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«Einsiedeln hat einen besonderen Platz in meinem Herzen»

«Einsiedeln hat einen besonderen  Platz in meinem Herzen» «Einsiedeln hat einen besonderen  Platz in meinem Herzen»

Am 20. August wird Mike Koch in der reformierten Kirche in Einsiedeln in das Pfarramt eingesetzt. Der frischgebackene 30-jährige Pfarrer aus dem Baselbiet wird im Fricktal (Aargau) seine erste Pfarrstelle antreten und steht Red und Antwort über Gott und die Welt.

Wer sind Sie?

Wer ich bin, frage ich mich immer wieder – und die Antworten fallen immer ein wenig anders aus. Meine Antwort auf die Frage wird sich ziemlich sicher im Laufe meines Lebens noch einige Male ändern. Doch heute würde ich zur Antwort geben, dass ich ein lebensfreudiger und offener Mensch bin, der Menschen und die Natur liebt. Ich bin Sohn und Bruder meiner Zwillingsschwester. Ich bin Lebenspartner und Vater zweier sehr aufgeweckter Jungs. Ich bin Theologe und Armeeseelsorger. Ab August werde ich Pfarrer sein. Können Sie Ihren Werdegang schildern? Aufgewachsen bin ich im Klosterdorf Einsiedeln und habe dort die Stiftsschule besucht. Danach habe ich nach einem Zwischenjahr, mit Sprachaufenthalt in London und Rekrutenschule als Militärpolizeigrenadier, zunächst Betriebswirtschaft an der HSG studiert. Doch nach zwei Jahren habe ich den grossen Entscheid getroffen, dass ich Theologie studieren und Pfarrer werden möchte. Schon zur Gymnasialzeit habe ich auf die Frage, was ich später studieren möchte, Theologie als Antwort gegeben. Damals noch mit einem nicht allzu ernsten Lachen. Theologie studierte ich in Zürich und Basel und habe das Vikariat in der reformierten Kirchgemeinde Oberwil- Therwil-Ettingen in Baselland absolviert. Aus welchem Grund sind Sie Theologe und Pfarrer geworden?

Ich habe von Anfang an Theologie studiert, mit dem Ziel, Pfarrer zu werden und dementsprechend fand ich besonders die praktische Theologie spannend. Der wichtigste Grund, warum ich Pfarrer geworden bin, ist die Seelsorge. Seit dem ersten Moment an, als ich Seelsorge im Studium hatte, war ich davon begeistert. Für andere Menschen da sein, zu hören, sie zu begleiten und zu unterstützen ist meine Hauptmotivation, warum ich Pfarrer sein möchte und weil mir Seelsorge wichtig ist, bin ich seit zwei Jahren auch Armeeseelsorger und betreue zwei Infanterie Bataillone. Was ist das Spezielle an Ihrem Beruf? Das Spezielle an meinem Beruf sehe ich darin, dass einem von Anfang an ganz viel Vertrauen geschenkt wird, was ein wundervolles Geschenk ist und mich dank-bar macht, einen solch schönen Beruf auszuüben. Besonders in der Seelsorge und bei Beerdigungen erfährt man solches Vertrauen. Besonders in schweren Situationen braucht es Vertrauen und dabei hilft mir mein Glaube an Gott. Beim Pfarrberuf handelt es sich um einen geist-lichen Beruf mit einer Berufung und dies ist meines Erachtens in der heutigen Zeit speziell. Welche Seiten am Pfarrerberuf schätzen Sie, welche weniger? Ich finde den Pfarrberuf extrem spannend und vielseitig. Genau diese Vielfältigkeit schätze ich. Man begleitet Menschen durch das ganze Leben hindurch, von der Geburt bis zum Grab und hat somit mit den Kleinsten zu tun, sowie mit älteren Menschen. Als Pfarrer darf man an schönen Momenten wie Taufen und Hochzeiten dabei sein, als auch bei den schwierigsten Punkten im Leben wie Beerdigungen oder Krisen. Weniger schätze ich die Arbeiten, die rein administrativer und organisatorischer Natur sind und nichts mit der Arbeit mit den Menschen zu tun haben. In Einsiedeln gibt es eine aufstrebende, sehr lebendige reformierte Kirchgemeinde. Können Sie sich vorstellen, dereinst als Pfarrer im Klosterdorf zu wirken? Momentan bin ich als Pfarrer in der reformierten Kirchgemeinde Mittleres Fricktal (Aargau) gewählt und werde Ende August dort meine erste Pfarrstelle antreten. Mit meiner Familie wohne ich im Raum Basel: Wir fühlen uns dort sehr wohl und haben dort Wurzeln geschlagen. Also wäre meine vorläufige Antwort Nein. Doch Einsiedeln hat einen besonderen Platz in meinem Herzen. Vielleicht führt mein Weg eines Tages zurück nach Einsiedeln und ins dortige Pfarramt. Die Vorstellung als Pfarrer im Klosterdorf zu wirken, finde ich einen schönen Gedanken.

