«Die Idee, eingebürgerte Migranten zu deportieren, lehne ich zutiefst ab»
Marcel Dettling aus Oberiberg, der neue SVP-Präsident, steht Red und Antwort zur weiteren Entwicklung seiner Partei: «Ich will die Parteistärke der SVP noch steigern, personelle Fragen klären und Kantonalparteien weiter auf Vordermann bringen.»
Sind Sie vom Wahnsinn umzingelt? Marco Chiesa, Ihr Vorgänger im Amt, sagte, man müsse verrückt sein, um SVP-Parteipräsident zu werden. Es ist naturgemäss ein Wagnis, ein Parteipräsidium in Angriff zu nehmen. SVP-Chef zu sein hat viele schöne Seiten: Man lernt neue Kreise kennen, kann mit vielen Leuten kommunizieren. Und man kann sehr viel für die Unabhängigkeit und Freiheit unseres Landes machen. Das politische Leben ist überaus interessant.
Werden Sie Ihren Bauernhof aufgeben? Marco Chiesa mein-te, er habe an gewissen Tagen über hundert Telefonanrufe bekommen und noch mehr E-Mails erhalten. Hundert Anrufe an einem Tag zu tätigen ist fast ein Ding der Unmöglichkeit. Abgesehen davon: Wenn ich nicht die Zeit fin-den werde, um auch weiterhin auf dem Hof mithelfen zu können, bin ich wieder weg aus diesem Amt! Im Sommer braucht es mich mehr auf dem Hof, im Winter weniger. Es muss in unserem Milizsystem möglich sein, ein Parteipräsidium zu bewältigen. In keinster Art und Weise ist es meine Absicht, ein Berufspolitiker zu werden. War es Ihr Bubentraum, dereinst Parteipräsident zu werden? Nein, überhaupt nicht (lacht)! Als Kind wollte ich Bauer werden, mein Bubentraum war die Landwirtschaft. Ich fühlte mich immerzu vom Stall und den Tieren angezogen. Für die Politik habe ich mich schon auch interessiert: Bereits in der Primarschule habe ich Zeitungen gelesen und mich informiert, was in der Politik läuft.
Sind Sie zufällig in dieses Amt geraten oder hatten Sie einen Plan? Ich bin früh in die Politik hineingekommen und wurde bereits im Jahr 2008 als 27-Jähriger in den Schwyzer Kantonsrat gewählt. Dass ich dann im Jahr 2015 mit 34 Jahren in den Nationalrat gewählt worden bin, ist wohl eher dem Zufall zu verdanken: Alt SVP-Ständerat Peter Föhn hatte mich angerufen mit der Mitteilung, die Partei bräuchte noch jemanden auf der Liste, der Stimmen für die SVP hole. Niemand hat im Ernst damals daran geglaubt, dass dann mit Andy Tschümperlin, Fraktionspräsident der SP, ein bisheriger Nationalrat abgewählt werden könnte. Einen Plan hatte ich nicht, und ein Karrierist bin ich wohl kaum: Das Ellbögeln ist nicht mein Ding, und den Journalisten laufe ich nicht hinter-her
(lacht).
