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Auch mit 100 Jahren von allen liebevoll «s’Tanti» genannt

Auch mit 100 Jahren von allen  liebevoll «s’Tanti» genannt Auch mit 100 Jahren von allen  liebevoll «s’Tanti» genannt

Wenn auch Gehör und Augen zu wünschen übriglassen, so durfte doch die Eggerin Marie Lacher als älteste Einsiedlerin nach einem bewegten Leben zufrieden und für ihr hohes Alter geistig fit am letzten Samstag daheim im Waldweg ihren 100. Geburtstag feiern.

«Ich bin völlig erschrocken, als mir der Arzt vor vier Jahren, nachdem ich wegen eines Sturzes einen Oberschenkelhalsbruch erlitten hatte und operiert werden musste, gesagt hat, so könne ich jetzt noch hundert werden. Hoffentlich nicht, habe ich für mich gedacht! Und jetzt ist diese Zeit schon vorbei und ich kann tatsächlich diesen Geburtstag noch erleben!», erzählt Marie Lacher offen in ihrem schönen Daheim im Waldweg in Egg.

«Ich habe nie gedacht, dass ich so alt werde, hatte ich doch als Kind sehr häufig starke Kopfschmerzen und habe ich alle Kinderkrankheiten durchgemacht und war immer die Erste, die es erwischt hat.» Anscheinend ist Marie Lacher aber eine gesunde Natur, nimmt sie doch auch im hohen Alter keine Medikamente und war sie, abgesehen von einigen wenigen Unfällen, schon seit Jahren nie mehr bei einem Arzt. Flucht vor dem Sihlseestau

Zusammen mit ihrem Neffen Meiri, mit dem die Jubilarin schon seit Jahren den Haushalt teilt und wo sie mit dessen Hilfe noch täglich kocht, und Beatrice, der Frau des Neffen Paul, taucht sie im Interview in vergangene Zeiten ein.

Am 4. Mai 1924 kam Marie Lacher in der Nähe des Schlapprigs in Egg auf die Welt und musste dann als Mädchen miterleben, wie Haus und Land dem Sihlseestau zum Opfer fielen und die Familie mit zwölf(!) Kindern ihre Heimat verlassen musste. Für ein Jahr fand sie ein Zuhause im Hinter Rössli in Egg, bevor sich dann die Grossfamilie in Oberegg niederlassen konnte. Dort habe übrigens im Winter immer viel Betrieb geherrscht, habe doch die Hottinger Skihütte gleich neben ihrem Haus gestanden und sei-en unzählige Zürcher Skifahrer von Pfäffikon zu Fuss auf den St. Meinrad und bei ihnen vorbeigekommen, um dann Richtung Körnlisegg weiterzugehen und danach wunderbare Abfahrten nach Altendorf hinunter zu geniessen. Sie selber habe nur zwei «Holzläde », auf denen der Vater eine einfache Bindung montiert habe, als Skier gehabt, ergänzt sie lachend und mit einem «chasch der öppe vorstelle!» dazu.

In der halben Schweiz unterwegs Nach den sieben Schuljahren in Egg half Marie zuerst ein Jahr daheim, bevor sie in einem Hotel in Schwyz als Zimmermädchen arbeitete. Danach kehrte sie wieder in den Viertel am Etzel zurück und war während knapp drei Jahren als Mädchen für alles bei ihrem Onkel, sprich bei «s’Präsis », im damaligen Lebensmittelladen, aber auch im Garten und in der Landwirtschaft tätig.

Danach zog es aber die junge Eggerin während der Zeit des Zweiten Weltkriegs in die Ferne. Zürich, Wetzikon, Frauenfeld, Winterthur, ja selbst Genf hiessen die Stationen, wo Marie im Service, als Zimmermädchen oder im Haushalt arbeitete. «Ich habe aber schon immer lieber serviert als geputzt oder einen Haushalt geführt», meint sie zu diesen Erfahrungen. So ist sie dann auch nach Bern gezogen und hat dort mit Leidenschaft serviert, bis am 23. Oktober 1957 die Hiobsbotschaft aus der Heimat kam!

Plötzlich acht Kinder aufs Mal!