Worin unterscheiden sich die reformierte und die katholische Kirche hauptsächlich? Als die grössten Unterschiede erachte ich zum einen der Aufbau der Kirche. Im Gegensatz zur katholischen Kirche kennt die reformierte Kirche kein weltweites Oberhaupt, sondern durch Synoden werden wichtige Sach-, Personal- und Finanzfragen entschieden. Somit ha-ben alle Gläubigen mehr Rechte zum Mitentscheiden. In der katholischen Kirche ist es der Papst, der Bischof von Rom, der die oberste Lehr- und Leitungsvollmacht hat.

Gibt es weitere Unterschiede? Ein weiterer Unterschied liegt darin, dass in der reformierten Kirche Frauen ordiniert und als Pfarrerinnen eingesetzt werden können und somit Sakramente spenden. In der katholischen Kirche können nur Männer zu Priestern geweiht werden und Sakramente spenden. Dies geht darauf zurück, dass der Priester Christus repräsentiert, der unverheiratet war. Pfarrerinnen und Pfarrer dürfen heiraten (auch gleichgeschlechtliche) und Kinder haben. Die Priester erhalten ihre Priesterweihe von einem Bischof, der wiederum seine Weihe von einem Bischof erhalten hat und so weiter, gemäss der katholischen Überlieferung geht dies zurück bis Petrus. Was bedeutet das konkret?

Für die katholische Kirche ist Kirche dort, wo ein geweihter Priester ist. Für die Reformierten ist Kirche dort, wo man sich um das Wort Gottes versammelt. Diesen Unterschied sieht man auch im Gottesdienst, denn in der katholischen Messe ist der zentrale Moment die Wandlung der Hostie durch einen geweihten Priester, wohingegen der zentrale Moment im reformierten Gottesdienst die Predigt ist. Ebenfalls ein grosser Unterschied liegt in der Anzahl Sakramente. Die reformierte Kirche kennt nur zwei Sakramente, nämlich Taufe und Abendmahl. Die katholische Kirche hat sieben Sakramente. Es gebe noch weitere Unterschiede, doch dies würde den Rahmen des Interviews sprengen. Warum dürfen Reformierte nicht bei den Katholiken kommunizieren?

Kommunizieren hängt mit dem lateinischen Wort Kommunion zusammen, was so viel wie Gemeinschaft bedeutet. In der Eucharistie wird die Gemeinschaft gefeiert, dass sie eine Kirche sind, die vom Papst und den Bischöfen weltweit geleitet wird. Nach katholischem Verständnis bilden alle, die zur Kommunion gehen und die Hostie als Anteil von Christus empfangen, den Leib Christus, nämlich die eine Kirche. Daher sollten reformierte Christen nicht kommunizieren, da sie nach katholischer Auffassung nicht zur Kirche gehören. Ausserdem haben die katholische und reformierte Kirche ein anderes Abendmahlsverständnis.

Welches sind die Hindernisse, die einer gemeinsamen Abendmahlsfeier im Weg stehen? Meiner Ansicht nach gibt es von reformierter Seite keine Hinder-nisse, die einer gemeinsamen Abendmahlsfeier im Weg steht. Reformierte Christen laden andere Christen zum Abendmahl ein. Zum Abendmahl ladet nicht der Priester oder der Pfarrer ein, sondern Jesus selber ladet ein und ist Gastgeber.