Sie beweisen Mut, dieses Amt zum jetzigen Zeitpunkt in Angriff zu nehmen: Es kann nur noch abwärts gehen mit der SVP. Nur schon die jetzige Stärke der Partei halten zu können, ist eine Leistung. Allerdings setze ich mir andere Ziele: Ich will die Parteistärke der SVP noch steigern, personelle Fragen klären und Kantonalparteien weiter auf Vordermann bringen. Denn es stehen grosse Herausforderungen bevor: Wir brauchen endlich griffige Lösungen in der Migrationspolitik und bei der Ausschaffung von kriminellen Ausländern. Und dann muss in jedem Fall ein schleichender EU-Beitritt verhindert werden. Am 23. März ging es in Langenthal nicht nur um Ihre Wahl, sondern auch um das Stromgesetz: Ist es verständlich, dass die SVP zusammen mit den radikalsten Verhinderern des Landes ein Gesetz bekämpft, das die einheimische und saubere Stromproduktion fördert? Die SVP bekämpft das neue Energiegesetz, weil damit der Strom noch viel teurer wird und neue teure Solar- und Windkraftwerke keine Stromsicherheit gewähren. Diese Kraftwerke produzieren Flatterstrom und verursachen damit Schwankungen in der Stromerzeugung – weil die gewonnene Energie sich ungenügend speichern lässt. Der Netzausbau wegen diesem Gesetz kostet 37 Milliarden. Die SVP lehnt das neue Stromgesetz auch deswegen ab, weil die Gemeindeautonomie übergangen wird. Die SVP unterstützt stattdessen seit Jahrzehnten einen Ausbau der Wasserkraft und setzt auf alle Technologien, auch Atomstrom. Haben Sie die junge SVP im Griff? Oder macht Ihnen der Flirt der Jungpartei mit der Jungen Tat keine Sorgen? Mir ist kein solcher Flirt bekannt. Die junge SVP ist eine eigenständige Organisation: Die Mutterpartei macht der Jungpartei keine Vorschriften, wie sie zu den-ken hat und welche Politik sie betreiben soll. Ein Problem entsteht dann, wenn die junge SVP die gleichen Inhalte wie rechtsextreme Gruppen vertreten würde. Christoph Blocher war es immer wichtig, dass die SVP keine Kontakte zu rechtsradikalen Parteien hat. Ändert sich das nun unter Ihrer Führung? Die SVP hat es unter der Führung von Christoph Blocher immerzu verstanden, Gruppierungen am rechten Rand in unsere Partei einzubinden. Einbinden statt ausgrenzen war die Devise. Damit es eben nicht zu einer Radikalisierung kommt. Kontakte zu rechtsradikalen Parteien aus dem Ausland hat Christoph Blocher zu Recht abgelehnt: Das ändert sich unter meiner Führung nicht.
Propagiert wird von Martin Sellner die Deportation von eingebürgerten Migranten. Finden Sie das eine gute Idee? Die Idee, eingebürgerte Migranten zu deportieren, lehne ich zutiefst ab. Das Ziel der SVP ist ein ganz anderes: Wir wollen die Landesgrenze endlich schützen, kriminelle Ausländer ausweisen und die Zuwanderung gemäss Volksentscheid aus dem Jahre 2014 wieder selber steuern. Was halten Sie von der Kündigung der Genfer Flüchtlingskonvention?
Zu diesem äussersten Schritt, zum letzten geeigneten Mittel, könnte es kommen, wenn alle anderen Stricke reissen. Wenn wir keine Lösung des Migrationsproblems finden, muss als Ultima Ratio auch über die Kündigung der Genfer Flüchtlingskonvention diskutiert werden, zum Schutz unserer eigenen Bevölkerung.
Die Linke und die SVP wollen der Armee verbieten, mit der Nato zu trainieren und an Übungen teilzunehmen. Wie soll sich die Schweiz ohne Nato gegen Russland verteidigen können? Wieso glauben Sie, dass uns Russland angreifen sollte? Wich-tig ist, dass wir weiterhin neutral bleiben. Wir müssen uns von jedem Bündnis fernhalten und eine selbstständige, schlagfertige Armee unterhalten. Ist man im Ernstfall nicht auf die Unterstützung der Nato angewiesen?
Im Augenblick ist es eher unrealistisch, dass die Schweiz gegen eine grosse Macht lange bestehen könnte, weil Mitte-Links die Armee in den letzten Jahren ka-putt gespart hat. Die SVP hält an einer autarken Armee fest: Sie braucht endlich mehr Geld, um bessere Waffensysteme kaufen zu können.
