Das doppelte Drama in Bruder Caspar Moosbruggers Leben und Werk
«Das Drama räumlich kämpfender Ausdruckskräfte» und das Drama in Caspar Moosbruggers Leben als Klosterarchitekt
Mit einer Tagung zum 300. Todestag von Bruder Caspar Moosbrugger erinnert sich das Kloster Einsiedeln am Samstag, 26. August, an seinen Klosterarchitekten. Auf Anfrage unserer Zeitung hat Werner Oechslin folgendes Essay verfasst.
In einer fulminanten Besprechung hat 1925 Hermann Sörgel, der Erfinder des Atlantropa-Projektes, das mit einem monumentalen Staudamm das Mittelmeer schliessen und zwecks Landgewinn absenken sollte, im ers-ten Band der «Baukunst» Linus Birchlers Monographie zu Caspar Moosbrugger gefeiert.
Er nannte es eine «geistige Baugeschichte», pries mit Birch-ler den «Formwillen» Moosbruggers, der zu jenem «unerhörten Dithyrambus einer barocken Raumsteigerung und Raumverschmelzung » führte und folgte der Charakterisierung des Schaffens des Klosterbruders als ein «ganzes Drama räumlich kämpfender Ausdruckskräfte », dem nur die Kompositionen von Johann Sebastian Bach an die Seite gestellt werden könnten.
Das war die Hochschätzung im Zuge der damals im Aufschwung befindlichen Barockforschung und spiegelte zugleich die modernen Raumphantasmagorien jener Zeit.
Zu spät für Moosbrugger
Das andere, gelebte Drama überschattet Moosbruggers Lebenswerk für das Einsiedler Kloster von Anbeginn. Erstmals 1691 hat-te er Pläne für einen Kirchenneubau vorgelegt. Der Neubau des Klosters ging nach 1704 zwar stetig voran, doch erst 1719 hat-te man endlich mit der Fundie-rung des neuen Kirchenbaus begonnen. Ein Kapitelbeschluss hat-te am 9. März 1720 mit Rücksicht auf das vorgerückte Alter Moosbruggers («…praecipua aetas jam ad mortem declinans nostri conversi… ») dies angeordnet und andere Arbeiten zurückgestellt. Zu spät!
Am 23. August 1723 ist Bruder Caspar Moosbrugger gestorben. Das Diarium notiert: «hodie vespere sub completorio pie in Domino defunctus est noster Conversus Casparus Mosbrugger a Bregenz, totius hujus monasterij et ecclesiae sed nondum finitae, Architectus celeberrimus.» Unvollendet! Kurz zuvor, am 9. August 1723, hatte man zudem beschlossen, auf den Bau der Kuppel zu verzichten. Abbruch und Aufbau in einem
Erst 1721 begann man mit dem Abbruch des unteren Münsters; die alten Türme wurden 1722 abgebrochen und gleich die Mittelpfeiler bei der Gnadenkapelle und die östlichen Pfeiler des Oktogons aufgebaut. Mehr als den Bau des Oktogons konnte Bruder Caspar nicht mehr erleben. Er musste somit nicht zusehen, wie dann aus Verlegenheit an Stelle der Kuppel ein tiefhängendes, in der Gebälkzone und gut sichtbar in den Kapitellen gegen alle Regeln der Architektur ansetzendes Gewölbe hochgezogen wurde, das dann die Brüder Asam mit Stuckatur und Malerei virtuos überformten und was zu der bis heute ganz besonders bewunderten «Weihnachtskuppel» führte, die bis heute fälschlicherweise so benannt wird.
Auf diesem Weg wurde das unvollendete Werk Moosbruggers doch noch in ein erstaunliches Ganzes verwandelt. Linus Birchler nannte die «kühnen Raumphantasien » in dieser versöhnlichen Absicht «den Brüdern Asam seelisch verwandt» und träumte seinerseits von Moosbruggers vermeintlichem «Sehnen nach Bergesluft und weiten, klingenden Räumen, nach Hallen und Kuppeln». «Naiv und kühn!» Asams Herausforderungen «Reguläre» architektonische Gebilde im Sinne der vorarlbergischen Bautradition mit starken Pfeilern, Emporen und in grossen Fenstern geöffneten Wänden standen den Asams nur gerade in dem mittleren Joch zur Verfügung, wo sie dann eine fiktive, in der Manier Pozzos konzipierte Kuppel an die Decke malten und insgesamt eine Mitte bildeten.
