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Das Monatsgespräch im Februar

Das Monatsgespräch im Februar Das Monatsgespräch im Februar

Franziska Keller trifft René Corbeels, Physiotherapeut aus den Niederlanden

Jahrgang: 1964 Geburtsort: Eindhoven NL Wohnort: Euthal Zum Gespräch treffe ich mich diesmal mit René Corbeels. Als Erstes klärt er mich auf, war-um er kein Holländer, sondern ein Niederländer ist, der in der Provinz Nordbrabant aufgewachsen ist. Man sage einer Aargauerin auch nicht, sie komme aus dem Bündnerland. Das leuchtet ein. René Corbeels ist ein interessanter Gesprächspartner, der seit 26 Jahren in unserem Bezirk (erst Willerzell, dann Einsiedeln, aktuell in Euthal) wohnhaft ist, davon 120 Prozent integriert, jedoch nur 85 Prozent assimiliert. Zusammen mit anderen Niederländern und Deutschen stellt er fest, dass man hierzulande nicht nur geduldet, sondern grundsätzlich willkommen ist – unter Vorbehalt des Integrieren- und Assimilieren-Themas. Wie viele Stunden arbeiten Sie als selbstständiger Physiotherapeut die Woche? Ich arbeite ungefähr 45 Stun-den in 4,5 Tage, habe längere Arbeitstage, aber als selbstständiger Physiotherapeut teile ich mir die Therapiestunden ja selbst ein. Diese Selbstständigkeit schätze ich sehr: Niemand redet mir rein, ich entscheide selbst und trage die Verantwortung für den eigenen Erfolg. Warum haben Sie sich für die-sen Beruf entschieden? Weil ich immer schon am Menschen, Sport und Biologie interessiert war. Im Nachhinein würde ich sagen, auch Arzt hätte mir gefallen. Ihr Beruf in Kurzbeschreibung?

Schön, helfend, bereichernd. Ich erfahre alles vom Handwerker bis zum Banker, vom Arzt bis zum Chemiker und auch von Zugezogenen, wie es ihnen geht.

Therapie öffnet.

Welche Beschwerden behandeln Sie am häufigsten?

Zusammenfassend sind es Wirbelsäulenprobleme – grundsätzlich ist der Rücken am häufigsten betroffen. Sie leben als Niederländer seit 26 Jahren im Bezirk Einsiedeln. Was hat Sie hierhergebracht? Der Klassiker: Der in den 80er-Jahren ausgebildete niederländische Therapeut wurde im Heimatland arbeitslos. Bei uns waren wir zu viele und gleichzeitig gab es in der Schweiz einen Mangel an Therapeuten. Da man in der Schweiz relativ frei und selbstständig arbeiten kann, war der Schritt damals sicher mutig, dennoch haben ihn viele gemacht.

Warum Einsiedeln?

Ich begann im Spital Lachen und kam durch Zufall nach Einsiedeln. Es gab keinen bestimmten Grund, und es hätte auch anderswo sein können. Was hat Sie am Anfang an Einsiedeln fasziniert? Berge, See, Natur und der schöne Dorfkern mit dem Kloster und der Hauptstrasse. Man muss sich vorstellen, dass in den Niederlanden der höchste Berg nur mal 322,5 m hoch ist – in Anbetracht dessen sind die Schweizer Berge schon recht beeindruckend.

Sind Sie gut integriert?

Es fehlen mir hier mein Sandkastenkollege und es Grundschuelgspändli. Ich würde es so benennen: 120 Prozent bin ich integriert – das bedeutet, ich bin einer von hier, jedoch etwa 85 Prozent assimiliert. Ich mache ein Beispiel: Wenn du in den Niederlanden jemanden einlädst, macht jemand einen Vorschlag: «Häsch du morge Ziit?» Und dann unternimmt man etwas. In der Schweiz heisst es: «Mol, chömmer mache, chönntsch no drü wiiteri Terminvorschläg mache? Ich frag dänn mal meine Frau und gebe dir bis am Freitag Bescheid.» Schmunzeln muss ich, wenn Schweizer mich mit meinem Schwiizertütsch mit niederländischen Wurzeln reden hören, sogleich ins Hochdeutsche wechseln und ich ihnen dann in Schwiizertütsch antworte. Ich bin also gut hier angekommen. Hat bei der Integration vielleicht auch ein Verein mitgeholfen?

