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Die Bürgerwehr marschiert über die Leinwand

Die Bürgerwehr marschiert über die Leinwand Die Bürgerwehr marschiert über die Leinwand

In ihrem neuen starken Dok-Film «Die Bürgerwehr und ihr Pagat» lassen Franz Kälin und Roli Ochsner in erster Linie Bilder und Emotionen sprechen. Und das ist recht so, denn was gibt es schon mehr zu sagen als: «Mir hei e Verein, i ghöre derzue!»

Die Einsiedler Fasnachtsgesellschaft «Bürgerwehr» ist natürlich alles andere als ein Schweizer Durchschnittsverein, wie ihn Mani Matter in seinem sarkastischen Lied beschreibt, sondern eine fantastische, archaische, farben- und freudesprühende Gesellschaft. Doch neben allen Ritualen und Traditionen, die der mittlerweile 91-jährige Verein pflegt, spielen Miteinander und Mitmachen nach wie vor eine zentrale Rolle.

In diesem Film gibt es vor allem zu sehen, zu hören und zu fühlen – Information wird knapp gehalten. Es gibt keine erklärende Kommentarstimme, die Fasnächtler erzählen ihre Geschichte selbst in ihrer eigenen Sprache, wodurch der Film viel Lebendigkeit und Unmittelbarkeit erhält. In zwei Strängen führt er durch das Wunder der Fasnacht: zum einen das kurze, aber bombastische Leben des «Pagats», zum andern die lärmig- lustige Chronik der Einsiedler Fasnacht.

«Aus Ernst wurde Spass»

Ein wenig Historie ist auch drin, darin wird in erster Linie der «zündende Moment» der Gründung beschrieben. Ihre Bezeichnung hat die «Bürgerwehr» vom gleichnamigen Infanterie-Schiessverein, der bereits lange zuvor für militärische Zwecke existiert hatte. 1933, mitten in der Weltwirtschaftskrise, wurde daraus offiziell die Fasnachtsgesellschaft gegründet. Der wirtschaftlichen Depression die Zunge rauszustrecken, war ein offensichtliches Bedürfnis. «Aus dem ursprünglichen Ernst der Bürgerwehr war Spass geworden», wie es in der Geschichte der Bürgerwehr heisst. Neben der Freude am Fasnachtstheater war das Ziel des Vereins, Geld zu sammeln, um Wurst und Brot an die Kinder zu verteilen.

Zusammengekleisterter «Fasnachts-Gott» Staunend verfolgt der Zuschauerblick, wie aus Papiermaché und Kleister der «Fasnachts-Gott» mit Narrenkappe und Glocke gemäss dem «Under Schellen» auf der Jasskarte aufersteht. Sein aufgedunsener Riesenkörper wird genäht und mit Holzwolle gefüllt. Für wenige Tage ist er König der Narren, bis ihm der dicke Bauch mit zwölf kleinen Bomben gefüllt wird, die ihn auf dem Klosterplatz feierlich zerfetzen.

Doch das kurze Leben des Pagats wird im Film langsam ausgekostet – Episode für Episode. Dazwischen erscheint das bunte Leben der Bürgerwehr vor und hinter den Kulissen auf der Leinwand. Das gegenseitige kameradschaftliche Festschnallen der Trichle auf dem Rücken über dem Gesäss ist ebenso beeindruckend wie das anschliessende Spektakel beim Eintricheln am Dreikönigstag. Der wankende Gang der Trichler mit der Glocke «am Hintern» erinnert unmittelbar an die rhythmisch schwingenden Gesässe der Samba-Schulen am Karneval von Rio. Zwölf Donnerschläge und aus

Ab jetzt tickt die Fasnachtsuhr und bringt das Leben der Einsiedler zwischen Frühaufstehen und Durchmachen komplett durcheinander. Nach der Eiskälte in der Gasse drängt sich das Fasnachtsvolk in die Wärme der Einsiedler Beizen. Viel Bier und deftiges Essen füllt die zugeschnürten Trichlerbäuche.

Dann wieder platzt die Fasnacht aus allen Nähten, wenn am SchmuDo das Narrenvolk ungestüm und schrill durch das Dorf zieht. Schön wird hier der Zeitkolorit erkennbar, den der Film erfasst. Jede Fasnacht ist gleich und doch wieder anders. Wer wird ausgelacht? Welche Themen werden persifliert? Obschon die Kamera mit den Narren tanzt, bleibt sie stets «am Boden». Es fehlen extreme Perspektiven und spektakuläre Drohnenaufnahmen. Die Dramaturgie bleibt bodenständig. Schliesslich kommt der tränenreiche Abschied, wenn die Narren und Trichler im infernalischen Tohuwabohu ihre Runden um den todgeweihten Pagat im Feuer ziehen. Zwölf Donnerschläge markieren Tod und Wiedergeburt. Eindeutig filmreif. Eindeutig gut.

17.–22. Januar. Kino Cineboxx Einsiedeln. www.cineboxx.ch

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