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«Jungen Frauen stehen in der Politik und in der Wirtschaft Tür und Tor offen»

«Jungen Frauen stehen in der Politik und  in der Wirtschaft Tür und Tor offen» «Jungen Frauen stehen in der Politik und  in der Wirtschaft Tür und Tor offen»

Gespräch mit Susann Bosshard-Kälin. Sie ist die dritte Kulturpreisträgerin im Bezirk Einsiedeln.

Sie erhalten am 9. September den Einsiedler Kulturpreis. Was bedeutet Ihnen diese Auszeichnung?

Sie ist eine Wertschätzung für meine Arbeit, ein Zeichen der Anerkennung. Ich bin sehr dank-bar für all die Menschen, die mit mir auf dem Weg waren in die-sen vielen Jahren. Danke allen, die mir den Rücken freihielten, vor allem meinem Mann und meiner Familie. Sie sind erst die dritte Preisträgerin nach der Ausstellungsgruppe des Kulturvereins Chärnehus und Karl Saurer. Ihr Vorgänger hat den Preis erst nach dem Tod erhalten. Welche Erinnerungen haben Sie an Karl Saurer? Ich kenne seine Filme. Sie sind sehr eindrücklich. So, wie seine Filme sind, so habe ich ihn auch persönlich erlebt: als feinfühligen, kritischen und politischen Menschen. Wie Karl Saurer machten auch Sie sich auf die Spuren von Auswanderern. Was fasziniert Sie an diesem Thema? Wie so viele andere Themen fiel mir auch dieses zu. Für mich war Auswandern nie ein Thema. Reisen und nach Hause kommen ja, aber Auswandern nie. 2006 war ich für die «Neue Zürcher Zeitung », die «NZZ», auf Reportage in St. Meinrad, Indiana, um den ältesten Benediktinermönch im Einsiedler Tochterkloster zu porträtieren. Bei dieser Gelegenheit traf ich in Louisville, Kentucky, Nachkommen von Einsiedler Auswanderern. Deren Geschichte wollte ich erzählen. In Chicago lernte ich Professor Leo Schelbert kennen. Der Auswanderungsspezialist und emeritierte Professor an der Illinois Universität in Chicago ist ursprünglich aus Steinen. Was haben Sie von ihm erfahren?

Das war im Jahr 2006. Ich hat-te die Fahne des Buches «Spruchreif » zum Lesen dabei. Er regte mich an, Geschichten über Auswanderungen zu schreiben. Es gibt fast keine Dokumente von Frauen, die aus der Schweiz nach Amerika ausgewandert waren. Dank Professor Schelbert kam ich zum ersten Auswanderungsbuch. Es hiess «Westwärts» und erschien 2010. Danach folgte ein Buch über Männer, die ausgewandert waren, auch wieder in Zusammenarbeit mit Leo Schelbert. So wuchs ich ins Thema hinein. Die Einsiedler in Louisville hatte ich fast vergessen, bis ich 2015 dann mit «Einsiedeln anderswo» startete. Im Fokus Ihrer Arbeit stehen neben dem Auswandern die Frau-en. Was fällt Ihnen ein, wenn Sie aus heutiger Sicht auf das Buch «Spruchreif» zurückblicken? Ich wuchs in der Stadt Zürich auf, bin aber Eggerin. 2004 lebte ich erst wenige Jahre in Egg bei Einsiedeln. Ich hörte im Radio einen Beitrag über das Obwaldner Frauenbuch «Sozusagen: Frauen leben in Obwalden». Als Andrea Meade über das Buch erzählte, dachte ich: «Warum nicht auch eines im Kanton Schwyz?» Ich habe mit Elena Hinshaw, Verlegerin in Einsiedeln, Kontakt aufgenommen. So kam das Projekt ins Rollen. «Spruchreif» ist ein Standardwerk im Kanton Schwyz. Es war das erste Mal, dass man Frauen im Kanton über ihren Alltag befragte, ein Oral-History-Projekt, obwohl der Tenor «Das braucht es doch nicht» nicht zu überhören war. Elena Hinshaw, elf Mitschreibende, zwei Fotografinnen und ich – wir machten es einfach. Weshalb war dieses Buch wich-tig?

