Rollenverteilung

Was für eine Reinigungskraft im Toilettenbereich alltäglich ist, wurde letzte Woche im Kulturund Kongresszentrum Zwei Raben regelrecht zelebriert: die Rollenverteilung. Ich gebe zu, ich habe lange mit mir gerungen, ob ich nun zum sechsten Mal beim grössten Theaterereignis der Schweiz mitwirken soll oder nicht. Beim ersten bärfüssigen Versuch für das Jahr 2020 jagte mich beim Casting ein Seepferdchen regelrecht aus der Klosterturnhalle. Und dann kam das Unvermeidliche: die Absage der Spielsaison 2020 infolge eines übereifrigen Käfers mutmasslich aus dem Osten. Nun könnte ich natürlich behaupten, ohne mich kein Welttheater, aber fairerweise mache ich dies hier natürlich nicht.

Früher suchten die Spieler die Rolle aus. Meinen Welttheaterstart verbrachte ich in meinen beiden ersten Jahren, 1987 und 1992, als Singengel im Himmel. Alles änderte sich für das Jahr 2000, da wurden in Anlehnung an eine deutsche «Auch ich kann doch singen»-Sendung für alle Mitwirkenden Castings abgehalten. So landete ich auf der Erde und regierte für einen Sommer als junger König auf dem Klosterplatz. In der Pestszene durfte ich gar Hexen über den Platz zerren und auf den Scheiterhaufen werfen. Sieben Jahre später, und älter, wurde mir in der Blüte meines Lebens die Hauptrolle als King Chäli zuteil. Das waren gar strenge Proben, bis tief in den nächsten Tag hinein!

Das Jahr 2013 war rollentechnisch gemächlicher. Auch die Spielsaison mochte die Begeisterung des Publikums nicht so rich-tig hervorrufen. Aber, alles Tempi passati.

Bei der ersten Vorstellung des Stückes war ja früh klar, dass für mich keine Hauptrolle drinliegt. Die Hauptrollen, unisono vereinnahmt vom weiblichen Geschlecht, werden im nächsten Jahr ausschliesslich weiblich sein. So wird es eine Königin, eine Bettlerin, eine Bäuerin und eine Reiche geben. Bei der Schönheit bleibt Bärfuss also beim Original. Diese war, bleibt und wird wohl immer eine Frau sein. Die anderen Rollen, teilweise aber auch Hauptrollen, sind dann wieder für alle Geschlechter offen. Dabei wäre es doch so einfach gewesen, die Rollen neutral zu schreiben. Überall ein typisch schweizerisches -li angehängt, und alle Genderisierungsprobleme gelöst! Das Reicheli flirtet mit dem Schönheitli, das Bauerli streitet mit dem Bettlerli und das Weisheitli hätte es sowieso besser gewusst.

Die Rollen sind nun verteilt: Ich werde im kommenden Jahr unbeschreiblich reich sein. Und alt. Obwohl ich noch kein halbes Jahrhundert auf meinem Originalbuckel habe, werde ich den 100-jährigen Reichen zum Besten geben. Wie sieht meine Rolle denn aus? Ich weiss es nicht, noch nicht. Meine erste Probe ist am 14. Januar. Weitere Informationen folgen. René Hensler * Redaktor René Hensler (*1974) spielt 2024 bereits zum sechsten Mal am Einsiedler Welttheater mit. Vom Welttheatervirus angesteckt wurde er von seinem damaligen Klassenlehrer. Und alle paar Jahre bricht die-ser Virus wieder in ihm aus. In loser Reihenfolge ermöglicht er während des ganzen Jahres als «Arkadenspion» Einblicke in die Arbeit rund um das Spiel.