Überall sonst boten sich nur Schwierigkeiten, im Westen das von Moosbrugger in einem langen Planungsprozess konzipierte Oktogon der Wallfahrtskirche mit der Kapelle in dessen Mitte und im Osten, wo die Kuppel geplant war, das ungünstige, Licht und Raum einengende Zusammentreffen von erst in jüngster Zeit errichteten Neubauten von unterschiedlicher Höhe und Weite. Es zeigt die besondere Herausforderung, der der planende Architekt gegenüberstand. Spät nach Einsiedeln gebracht
Die ersten Neubaupläne gehen auf die herausragende Persönlichkeit von Abt Augustin II. von Reding zurück, der ja auch als bedeutender Theologe an der Salzburger Benediktineruniversität mitwirkte, für die später Johann Bernhard Fischer von Erlach die Kollegienkirche entwarf. Deren konvex vortretende Fassade wurde über Weingarten spät als Lösung für die en-gen Verhältnisse vor der Kapelle nach Einsiedeln gebracht.
Mit Amtsantritt Augustin II. von Redings als Abt 1670 und schon kurz zuvor wurden auch schon die ersten Bauabsichten bekannt. Michael Kuen stand zur Verfügung und im Protokoll zur Kapitelversammlung im September 1672 ist die Rede von einem Chorneubau «als ein sehr nothwendiges wesen vorzunehmen». Seinem Vater folgt der Sohn Johann Georg, bei dem später Moosbrugger seine ersten Erfahrungen als Steinmetz macht, lange bevor er dann 1682 in die Klostergemeinschaft eintritt. 1674 beginnt der Neubau des Chores, 1678 der nördliche Anbau von Beichtkirche und Sakristei. Angeregt aus Kempten folgte das Projekt der Magdalenenkapelle, dessen Bauarbeiten aber erst nach dem grossen Dorfbrand von 1680, als das Kloster die notwendig gewordene Hilfestellung anbot, 1682 einsetzten. Immer noch unter der Obhut von Abt Augustin II. wurde dann am 8. Januar 1691 ein Neubauprojekt für das Obere Münster vorgestellt, «dass Sie durch den Br. Caspar eine Delineation von der Kirchen, förmlich am nüwen Chor angefangen, bis zu den Glocken-Thürmen machen und aufsetzen lassen». Der Ältestenrat der Mönche begutachtete das Projekt und stellte fest, «dass die aufgesetzt Delineation gar wohl und vernünftig gemacht, und hiermit wir ein schön Kirchen bekommen würden». Es ist der – späte – Beginn des architektonischen Wirkens Moosbruggers für sein Kloster. Stets unterwegs – doch in Einsiedeln bewegt sich nichts Abt Augustin II. setzte trotz innerer und äusserer Schwierigkeiten – der ewig andauernde Streit mit den Einsiedlern wegen Landabtretungen – seine Bemühungen fort, Baumaterialien wurden bereitgestellt. Doch nach seinem Tod am 13. März 1692 ruhte die Bautätigkeit und sein Nachfolger Abt Raphael Gottrau kümmerte sich in erster Linie um die Schulden des Klosters, bevor er dann 1698 resignierte. Unter Abt Augustin II. und mit der Planung für das obere Münster schien Moosbrugger eine Karriere als bedeutender Klosterarchitekt bevorzustehen. Jedoch, nur gerade mit den Neubauten der Etzelkapelle, der Kapelle St. Anna in Schindellegi und vermutlich der Kapelle in Euthal 1698 konnte er seine Talente zugunsten seines Klosters unter Beweis stellen.
Andernorts ist Moosbrugger längst tätig und begehrt. Er liefert Pläne nach Disentis und Muri, nach Fischingen und Münsterlingen und wird, als Fachmann anerkannt, für Konsultationen bestellt, so auch nach Weingarten, «umb mit ihme wegen vorhabendten Kirchen- undt andern pauws nothürftigklich conferiren undt bereden zu können, auf etliche Tage erbetten».
Linus Birchler hat auf Grund der Rechnungsbücher die dort dokumentierten Reisen zusammengestellt; sie zeigen, dass Bruder Caspar im Grunde genommen beratend stets unterwegs war, der-weil zu seinem Hauptwerk der Einsiedler Klosterkirche kein Stein bewegt wurde. Er war stattdessen – lebenslang – eine Art «Bruder für alles», wo immer im benediktinischen Netzwerk ein kleines oder grösseres bauliches Bedürfnis bestand.