Ich bin seit zehn Jahren im Schachclub Einsiedeln und mittlerweile als Kassier im Vorstand. Um Kontakte zu knüpfen und hier anzukommen, empfehle ich sehr, einem Verein beizutreten. Vermissen Sie etwas aus Ihrer Heimat? Ich vermisse die doppelspurigen Velostreifen. Was würde einem Schweizer in den Niederlanden auffallen? Bei den Strassenschildern erschrecken viele beim Wort «Mist», welches «Nebel» bedeutet. Einerseits den unterschiedlichen Wohlstand, erkennbar an den Autos (NL: Renault, Fiat, Citroen / CH: Audi, BMW, Mercedes, Porsche). Oder dass man wegen CO2 auf der Autobahn nur noch 100km/h fahren darf, sowohl die bereits erwähnten doppelspurigen Velostreifen. Und ein lustiges kleines Detail wenn man eine Wohnung zügelt: In den Niederlanden verlässt du die Wohnung besenrein und die Küche wird normal geputzt. In Deutschland zügelst du die Küche mit. Und in der Schweiz ist die Wohnungsabgabe ein Event mit Protokoll und Wohnungsübergabegarantie. Da kann ich nur darüber lachen.

Welche Unterschiede an Menschen und Kultur stellen Sie fest? Der Holländer ist spontaner und direkter als der Schweizer, denn der Holländer spricht immer direkt, wenn etwas ist, wohingegen der Schweizer oftmals den Umweg bevorzugt. Beruflich sind Sie ständig mit Menschen in Kontakt, wie ist der Kontakt zu Menschen in der Freizeit? Ich mag Menschen, schätze jedoch privat auch meine Ruhe. Wenn ich abends manchmal gefragt werde: «Bist du müde vom Schaffe?» antworte ich: «Nei, vom Zuelose und Rede.» Die körperliche Arbeit ermüdet mich nicht, aber das andere. Apropos Freizeit: Wie verbringen Sie diese am liebsten? Im Garten und mit meinem E-Bike – seit ich etwas älter bin ist es ein «E», früher war es ein gewöhnliches Bike. Fasnacht steht an. Trifft man Sie da im Konfettitumult? Fasnacht ist bei mir, da ich südlich der grossen Flüsse in den Niederlanden wohnte, riesengross geschrieben. Daher habe ich den Fasnachtsvirus schon auch und nehme mir am Güdelmäntig immer frii, um dem Sühudi- und dem Wagenumzug zuzuschauen.

Könnten Sie sich vorstellen, irgendwann wieder in die Heimat zurückzugehen? Da ich mittlerweile mit meiner Lebenspartnerin fünf erwachsene Kinder und vier Enkelkinder habe, die alle hier wohnen, kann ich es mir nicht vorstellen. Hätten wir kein Kind gehabt, bestände die Möglichkeit, eine Rückkehr in Betracht zu ziehen. Woran erinnern Sie sich, wenn Sie an Ihre Kindheit in Holland zurückdenken? An die Nähe des Waldes, den ich geliebt habe, wie ich mit meinem Freund aus zwei Velos eines umgebaut habe und an den grossen Schrebergarten meines Vaters mit Hühnern und Bäumen. Worauf freuen Sie sich, wenn Sie an Ihre Zukunft denken? Ich freue mich auf weniger Arbeiten und trotzdem am Ball bleiben. Auch nach der Pensionierung werde ich im kleineren Umfang weiter therapieren. Was steht noch auf Ihrer persönlichen Liste, das Sie gerne erleben möchten? Da ich sehr lange als Selbstständiger gearbeitet habe, freue ich mich einfach nur darauf, mehr Zeit zu Hause und in der direkten Umgebung zu verbringen.

Von Franziska Keller

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