Die SVP sorgte im Bundesparlament dafür, dass ihr eigener Vorstoss zur Verschärfung der Regeln für Grossbanken nicht behandelt wird. Wieso hat Ihre Partei der Mut verlassen, die UBS an die kurze Leine zu nehmen? Aufgeschoben ist nicht aufgehoben: Das Parlament hat eine Untersuchungskommission (PUK) eingesetzt, die ihren Bericht Ende Jahr vorlegen wird. Diesen Bericht möchte die SVP erst einmal abwarten. Ich denke, es ist richtig, wenn wir die Motionen, die in diesem Bereich eine Regulierung fordern, erst dann behandeln, wenn dieser Bericht vorliegt. Die Kleinbauern-Vereinigung will die Direktzahlungen bei 150’000 Franken pro Betrieb deckeln. Finden Sie das eine gute Idee? Eine stärkere Abstufung könnte sinnvoll sein. Dies wurde mit der AP 2014–2017 abgeschafft, gegen den Willen der SVP. Stichwort Bauernhofsterben: Es gibt immer weniger Empfänger der Subventionen. Pro Hof bleibt also mehr übrig. Die Einkommen sind seit dem Jahr 2015 im Durchschnitt um einen Drittel gestiegen. Das erzielte Gesamteinkommen erreichte im Jahr 2021 pro Hof über 110’000 Franken, der bisherige Höchststand. Den Bauern ist es in den letzten 10, 15 Jahren sehr gut ergangen. Wieso protestieren die Landwirte? Wenn es den Bauern so gut gehen würde, wie Sie es beschreiben, würden wohl kaum jährlich so viele Betriebe aufgeben. Das Gegenteil ist doch der Fall: Extremer Kostenanstieg (zum Beispiel Strom), tiefe Produzentenpreise, steigende Vorschriftenflut. Die Bürokratie ist für viele erdrückend.
Was fordern die Landwirte konkret?
Die Bauern fordern mit den Kundgebungen eine höhere Entschädigung der Landwirtschaftsprodukte. Die Preise bei der Milch und beim Getreide ha-ben mit den steigenden Produktionskosten nicht Schritt gehalten. Damit wird die Modernisierung und Weiterentwicklung der Betriebe gefährdet. Die Landwirtinnen und Landwirte sind zudem der Ansicht, dass ihnen die Öffentlichkeit nicht die verdiente Wertschätzung für ihre Arbeit zukommen lässt. Seit Jahren wird die Landwirtschaft für alle möglichen Arten von Initiativen an den Pranger gestellt. Dabei macht die Landwirtschaft ihre Hausaufgaben. Gibt es eine Spaltung im Bauernstand zwischen den armen und den reichen Landwirten? Es gibt keine Spaltung. Zudem müssten Sie mir arm und reich definieren. Gibt es Spannungen zwischen den Bauern und den Verarbeitern sowie Detailhändlern? Knapp 50’000 Betriebe in der Landwirtschaft stehen zwei starken Grossverteilern gegenüber, welche die Preise für die Produkte bestimmen: Diese Grossverteiler kontrollieren gleichzeitig die grössten Verarbeiter – und damit die Preispolitik. Nur gerade die Fleischproduktion ist von dieser Misere ausgenommen: Dank eines Grenzschutzes wird der Import von billigem Fleisch verteuert. Vermehrt wird die SVP – wie die FDP – als eine Partei für die Superreichen wahrgenommen. Was unternimmt die SVP gegen die Verarmung des Mittelstandes?
Die SVP ist eine Volkspartei, die alle Schichten der Gesellschaft vertritt. Wenn sich we-gen der 13. AHV-Rente die Kosten erhöhen, wird just der Mittelstand aufgrund der Steuererhöhungen darunter am meisten leiden. Deswegen hat die SVP Nein gesagt zu dieser Vorlage. Auch die Prämienentlastungs-Initiative der SP, die nächste Sozialausbau- Vorlage, lehnt die SVP ab: Unsere Partei ist daran interessiert, dass die Kosten gesenkt – und nicht erhöht – werden. Das kann zum Beispiel gemacht werden, indem der Leistungskatalog verkleinert wird. Oder für Flüchtlinge eine Krankenkasse light zur Verfügung steht. Das heisst: Asylbewerber hätten nur noch Anspruch auf Notfallbehandlungen.