Welchen Stellenwert hat für Sie die Einheit der Kirchen? Die Ökumene ist mir sehr wich-tig. Vermutlich gerade auch we-gen meines Hintergrunds, dass ich in einer Diaspora-Gemeinde aufgewachsen bin und im Kloster Einsiedeln die Stiftsschule besuchen durfte. Ich denke, dass die Ökumene ein grosses Potenzial besitzt, die vermutlich in der Zukunft an Bedeutung gewinnen wird, gerade im Hinblick auf die immer stärkere Säkularisierung. Das Gemeinsame und Tragende, der Glaube an Gott und Jesus Christus, sollte wich-tiger sein als die Unterschiede. Gemeinsam können wir stärker und besser für die Menschen und die Welt da sein. Die beiden grossen Kirchen der Schweiz suchen händeringend nach Pfarrpersonen. Wieso gibt es in der reformierten Kirche einen Pfarrermangel? Der Pfarrermangel hängt vermutlich mit der immer stärkeren Säkularisierung zusammen. Was müsste unternommen werden, um den Pfarrerberuf in der reformierten Kirche attraktiver zu gestalten? Das Erlernen der drei alten Sprachen Hebräisch, Altgriechisch und Latein schreckt vielleicht ab, und allgemein ist es ein intensives Studium. Was man schon unternommen hat, ist die Einführung des Quests, ein Quereinsteigerstudium der Theologie mit dem Ziel Pfarrerin und Pfarrer, das kürzer ist. Es richtet sich an Akademikerinnen und Akademiker über dreissig Jahren. Ansonsten gibt es auch Arbeitsgruppen in der reformierten Kirche, die diesen Fragen nachgehen und sich Gedanken machen. Was müssten die Kirchen unternehmen, um die Austrittswelle ihrer Mitglieder zu stoppen? Diese Frage beschäftigt mich sehr: Ich diskutiere diese immer wieder mit Pfarrkolleginnen und -kollegen, mit Theologiestudierenden und Personen, die sich für diese Frage interessieren. Doch bisher habe ich noch keine Antwort auf diese Frage gefunden. Wichtig für mich ist es, auf die Menschen und auf den Ort, an dem man wirkt, zu hören und zu schauen, was diese Menschen brauchen, um richtig auf sie eingehen zu können. Mich entlastet auch zu wissen, dass Gott uns nicht alleine lässt und dass wir Menschen Gott wich-tig sind. Ist Gott ein Auslaufmodell?

Gott ist kein Auslaufmodell. Für viele Menschen ist Gott nach wie vor zentral für ihr Leben – und für andere spielt Gott keine Rolle mehr. Dies muss jeder und jede für sich selber entscheiden. Wie würden Sie Ihren Glauben, Ihre Verbindung zum Göttlichen beschreiben? Meinen Glauben und meine Verbindung zum Göttlichen würde ich als eine personale Verbindung beschreiben, in der alle Gefühle und Emotionen seinen Platz haben, die schönen sowie die schwierigen. Dabei ist die Verbindung mal intensiver und stärker und manchmal schwächer und nicht präsent. Wichtig finde ich, dass in der Beziehung zu Gott auch Zweifel und Wut ihren Platz haben dürfen. Wie jede Beziehung muss auch die Beziehung zu Gott gepflegt werden – und dafür Zeit und Raum genom-men werden. Für mich ist dies bei den Spaziergängen mit meinem Hund in der Natur der Fall. Rückläufige Gottesdienstbesuche: Wie schlimm ist das für Sie? Was kann man dagegen unternehmen? Natürlich empfinde ich es als schöner, wenn Gottesdienste gut besucht und lebendig sind. Doch Kirche ist für mich nicht nur der Sonntagsgottesdienst, sondern immer, wenn wir uns versammeln, sei es für Konfunterricht, zu einem Mittagstisch oder Seniorenausflug. Dort findet Kirche statt. Was man dagegen tun kann, um wieder mehr Menschen im Gottesdienst zu haben, ist eine Frage, die ich mir immer wieder stelle und ich mit meinen Mitvikarinnen und -vikaren sowie Pfarrpersonen und interessierten Leuten bespreche. Ein allgemeingültiges Erfolgsrezept gibt es nicht: Man muss von Ort zu Ort und Menschen zu Menschen schauen, was es braucht. Als Pfarrer hat man ein vielseitiges Publikum: Ganz Junge, Junge, Familien, Leute mittleren Alters, ältere Menschen. Kann man es als Pfarrer allen recht machen? Als Pfarrer hat man es mit vielen unterschiedlichen Menschen zu tun, die alle ihre Wünsche und Bedürfnisse haben. Es allen gerecht zu machen, wäre natürlich hervorragend, doch die Realität sieht anders aus. Man kann es nie allen recht machen. Doch ich versuche, mit den unterschiedlichen Menschen so unterwegs zu sein, wie sie es brauchen. Dazu braucht es von den Menschen eine offene Kommunikation, um zu wissen, wie man es ihnen recht machen kann. Was sind in der heutigen Zeit die Aufgaben der Kirche? Die Kirchen leisten viel für die Gesellschaft und Menschen. Die Aufgaben sind vielfältig, vom Dasein und Begleiten von Menschen in allen Lebenslagen, über konkrete Hilfe für Menschen in Not und soziale Angebote. Ebenfalls eine wichtige Aufgabe der Kirche sehe ich in der Wertevermittlung für die Gesellschaft. Die christlichen Werte sind lebensbejahend und fördern ein friedvolles Miteinander aller Menschen. Gerade der Religionsunterricht und Konfunterricht erachte ich als sehr wichtig, da es den Kindern und Jugendlichen Raum gibt für ihre Auseinandersetzung mit Glauben, Spiritualität, Religionen und dem Leben.

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