Von Einheit und Harmonie keine Spur Das Jubelfest zum hundertjährigen Bestehen der «Congregatio Helveto-Benedictina» 1702 sollte im Zeichen der Einheit für die angegliederten Klöster einen allgemeinen Aufschwung bringen. Der neue Einsiedler Abt Maurus von Roll hielt in St.Gallen die Festpredigt zum Thema «Moralischer Uhrzeiger der nur I. zeiget» und mahnte «Niemand kann zwey Herren dienen». Die Baupläne, diesmal das gesamte Kloster betreffend, wurden wieder aufgenommen und Moosbrugger 1703 mit der Verfassung eines Projektes betraut. Doch von Einheit und Harmonie keine Spur.
Im gleichen Jahr wurden die Verhandlungen mit den Einsiedlern zu der für die Realisierung des geplanten Neubaus notwendigen Landabtretung storniert, was noch lange Verzögerungen mit sich brachte. Zwischendurch gab es Kontakte mit anderen Architekten und wurde der schon kurz zuvor in Ottobeuren aus benediktinischer Sparsamkeit abgelehnte Franz Beer zurückgewiesen; er wandte sich nach Rheinau. Im Innern vertraten Konvent und Abt unterschiedliche Interessen. Es folgte Anfang 1704 der Entschluss, mit Moosbrugger zu bauen, Grundsteinlegung und Baubeginn schlossen sich im März und April an. Gebaut wurde in klarer Priorität auf Jahre hinaus am Klostergeviert.
Aus Steinmetz und Baumeister wird endgültig ein Architekt Und dann tritt der Conte Luigi Ferdinando Marsigli, der frühere General unter Kaiser Leopold I., auf, der wegen verfrühter Preisgabe der Festung Breisach seiner Ehren beraubt, sich mit gebrochenem Schwert in die neutrale Schweiz nach Zug begab, um seine Verteidigung zu verfassen und «fractus integro» zu signieren. Wie immer widmet sich Marsigli gleichzeitig seinen naturwissenschaftlichen Forschungen, plant mit Scheuchzer Reisen und gelangt auch nach Einsiedeln, wo er mit Abt Maurus die Neubaupläne bespricht. Schliesslich beruft er sich auf einen Schüler Berninis, formuliert seine Vorschläge in Briefen aus Mailand und Luzern und lässt Moosbrugger zu sich kommen: «Attenderò il fratello Architetto per informarlo, e consignarlo li dissegni, e memorie, e ben spiegarli tutte le cose.» Adolf Reinle, der diese Briefe und alles, was sich daran anschloss, publiziert hat, stellte dieses «Diktat» gegen Birchlers Vorstellung des freischwebenden Genies Moosbruggers und auch gegen vermeintliche Bildungsreisen: Moosbrugger ging nicht nach Mailand; Mailand kam zu ihm!
Doch der Anreiz war da, führte bei Moosbrugger zu einem beeindruckenden Bildungsschub und machte aus dem Steinmetz und Baumeister endgültig einen Architekten. Er holte nach, was andernorts schon längst als Adaptation italienischer Formen im Gange war, von Tietze auch schon mal als «italienische Invasion» bezeichnet wurde und von der Kunstgeschichte oft gegen das «deutsche Formgefühl» gesetzt worden ist. Moosbrugger steht nun mittendrin in diesem alles erfassenden Prozess und hinterlässt deutliche Spuren. Er kopiert Sebastiano Serlios Kirchengrundrisse und die weiterverbreiteten Stiche von römischen Kirchenfassaden (ein solches Exemplar mit der Aufschrift Weingarten ist erhalten).
Wie sehr Moosbrugger mit den sogenannten Auer Lehrgängen verbunden ist, muss man offenlassen. Dort finden sich neben den üblichen Kopien nach Giacomo Barozzi da Vignolas Säulenordnungen und Andrea Pozzos Perspektivbuch auch römische Paläste, deren Grösse nördlichem Klima angemessen auf niedrigere Höhen angepasst erscheinen. In einem Fassadenplan für Einsiedeln findet sich dann das Portal Domenico Fontana für den Lateranspalast kopiert. Mittendrin in diesem Prozess der Adaptation Moosbrugger steht mittendrin in diesem Prozess der Adaptation italienischen Formenguts. Doch mit Bezug auf die Einsiedler Planung geht es noch viel mehr um die zentralen architektonischen Fragen der Grundrissbildung. Der umtriebige Marsigli mag vieles angekündigt zu haben.
