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Unzählige wurden ihrer Kindheit beraubt

Unzählige wurden ihrer Kindheit beraubt Unzählige wurden ihrer Kindheit beraubt

Der Titel der Ausstellung «Arbeitende Kinder im 19. und 20. Jahrhundert» ist Programm

Im berstend vollen Festzelt auf der Hofmatt in Schwyz wurde am Samstag anlässlich der Vernissage die mit viel Feingefühl geschaffene, nie wertende Ausstellung zu einem bewegenden und in unserer Vergangenheit viele betreffenden Thema eröffnet.

Es ist ein eigentlicher Gegensatz, das im Forum Schweizer Geschichte gleich zu Beginn der Ausstellung einladende grossformatige Farbfoto mit den strahlenden Knaben, welche in Rothenthurm am «Ischä» (Eisabbau) sind, und die zahlreichen Schwarz-Weiss-Bilder von den in Fabriken arbeitenden Kindern mit unergründlichen Augen in unbewegten Gesichtern.

So unterschiedlich war wohl auch in den vergangenen Jahrhunderten in der Schweiz das damals für die Erwachsenen selbstverständliche Mitarbeiten ihrer Kinder in sämtlichen Bereichen der Wirtschaft. Während beispielsweise in der Landwirtschaft die Kinder auf den Betrieben ihrer Eltern in strenger und zeitintensiver Arbeit mithalfen und zum täglichen Lebensunterhalt beitrugen und so ins Arbeitsfeld ihrer Familien eingeführt wurden, wurden Kinder und Jugendliche speziell während des industriellen Aufschwungs als billige Arbeitskräfte ausgebeutet, häufig mit lebenslangen, gesundheitlichen Schäden.

Dass diese traurige Tatsache aber in vielen Ländern lei-der auch heute noch aktuell ist und unzählige Kinder unter schlechten, ungesunden Bedingungen harte Arbeit, beispielsweise in der Baumwollindustrie, in Bergwerken oder beim Kaffee- und Kakaoanbau verrichten, zeigte die Geschäftsführerin von UNICEF Schweiz und Liechtenstein, Bettina Junker, in eindrücklichen Worten an der Vernissage auf. Mit einem sachlichen Appell rief sie den Anwesenden in Erinnerung, wie jeder von uns einen kleinen Beitrag an eine schrittweise nachhaltige Verbesserung dieser Situationen leisten könnte. Eine bereichernde Vernissage

Vor dem für unsere Augen schon fast verklärenden Titelbild mit dem nostalgisch anmutenden Bisisthaler Mädchen in seiner schlichten Kleidung und der schweren «Chräze» am Rücken führte Denise Tonella, die Direktorin des Schweizerischen Nationalmuseums, nach einem gelungenen volksmusikalischen Einstieg sehr persönlich in die bewegende Ausstellung ein. Selber in einem abgelegenen Tessiner Tal auf einem Bauernhof aufgewachsen, hat sie die Zeit der Kinderarbeit am eigenen Leib erfahren, aller-dings in ihrer Erinnerung meist als positives und lehrreiches Erlebnis. Doch wenn die harte und oftmals gefährliche Kinderarbeit im 19. und 20. Jahrhundert gar verhinderte, dass die Kinder zur Schule gehen konnten und ihnen damit die entsprechende Möglichkeit zur Bildung verwehrt wurde, war dies eine klare Ausbeutung.

Spannend waren auch die geschichtlichen Fakten und Hintergründe, welche bei der Historikerin Loretta Seglias zu diesem breiten und bis anhin schweizweit wenig beachteten Thema zur Sprache kamen. Auf den Punkt brachte es schliesslich die Ausstellungskuratorin Pia Schubiger, die mit ihrer letzten geballten und aufwendigen Ausstellung vor ihrer Pension, zusammen mit Rebecca Sanders, für kleine und grosse Besucher wirklich ein berührendes, optisches und akustisches Erlebnis, gar verstärkt mit passenden Düften, geschaffen hat: «Diese Geschichten haben viele Gesichter. » So werden etliche Nuancen mittels Fotos, Bildern, Schriften, Akten, Objekten, Filmen oder persönlichen Geschichten gezeigt, und am Schluss des Rund-gangs sind die Besucher eingeladen, Erinnerungen und Erfahrungen an ihre eigene Kinderarbeit mitzuteilen. In unserer Region nicht anders

Auch in unserem Kanton war Kinderarbeit gang und gäbe, so in Haus und Hof bei Heimarbeit, beim Heuen, Vieh hüten, «Turpnä » (Torf stechen), aber auch beim Klöppeln oder Spulen für die Webereien als auch im Druckereigewerbe des Benziger Verlags in Einsiedeln, wo Kinder von Hand vorwiegend Heiligenbildchen für die sogenannte fromme Industrie kolorieren mussten. Besonders ungesund und gefährlich waren die Tätigkeiten der Kinder in der Textilindustrie, mussten sie doch beispielsweise unter die riesigen Maschinen kriechen, diese reinigen und ölen.

Erst mit der flächendeckenden Einführung des obligatorischen Schulunterrichts 1874 und der Annahme des Eidgenössischen Fabrikgesetzes 1877 wurde die Schulbildung ein Grundrecht und die Arbeit von Kindern unter 14 Jahren, zumindest in der Industrie, in der Schweiz verboten. Entsprechend ist ein stattlicher Teil der Ausstellung dem Thema Kinderrechte, aber ebenso der Schulgeschichte in der Schweiz gewidmet und wird ein besonderes Augenmerk auf die Verhältnisse in der Zentralschweiz gelegt. Traurige Berühmtheit erlangten dabei auch die Fremdplatzierten, die Heim- und Verdingkinder oder die Schwabenkinder aus dem Kanton Graubünden mit ihren Schicksalen. Und nicht zuletzt wird das äusserst tragische, aber wohl den meisten bekannte Kapitel der kleinen Tessiner Kaminfeger, der «schwarzen Brüder », welche in Italien als lebende Besen die Kamine reinigen mussten und unter meist unvorstellbar harten Umständen überlebten, beleuchtet.

Dazu wird es im Forum der Schweizer Geschichte im April eine spezifische Führung geben, genauso wie im Herbst vom Egger Historiker Heinz Nauer eine zum Thema «Fromme Industrie, arbeitende Kinder im Benziger Verlag Einsiedeln » und vom Rothenthurmer Lokalhistoriker Albert Marty zum «Turpnä» und «Ischä», den wichtigen Nebenerwerben für die Bauernfamilien.

kolorieren.

Fotos: Marlies Mathis


Bis ins Jahr 1987 kamen in unserer Region solche Turpenmaschinen zum Einsatz, danach war das Torfstechen verboten.

Im Benziger Verlag in Einsiedeln mussten Kinder unzählige Heiligenbildchen

Heuet in Rothenthurm mit der ganzen Familie.

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