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Antonio der Engelschnitzer

Antonio der Engelschnitzer Antonio der Engelschnitzer

Eisige Kälte lag über dem Sihlhochtal. Seit drei Tagen hatte es ununterbrochen geschneit. Da lag eine weisse Traumlandschaft, wie man sie sich genau zu Weihnachten wünscht.

Der bescheidene Schnitzer Antonio stapfte durch den meterhohen Schnee. Mit seinen fast 70 Jahren auf dem Buckel wurde es für ihn immer anstrengender, den tief eingeschneiten Pfad zu seinem Haus zu finden. Sein kleines Holzhäuschen lag auf einer Anhöhe, von der man über den ganzen See blicken konnte. In drei Tagen war Heiliger Abend und Antonio hatte noch einiges zu tun.

Wie jedes Jahr hatten auch diesmal wieder viele Menschen geschnitzte Weihnachtsengel bei ihm bestellt. Er schnitzte weit und breit die schönsten Engel. Grosse und kleine, lustige, verschmitzte, aber auch besinnliche Engel. Vor allem die Kinder mochten seine Engel. Als Antonio sein Holzhäuschen mit der zugeschneiten Eingangstür erreichte, war er erschöpft. Er griff zur Schaufel und schaufelte sie frei. Endlich. Endlich kam er in seiner warmen Stube an. Im Kamin war noch ein wenig Glut, Antonio warf ein paar Holzklötze darauf, setzte sich in seinen bequemen Schaukelstuhl und beobachtete, wie es erneut zu brennen begann. Der Moment war gekommen, um die geliebte Pfeife mit dem Lieblingstabak anzuzünden – mit Zimtgeschmack. Er schaute intensiv in die Flammen. Eine geborgene Wärme umgab ihn. Er wurde müde, schlief alsbald ein und begann zu träumen.

Plötzlich klopfte es an seiner Türe. Antonio hört es erst gar nicht. Wieder klopft es. Dreimal musste es der Besucher versuchen, bis der Schnitzer es wahrnahm, aufstand und öffnete. Doch niemand stand draussen. Immer noch wehte ein eisiger Wind. Die Nacht mit vielen funkelnden Sternen am Himmel war klar. Antonio schaute sich um. Plötzlich blendet ihn ein starkes, goldenes Licht umgeben von zwei mächtigen Flügeln.

Und da stand ein wunderschöner Engel vor ihm. Der Engel lächelte und begann zu sprechen: «Auch wenn du arm und alt bist, und kein Geld hast, bist du reich. Du hast eine reine Seele, du bist ein herzensguter Mensch, du bist ein wahrer Engel auf der Erde. Mit deinen geschnitzten Holzengeln, die du immer an die Kindern und Erwachsenen verschenkst, bewirkst du so viel Gutes auf der Erde. Keine Zeitung berichtet darüber, aber die Menschen machen sich dadurch Gedanken zu ihrem Leben und Handeln. Nie hast du dafür Geld angenommen. Höchstens hin und wieder ein Stück Holz, um Feuer zu machen, oder Tabak für deine Pfeife. Und jedes Jahr kommen mehr Bestellungen dazu. Antonio, du bist ein wahrer Engel und dies nicht nur an Weihnachten.» Dann wurde es still und der Engel verstummte. Antonio erwachte, schlug die Augen auf. Hatte er das wirklich nur geträumt? Die Begegnung hatte sich so real angefühlt.

Antonio spürte eine tiefe Dankbarkeit und ein tiefes Gefühl von Weihnachten. In dem Moment wusste er nämlich: Immer dann, wenn man mit Liebe, Respekt, Achtsamkeit und guten Taten durch das Jahr geht, ist Weihnachten. Weihnachten ist nicht nur an den 24. Dezember gebunden – Weihnachten kann immer sein.

Fotos: Auf Basis der Geschichte generiert

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