gehört auch, zu seinen eigenen Fehlern zu stehen. Dass dies nicht einfach ist, kennen wir aus eigener Erfahrung. Spitzzüngig habe ich letzthin jemanden sagen gehört, dass wir in einer Gesellschaft voller Opfer leben, in der zwar alle zu lei-den haben, sich niemand aber etwas zuschulden lassen kommt.

Zu erkennen und sich einzugestehen, dass auch wir ab und zu einen Fehler machen, lässt uns barmherziger und grosszügiger mit anderen werden. Wir lernen, dem Gegenüber einzuräumen, dass Fehler nicht aus böser Absicht oder aus übermässiger Faulheit geschehen müssen, sondern schlichtweg einfach passieren können.

Papst Franziskus spricht immer wieder davon, wie gut es uns allen tun würde, wenn unter uns eine «Kultur der Barmherzigkeit» entstehen würde. Bei diesem Wunsch sind wir alle angesprochen: Wenn wir wollen, dass ein solches von Barmherzigkeit geprägtes Miteinander Wirklichkeit wird, dürfen wir nicht darauf hoffen, dass es von alleine entsteht. Vielmehr sind wir alle dazu aufgerufen, daran mitzubauen. Und dazu gehört eben auch, dass wir bereit sind, einander zuzugestehen, dass man Fehler machen darf. Eine solche Haltung ist eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass auch wir selbst den Mut haben, unsere eigenen Fehler zuzugeben. Dies versuche ich auch meinen Schülerinnen und Schülern zu vermitteln. So können sie jederzeit vor dem Unterricht zu mir kommen und sagen, dass sie nicht gelernt oder die Hausaufgaben nicht gemacht hätten. Schliesslich kann es immer gute Gründe hierfür geben. Was ich aber nicht schätze, ist der Versuch, das Versäumnis verheimlichen zu wollen. Gewiss schwingt die eingangs zitierte Stelle mit, wenn ich meine: «Komm doch einfach, erzähle in aller Freimut, was passiert ist und steh dazu – dann können wir es miteinander angehen.» Dies führt mich zu einem zweiten Gedanken. Dabei geht es um die Art und Weise, wie jemand mit einem eigenen Vergehen umgehen soll. Der heilige Benedikt spricht von «Busse tun», wofür er im lateinischen Original «satisfacere» benutzt. Dieses Wort kann verschieden übersetzt werden: «sich entschuldigen», «Genugtuung leisten» oder «zufriedenstellen ». Ich weiss nicht genau, wie eine «Genugtuung» zu Zeiten Benedikts konkret ausgesehen hat. Ich weiss aber, dass es vielen Menschen heute ein echtes Bedürfnis wäre, nach einem eigenen Vergehen nicht allzu schnell wieder in den Alltag überzugehen, sondern für ihren Fehler eine Zeitlang geradestehen zu müssen – oder eben zu dürfen, um damit zum Ausdruck zu bringen, wie leid einem eine Sache tut. Die Kirche kannte früher Rituale als Zeit der «Reinigung», nach der schliesslich alle Beteiligten sagen konnten: «Es ist gut jetzt!» – und der Schuldige wieder ehrlichen Herzens in die Gemeinschaft aufgenommen wurde.

Dadurch kommt auch zum Ausdruck, dass man sich nie selbst entschuldigen kann. Wer dies tun zu können meint, gleicht jenem, der sich selbst am Schopf packen und aus dem Sumpf ziehen möchte.Wahre Ent-Schuldigung aber kann immer nur von aussen kommen. Ich kann mich immer nur von jemandem entschuldigen lassen. Daran können wir vielleicht beim nächsten Mal den-ken, wenn wir den Mut aufbringen, einen Fehler einzugestehen – dass wir uns in einer bewussten Formulierung nicht «entschuldigen», sondern vielmehr «um Entschuldigung bitten».

(*1984) ist seit 2006 Mönch im Kloster Einsiedeln. Er studierte Theologie, Geschichte sowie Latein und unterrichtet an der klösterlichen Stiftsschule, wo er auch als Schulseelsorger und Ministrantenbetreuer tätig ist.

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