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Warten auf die Giganten

Warten auf die Giganten Warten auf die Giganten

BRIEF AUS OSTTIMOR

Diese Tage richtet sich mancher Blick von der Küste Dilis hinaus ins grosse, weite Blau des Ozeans, um nach «Blas» Ausschau zu halten. Blas wird die ausgeatmete Atemluft der Wale genannt. Diese schwimmen derzeit Tausende von Kilometern von ihrem Brutgebiet in der Bandasee in Indonesien an der Nordküste Osttimors vorbei in australische Gewässer.

Normalerweise machen sich dieWale pünktlich wie ein Schweizer Uhrwerk im Oktober auf den Weg. Dieses Jahr sind sie jedoch gut vier bis sechs Wochen später unterwegs, weil aufgrund des El-Niño-Wetterphänomens das Wasser in Indonesien kühler und damit nährstoffreicher als gewöhnlich ist.

Jetzt sind sie allerdings da. Und wie! Der Blauwal ist das grösste bekannte Tier, das jemals auf dem Planeten gelebt hat. Mit 25 Meter Länge und 90 Tonnen Gewicht ist er grösser als jeder Dinosaurier. Zum Vergleich: Ein Blauwal ist rund zweieinhalb Mal so lang wie ein Postauto und wiegt umgerechnet sechs Millionen Einsiedler Schafböcke aus der Backstube. Sein Herz ist so gross wie ein Kleinwagen und pumpt alle 10 Sekunden 220 Liter Blut durch den Körper. Das wiederum entspricht rund 730 Stangen Maisgold.

Kürzlich haben wir auf dem Rückweg von einem Tauchgang in der Nähe unseres Bootes mehrere aufeinander folgende Blas eines Blauwals gesichtet, bevor er wieder für längere Zeit abgetaucht ist. Es braucht etwas Geschick, um zu prognostizieren, wann und wo er das nächste Mal fürs Atemholen auftaucht. Neben den Tauchguides waren auch Timoresen mit an Bord, welche den Ozean beeindruckend gut kennen und lesen können. Dank ihrer Erfahrung konnten wir uns ideal positionieren und sind so leise wie möglich ins Wasser geglitten, um auf die Ankunft des Wales zu warten. Um das natürliche Verhalten der Meeressäuger nicht zu stören, ist festgelegt, wie viele Personen gleichzeitig zu einem Tier ins Wasser dürfen.

Und dann war er da! Und wie! Er tauchte direkt vor uns auf, holte Luft und für zwei Atemzüge konnte ich mit ihm mitschwimmen. So gross und majestätisch er war, so demütig und sprachlos war ich. Ich hatte ihm direkt in die Augen geblickt und er mir. Was er wohl gesehen hat? Einen ungläubigen Blick, dass es mir nicht im kühnsten Traum in den Sinn käme, mich flach neben ein Post-auto zu legen. Und ein unfassbares Glück!

Junia Landtwing * Die Einsiedlerin Junia Landtwing (*1995) ist ab Mitte März 2023 während zwölf Monaten bei der Weltbank in Dili, Osttimor, stationiert. Dabei ist sie in Entwicklungs- und Aufbauprojekte in den Bereichen Gesundheit und Bildung involviert. Von ihrer Arbeit, ihren Erfahrungen und Erlebnissen berichtet sie hier in mehr oder weniger regelmässigen Abständen.

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