Doch ein erstes Projekt Moosbruggers für einen länglichen Kirchengrundriss in konventioneller Vorarlberger Art mit italienischen Aufschriften zeigt die Spuren korrigierender Eingriffe, die der besonderen Empfehlung Marsiglis eines den Umgang um Kapelle thematisierenden Wallfahrtskirche entsprechen. Daran schliesst sich eine erstaunlich variationsreiche Planung an, die Moosbruggers entwickeltes, architektonisches Talent und Experimentierfreude offenlegt. Auch die Betrachtungsweise ändert sich 300 Jahre nach Moosbruggers Tod, 100 Jahre seit Linus Birchlers verdienstvoller ersten Monographie und 50 Jahre seit der Ausstellung zu den Vorarlberger Barockbaumeistern in Einsiedeln und Bregenz, in der der Akzent auf das durch Reinles Forschungen ausgelöste besondere Interesse für Quellen und Zeichnungen gelegt war, hat sich vieles in den kunstgeschichtlichen Ansichten verändert.
Cornelius Gurlitt, einer der Väter der neueren kunstgeschichtlichen Barockforschung, sprach noch von Baumeistern aus dem Alpengebiet, «…die mit den Bäumen ihrer Wälder, mit den Steinen ihrer Berge zu Thale ziehen…» und nannte die Vorarlberger ein «thatkräftiges, um ästhetische Feinheiten unbesorgtes und mit Herz und Hand mehr als mit dem grübelndem Verstand schaffendes Geschlecht». Frisch und unverdorben, was man den einfachen Linien entnehmen kann! Gurlitt war ja auch der Förderer von Julius Langbehn und trug dessen 1890 in dem Bestseller «Der Rembrandtdeutsche » breitgetretenes Gedankengut in den deutschen Werkbund.
Deutschtümelei war auch noch 1973 spürbar und richtete sich gegen jeden Verweis auf italienischen, sich auch bei den Vorarlbergern durchsetzenden Formenreichtum. 1951 schrieb Hans Tintelnot zu den Fresken Cosmas Damian Asams in der «Weihnachtskuppel », der seine Ausbildung an der römischen Accademia di San Luca verfestigt hatte: «Das war nur aus deutschen Herzen möglich.» Zuvor hatten deutsche Kunsthistoriker wie Wilhelm Pinder und auch noch Werner Hager Barock als ein genuin deutsches Phänomen reklamiert. Kunstgeschichtliche Betrachtungen hatten sich weit über ihren Gegenstand erhoben und dies nicht nur in ästhetisch überhöhender Absicht.
Das Interesse verkümmert, was zu bedauern ist Der erste Biograph Linus Birchler hat Moosbrugger nicht nur in den Himmel seiner «Raumphantasien» versetzt. Dass er in der «schwarzen Benediktinerkutte ein Bergler geblieben» sei, bewegt nicht allzu sehr, aber er hat in ihm auch den «Praktikus» und gar «einen künstlerischen Schlaukopf» gesehen, der sich anzupassen wusste und stets mit mehreren Lösungen aufwarten konnte. Das vertiefte Eingehen auf die konkreten Planungen und Werke steht in keinem Gegensatz zur Eingliederung seiner Leistungen in die grössere Geschichte.
Moosbruggers «Entwicklungsstand » wurde dementsprechend oft mit seinem «Zentralraum-Gedanken» verbunden, was sich ja in der Wallfahrtskirche anders gar nicht bewerkstelligen liess. Und die Frage von Einflüssen aller Art löst sich genauso einfach, wenn man das in jüngerer Zeit häufig beobachtete Phänomen von «Wandermeistern» zum Nennwert nimmt.
Zu bedauern ist bloss, dass in jüngerer und jüngster Zeit das Interesse – löbliche Ausnahmen vorbehalten – an Moosbrugger und den Vorarlberger Barockmeistern eher verkümmert, statt sich den vielen offenen Fragen und den brisanten Themen auch in weiterführenden Zusammenhängen und historischen Verflechtungen zu widmen.
*Prof.Dr.Dr.h.c.mult. Werner Oechslin; Prof. emeritus der ETHZ. Hat 1973 mit Kollegen die Ausstellung zu den «Vorarlberger Barockbaumeister » veranstaltet und den zugehörigen Katalog herausgegeben; hat zusammen mit Dr. Anja Buschow Oechslin den 100. Band der Kunstdenkmäler der Schweiz «Der Bezirk Einsiedeln I. Das Benediktinerkloster Einsiedeln» (2003) verfasst. – Im Erscheinen ist eine Monographie von Werner Oechslin zum «Entwurf einer Historischen Architektur» von Johann Bernhard Fischer von Erlach, der mit Caspar Moosbrugger die Lebensdaten (1656 bis 1723) teilt; und an dessen Ausstellung im Wien Museum 2024 die Stiftung Bibliothek Werner Oechslin beteiligt ist.