Ein Hausarzt aus Leidenschaft geht in Pension
Nach knapp 35 Jahren als Hausarzt in Einsiedeln geht Gustav Farner in den beruflichen Ruhestand. Während seiner arbeitsreichen Karriere hat er die rasante Modernisierung und Spezialisierung in der Medizin erlebt.
Bei seiner Berufswahl hatte Gustav Farner ein Vorbild. Sein Onkel, ein Hausarzt in Murten, war diejenige Person, die ihn auf den Arztberuf brachte. «In meiner Jugend begleitete ich ihn in den Ferien oft auf seinen Hausbesuchen und war beeindruckt von seiner menschenfreundlichen Arbeit», erzählt er. Nach der Mittelschule in Wetzikon im Zürcher Oberland studiert er Medizin in Zürich, besteht 1977 das Staatsexamen, erhält nach zwei Jahren seinen Doktortitel und wird 1985 Spezialarzt FMH für Allgemeine Innere Medizin.
Mehr als ein Jahrzehnt arbeitet er als Notfallarzt in Zürich, macht Praxisvertretungen in Zürich, Göschenen und Kandersteg und arbeitet als Assistenzarzt auf den Gebieten Chirurgie, Psychiatrie, Gynäkologie und Geburtsmedizin, Anästhesie, Innere Medizin Klinik und Poliklinik, Pädiatrie, Rheumatologie und manuelle Medizin.
Unerwartetes Angebot in Einsiedeln Doch obwohl er mit der Zeit über eine sehr breite Berufserfahrung verfügt, gelingt es ihm zunächst nicht, sich in der Region Zürich selbstständig zu machen. «In den Siebziger- und Achtzigerjahren gab es genügend Ärzte. Trotz meiner guten Qualifikation konnte ich in meiner Region keinen Platz finden, unter anderem, weil die Konkurrenzangst bei den ansässigen Ärzten sehr stark war», schildert Farner die Situation. Als er 1989 wegen eines Armbruchs für sechs Wochen ausfällt, entschliesst er sich dazu, Bewerbungen in die ganze Schweiz zu verschicken. Und obwohl Einsiedeln gar nicht auf seiner Prioritätenliste steht, kommt es genau dort zu einem Treffen mit weitreichenden Folgen.
Der langjährige Hausarzt Dr. Hans Georg Keel will altershalber und wegen gesundheitlicher Probleme sein Wohnhaus und die darin integrierte Praxis aufgeben und ist bereit, dem jungen Kollegen diese zu überlassen. «Er machte mir ein attraktives Angebot, welches ich nicht ohne anfängliche Bedenken angenommen habe», so Farner.
Auch für seine Frau war klar, dass sie ihre Ambitionen, als Biochemikerin in der Forschung zu arbeiten, zurückstellen muss-te, da sie in der Hausarztpraxis gebraucht wurde. Zu den verschiedenen Bereichen, in welchen sie arbeitet, gehört unter anderem die Lehrlingsausbildung. Sie hat Freude an der Arbeit mit den jungen Menschen und ist stolz, dass alle ihre «Mädchen» die Lehrabschlussprüfung bestehen.
Sprung ins kalte Wasser Doch mit dem schönen und geräumigen Haus übernehmen die beiden auch ein gewaltiges Arbeitspensum. Gustav Farner muss auf einen Schlag sämtliche Pflichten seines Vorgängers übernehmen. «Damals arbeiteten Ärzte 150 Prozent. Wir hatten täglich bis zu 50 Patienten in der Praxis und konnten in der ganzen Zeit nie mehr als zwei Wochen Ferien am Stück nehmen.» Neben dem Praxisbetrieb, Hausbesuchen und Visiten in den Altersheimen Gerbe, Langrüti und Ybrig muss Farner wegen plötzlichem Abgang des damaligen Kinderarztes auch über ein Jahr die Leitung und Visite auf der Neugeborenenabteilung am Einsiedler Spital übernehmen und stösst dabei an seine Grenzen. Als er einen ehemaligen Vorgesetzten, den Chefarzt des Kinderspitals Zürich, um Rat bittet, lädt ihn dieser zu einem einwöchigen Praktikum zu sich ein, was Farner annimmt.
Eine grosse technische Erleichterung bietet die Ultraschall- Diagnostik, die zu dieser Zeit aufkommt. 1998 absolviert Farner deshalb die Weiterbildung mit Zertifikat für Schwangerschaftsultraschall, Ultraschall der Säuglingshüfte und ab 2000 für den Ultraschall Abdomen. Als Belegarzt am Regionalspital Einsiedeln begleitet er während der ersten Jahre zirka 50 Geburten und zwei Hausgeburten. Während er die Säuglingsabteilung leitet, führt er die routinemässige Ultraschalluntersuchung der Säuglingshüften ein.
