Kaiserin Sisi und die Schweiz


Museum Fram: Vorleseshow mit Michael van Orsouw
Kaiserin Sisi war neun Mal in der Schweiz. Diese mehrwöchigen Aufenthalte werden in den zahllosen Biografien nur als Randnotiz erwähnt. Warum sie in die Schweiz kam, und wo sie sich niederliess, enthüllt Michael van Orsouw in seinem neuen Buch «Sisis Zuflucht».
Die Kaiserin Sisi war zwanzig Jahre alt, als ihre erstgeborene Tochter starb. Nach diesem Schicksalsschlag suchte sie Trost bei den Nonnen des Frauenklosters Au in Trachslau. Diese schlossen die Kaiserin zwei Jahre lang in ihre ewige Anbetung ein und wurden grosszügig beschenkt. Ein Kelch aus Gold wird heute noch in Messen eingesetzt. Durch Sisis Anwesenheit erlebte das Kloster einen Aufschwung. Die Anzahl der Schwestern verdoppelte sich, so dass ein Gebäudeflügel angebaut werden musste. Den Nonnen wurde ein «Manager » aufgezwängt. Es war der Erfinder Anthanasius Tschopp von
Knutwil. Gleichzeitig verwöhnte Kaiser Joseph das Kloster Einsiedeln, welches eine innige Beziehung zur katholischen Habsburgerdynastie pflegte. Er bedankte sich für die Treue mit zwei überlebensgrossen Porträts von sich, als strammer Feldherr, und seiner Gattin, als vornehme Magistratin. Sonderbarerweise verschwand Sisis Porträt eines Tages aus dem Fürstensaal, wo es bis 1966 gehangen hatte. Schliesslich wurde das Bild, dank der Suche eines hartnäckigen Externen, auf dem Kloster-Estrich gefunden. Diese pikanten Details hat Dr. Michael van Orsouw erforscht. Er ist Historiker und Autor. Der Fram-Club hat ihn am Donnerstag zu einer Vorleseshow eingeladen. Zum Buch «Sisis Zuflucht » gibt es zehn Kurzfilme. Vierzig Interessierte versammelten sich am Abend im Eingangsbereich des Museums, darunter drei Nonnen aus dem Kloster Au. Walzermusik erklang, ein Ausschnitt aus dem weltberühmten Sissi-Film folgte und schon suhlte sich das Publikum in der romantischen Traumwelt der Romy Schneider. Abrupt stellte van Orsouw den Player ab und konfrontiere die Anwesenden mit der Wirklichkeit und mit Sisis heimtückischer Ermordung, die genau vor 125 Jahren in Genf stattgefunden hat. Die Kaiserin wusste, dass es in der Schweiz ein Anarchisten- Nest gab. Sie nannte dieses «Königsmörderbrut» und trotzdem lehnte sie den angebotenen Polizeischutz ab.
Der Sarg der Kaiserin wurde in einem grossen Bogen durch Genf gefahren, weil die Strecke vom Beau Rivage zum Bahnhof für die Volksmasse zu kurz war. Bis zur Schweizergrenze musste der Zug an allen grossen Bahnhöfen anhalten, um den Trauernden die Gelegenheit zu geben, sich zu verabschieden. Sie vereinnahmten Sisi als «Kaiserin der Schweiz». Fast jeder kannte und liebte sie. Auf ihren Reisen hat sie fast alle Landesteile besucht. Dabei versuchte sie, eine gewisse Anonymität zu wahren. Doch, wenn sie im Stechschritt auf den San Salvatore wander-te, anstatt die Bahn zu nehmen, blieben ihre Leistung und ihre sympathische Art im Land nicht verborgen.
Gemäss van Orsouw hätte Sisi mit ihren Charakterzügen besser in die heutige Zeit gepasst. Sie war eigenwillig, durchsetzungsstark und eine Fitness-Ikone. Nebenbei schrieb sie Tagebücher und Gedichte. In die-sen liess sie Dampf ab. Voller launischer Boshaftigkeit nannte sie Personen in ihrem Umfeld «heuchlerischer Alter, rackerdünne Sau, ein mächtig Trampeltier ». Von Orsouw las eine Strophe vor, in der sie ihrem Sarkasmus Luft machte: «Dicke, Dünne, Alte, Junge; Jedes kommt jetzt an die Reih’; Unverschämt lügt jede Zunge: Euch zu seh’n, wie ich mich freu’!» Sisi kam aus mehreren Gründen in die Schweiz Völlig überraschend vermachte die Kaiserin Sisi ihre Notizen der Eidgenossenschaft, ein Bündel von sechshundert Seiten. Von Orsouw vermutet, dass sie grosses Vertrauen in den Bundesrat hatte. Dies war einer der Gründe, warum sie immer wieder in der Schweiz weilte. Zudem schätzte sie die Anonymität in den Luxushotels, die damals weltweit die besten waren. Einmal floh sie vor der Cholera in Wien, dann kam sie, um Geld zur Bank Rothschild zu transferieren. Bestimmt war der spirituelle Beistand, den sie im Kloster Au bekommen hat, etwas vom Prägendsten.
Michael van Orsouw trägt aus seinem Buch vor. Im Hintergrund die porträtierte Sisi, eine Schweizer-Bluse mit Berner-Gürtel tragend. Fotos: Anita Chiani
Sisi schenkte der Eidgenossenschaft 600 Seiten Tagebücher und Gedichte, hier ein Auszug.
Sisi fand Trost im Frauenkloster in Trachslau. Drei Schwestern aus der Au besuchten am Donnerstagabend die Lesung.