«Diesen Anruf vergesse ich nie!», sprudelt es aus Marie heraus. Ihre Schwester Margrit war am Apparat und verkündete ihr, dass die Frau ihres Bruders Meinrad bei der Hausgeburt des achten Kindes an einer Embolie verstorben sei. Sie solle bitte, vor allem auf Drängen der Mutter, nach Hause kommen und sich um die Familie kümmern. Nach einer schlaflosen Nacht habe sie dann zugesagt und in den sauren Apfel gebissen, wie sie erzählt, schliesslich habe sie ja aus eigener Erfahrung gewusst, was eine grosse Familie bedeute. Sie habe die Entscheidung aber nie bereut und eine schöne, wenn oft nicht einfache Zeit, auch in finanzieller Hinsicht, erlebt und sich der Situation angepasst. «Wenn allerdings jemand gesagt hätte, ich könne gehen, ich wäre gar zu Fuss nach Bern zu meiner geliebten Tätigkeit als Serviertochter zurückgekehrt!» So fing denn im Januar 1958, nachdem die Nachbarsfamilie Tschümperlin während zwei Monaten für die Kinder geschaut hatte, ein völlig anderes Leben für die inzwischen knapp 34-Jährige an. Zum Glück für ihren Bruder und dessen acht Kinder, die sonst wohl auseinandergerissen und verteilt worden oder ins Waisenhaus gekommen wären. Auch wenn die Ältesten es ihr zu Beginn nicht immer leicht gemacht und ab und zu rebelliert hätten, weil sie die Mutter vermissten, hätten sie eine schöne Jugend gehabt, fasst ihr Neffe Meiri zusammen. Die Tante sei zwar streng gewesen und habe sicher viele Nerven gebraucht, Kunststück bei acht Kindern, aber sie habe ihnen immer wie eine eigene Mutter sehr gut geschaut und sei auch dafür verantwortlich gewesen, dass sie eine Lehre absolvieren konnten. «Als Strafe für ihre Lausbubenstreiche habe ich ihnen jeweils mit dem Samichlaus gedroht, den ich in der Roblosen entdeckt habe; allerdings hat den immer nur Marie gesehen», lacht die geistig rüstige Jubilarin, die nicht mehr so gut zu Fuss ist und deshalb nicht mehr gross vom Waldweg wegkommt.

Aus der Situation das Beste gemacht So weiss sie noch viele Geschichten aus ihrem 66-jährigen Leben im Waldweg zu erzählen, vom Kindererziehen, den Haushaltarbeiten, dem Gärtnern oder dem «Worben und Schwarbnen » im Heuet, notabene alles in Handarbeit. Oder wie sie stets einmal wöchentlich um 5 Uhr früh von Hand die Wäsche gewaschen hat, haben sie doch erst später eine Waschmaschine erhalten.

All diese Tätigkeiten ha-ben aber die 100-Jährige jung und gesund erhalten und ha-ben ihr erlaubt, bis ins hohe Alter selbstständig und aktiv zu bleiben. «Ja, sie hat gar noch mit 89 Jahren den Garten umgegraben und Gemüse angepflanzt! », wirft Beatrice ein. «Nur Kartoffeln, die für den ganzen Winter reichten, haben wir jeweils bei meiner Schwester im Aargau geholt, dort sind sie besser gewachsen», ergänzt Marie vif die Ausführungen. Und wiederholt nochmals, dass sie zufrieden sei und ein schönes Leben gehabt und einfach aus der Situation das Beste gemacht habe.

So durfte «s’Tanti» denn am letzten Samstag daheim im Waldweg, Egg, bei herrlichem Wetter, im Kreise der Verwandtschaft ihren hohen runden Geburtstag geniessen, sich von der Musikgesellschaft Egg musikalisch und von Bezirksammann Franz Pirker mit sehr sympathischen Worten, vielen Blumen und von der Familie mit einem leckeren Apéro beglückwünschen und feiern lassen.


Die Jubilarin Marie Lacher, flankiert von ihrer 90-jährigen Schwester Anni Schönbächler und dem 89-jährigen Bruder Franz, zusammen mit dem Gratulanten, Bezirksammann Franz Pirker.

Eine grosse Leidenschaft der jungen Marie Lacher (Mitte) waren Gletscherwanderungen und Bergtouren. Fotos: Marlies Mathis

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