Sport als Ausgleich Einen Ausgleich zur Arbeit bietet ihm der Sport – er fährt Velo, wandert mit seiner Frau, und im Winter macht er Langlauf. Wieder sorgt ein Unfall – ein Sturz mit dem Mountainbike – für eine Wende. Ein Oberschenkelbruch macht ihn drei Monate lang praktisch vollständig arbeitsunfähig, und während dieser Zeit finden er und seine Frau ein Rustico im Tessin. «Das Tessin wird zu einem Erholungsort mit guter Distanz », erklärt Farner. «Am Ende des Gotthard-Tunnels beginnt für mich eine andere Welt.» Hinzu kommt ein Badeplatz am Sihlsee, den er regelmässig nutzt.
Als Hausarzt betreut er Generationen von Menschen im ganzen Bezirk, viele bis ins hohe Alter, manche als Sterbebegleiter. «Mit einigen Patienten habe ich mittlerweile ein freundschaftliches Verhältnis», meint Farner dazu. Mit zunehmendem Alter hat er selbst begonnen, sein Pensum zu reduzieren. Dies ist ihm durch den Umzug der Einzelpraxis Ende 2014 ins neue Ärztezentrum für ambulante Medizin beim Spital vereinfacht worden. Auf Jahresende wird er beim Ärztezentrum Medicoplus, welches er seit 2014 selbst mit aufgebaut hat, aufhören. «Ich möchte noch bei guter Gesundheit und selbstbestimmt aufhören.» Wegen seines grossen beruflichen und gesellschaftlichen Engagements, unter anderem auch als Einsiedler Schularzt (1989–2014) und Bezirksarzt (1995–2011) sowie als Mitglied der Schwyzer Notfalldienstkommission (2005–2014) und seit 1997 als Vorstandsmitglied der Spitex Einsiedeln, Ybrig und Alpthal, kann er auch die rasante Entwicklung der Spitex Einsiedeln von drei Krankenschwestern bis heute über 50 Mitarbeiterinnen an vorderster Front mitgestalten. Er findet keine Zeit, sich gross mit der Politik zu beschäftigen. Dies überliess er seiner Frau.
«Drei Allroundspitäler sind zu viel» Dennoch hat Farner das politische und gesellschaftliche Geschehen immer kritisch mitverfolgt. Zum einen beschäftigt ihn die ungewisse Zukunft der Schwyzer Spitäler. «Drei Allroundspitäler sind für dieses Einzugsgebiet zu viel – sie müssen ihre Leistungen untereinander koordinieren», sagt er klar.
Als einen Grund für den Ärztemangel sieht er den Arbeitsstress, die überbordende Administration und die Teilzeittätigkeit vieler junger Ärzte. «Es ist ein Problem, dass heute viele Teilzeit arbeiten wollen, weil sie oft unter dem hohen Arbeitsstress lei-den », kritisiert er. «Die integrale Betreuung hat gelitten. Wenn ein Patient Hilfe braucht, soll er sie bekommen. Dafür braucht es volle Einsatzbereitschaft.» Auch die steigenden Kosten und die zunehmende Spezialisierung in der Medizin sieht er mit Sorge: «Die heutige Medizin ist ein Selbstbedienungsladen. » Das ganzheitliche Denken und Handeln in der Medizin verschwindet zunehmend. Viele Patienten haben grosse Mühe, die Krankenkassenprämien zu bezahlen. Um die Finanzierung in den Griff zu bekommen, schwebt ihm bei der Krankenversicherung eine schlanke nationale Grundversicherung mit Fokussierung auf das Sinnvolle, Nachvollziehbare und Wichtige vor, was die Prämienlast erheblich reduzieren könnte. Aber er sieht durchaus auch positive Entwicklungen in seinem Beruf. «Heute arbeiten die jungen Ärzte mehr im Team und unterstützen sich gegenseitig.» Etwas zurückgeben an die Natur Obwohl er auf ein Leben vol-ler harter Arbeit zurückblickt, sieht er sich und seine Gene-ration als privilegiert an. «Wir haben mit wenig angefangen, es ging wirtschaftlich ständig aufwärts und wir lebten immer im Frieden. Heute müssen die Jungen lernen, sich wieder einzuschränken. » Farner möchte etwas zurückgeben, auch an die Natur. Darum entschliesst er sich, zusammen mit seiner Frau, seine alte Hausarztpraxis abzureissen und an deren Stelle ein Mehrfamilienhaus nach seinerzeit höchstem Minergie-Standard und mit alternativer Energieversorgung zu bauen. «Auf diese Weise haben wir die Energiekrise des letzten Winters ohne Probleme überstanden. » Seit einigen Jahren fährt er auch ein Auto mit Elektroantrieb, das er zu Hause mit selbst produzierter Energie auf-laden kann.
Nun ist es Zeit, es etwas gemütlicher zu nehmen, mehr Zeit in seinem geliebten Tessin zu verbringen, sich seinen Gärten, anderen Interessen und den aktuellen Herausforderungen der Zeit zu widmen. Den regelmässigen Kontakt mit den Patienten wird er aber sicher vermissen.