Es kommen Zeitzeuginnen zu Wort, die Anfang des 20. Jahrhunderts geboren wurden. Ihre Geschichten zeigen auf, wie gross die Veränderungen für Frau-en waren, was Ausbildung, Familie, Arbeitstätigkeit und die gesellschaftliche Stellung betrifft. Die Geschichten dokumentieren Wertvorstellungen, die damals galten. Mit «Offägleit» folgte 2022 ein Schwyzer Heft, in dem die Frau-en im Mittelpunkt stehen und an dem Sie ebenfalls mitwirkten. Was hat sich in der Zeit zwischen den Büchern in Frauenfragen getan? «Spruchreif» entstand aus eigener Initiative. «Offägleit» gab die Kulturkommission des Kantons Schwyz in Auftrag. Claudia Hiestand leitete die Redaktion. Sechs Historikerinnen haben Grundlagenforschung geleistet. Ihnen gehört das Verdienst. Der Hauptharst war die historische Aufarbeitung der Frauengeschichte im Kanton Schwyz. Ich habe dazu sechs Zeitzeuginnen porträtiert. Das Buch ist eine Art Fortsetzung von «Spruchreif», und doch viel profunder. Jede Schwyzerin und jeder Schwyzer sollte es lesen. Auch in den Schulen müsste es besprochen werden. Es ist viel mehr als ein Heft. Es ist ein wegweisendes Buch. Ist Schwyz ein besonders hartes Pflaster für Frauenanliegen? Die Strukturen im Kanton Schwyz sind konservativ geprägt. Im 100-köpfigen Kantonsrat sitzen 13 Frauen. Im Nationalrat waren es seit Einführung des Frauenstimmrechtes im Jahr 1971 vier Frauen. Es gab noch nie eine Ständerätin. Warum, weiss ich nicht. Doch es ist nicht so, dass nichts gehen würde. Wir haben die erste CEO einer Kantonalbank. Ich habe Hoffnung und setze auf die jungen und jüngeren Frauen. Ihnen stehen in der Politik und in der Wirtschaft Tür und Tor offen. Fühlen Sie sich als Vorkämpferin für Frauenanliegen? Nein, gar nicht. Vorkämpferinnen waren Schwyzer Frauen in den Achtziger- und Neunzigerjahren, etwa Berta Truttmann aus Küssnacht, Hedy Jager aus Pfäffikon, Elisabeth Meyerhans aus Wollerau. Wie ist es für Sie, jeweils ein vollendetes Buch in den Händen zu halten? Es ist das Ergebnis eines langen Prozesses. Einerseits ist es Freude, Glück und Dankbarkeit. Andererseits schwingt aber auch immer die Frage, «Wie kommt das, was ich als Idee gut finde, bei andern an?», mit. Braucht es Durchhaltewille?

Sehr viel; ich kam mir jeweils vor wie eine Langstreckenläuferin. Projekte sind übersät mit Schwierigkeiten, die man dem Endprodukt nicht ansieht. Auf dem Weg haben mich Menschen immer wieder ermutigt. Ich hätte ohne Unterstützung ab und zu aufgegeben.

Bei Ihnen geht es immer wieder um Menschen und ihre Geschichten?

Ja, zentral. Der Religionsphilosoph Martin Buber hat mich mit dem Zitat inspiriert: «Alles wirkliche Leben ist Begegnung.» Der Austausch und die Verständigung mit Menschen von nah und fern, das ist das Salz meines Lebens. Dank Begegnungen bin ich zu dem geworden, was ich heute bin. Woher kommt Ihre Sympathie für die Klöster Fahr und Einsiedeln? 1983, ich lebte noch in der Stadt Zürich, bewarb ich mich als Quereinsteigerin um einen Platz an der Bäuerinnenschule im Kloster Fahr. Ich war bereits verheiratet und älter als die anderen Bewerberinnen. Ich entsprach nicht dem Profil, und die Klosterfrauen hatten Bedenken, dass ich mich in der Klasse von damals 39 Bäuerinnen integrieren könne.

Ist es gelungen?

Die fünf Monate bei den Schwestern in der wunderbaren Atmosphäre des Klosters Fahr waren eine wunderbare Zeit mit einer breiten bäuerlich-hauswirtschaftlichen Ausbildung. Ich blieb mit den Schwestern in Kontakt und wurde später für die Kommunikation der Schule angefragt. Nach der Schliessung der Schule hatte ich die Idee, den Beruf der Bäuerin in einem Buch zu beschreiben, und fand in der Schweiz und bis nach Australien Frauen, welche die Schule besucht hatten und als Bäuerinnen arbeiten. Sie haben als Kommunikationsexpertin Abt Martin Werlen begleitet. Wie kamen Sie dazu? Da das Kloster Fahr zu Einsiedeln gehört, lag es auf der Hand. Ich habe Abt Martin Werlen von seiner ersten Stunde als Abt im Bereich der Kommunikation beraten.

Martin Werlen ist sehr authentisch. Braucht er eine Kommunikationsberaterin?

Eigentlich nicht, doch Kommunikation gehört nicht zur Ausbildung eines Abtes. Ich erklärte ihm unter anderem das Who’s who der Medienwelt, etwa wie man mit Journalistinnen und Journalisten umgeht. Und auch, dass man es nicht persönlich nehmen soll, wenn es Schlagzeilen gibt. Es war eine persönliche Beratung, genauso wie bei Priorin Irene Gassmann im Kloster Fahr. Auch sie kann gut kommunizieren. Sie haben inzwischen das Pensionsalter erreicht. Ist Ihnen das Schreiben nie verleidet? Nein, Schreiben ist meine Leidenschaft. Warum soll ich also aufhören? Solange ich Spass, Energie und die Gesundheit habe und für Menschen und ihre Geschichten den Teppich ausrollen kann, so lange mache ich das. Welche Themen stehen bei Ihnen als Nächstes an? Es sind zwei Projekte: einmal ein Kulturaustausch mit den Kalberweidli-Büeblä, das ist eine Ländlermusikformation von vier 12- bis 18-jährigen Brüdern aus Trachslau. Sie spielte im Rahmen des Projektes «Einsiedeln anderswo » letzten Herbst für die Gäste aus den USA im «Meinradsberg». Dank und mit der Unterstützung meines Netzwerks organisiere ich Mitte Oktober für die Jungs verschiedene Auftritte bei schweiznahen Organisationen in den USA. Zudem engagiere ich mich als Coach und Mentorin. Ich begleite eine junge Autorin auf dem Weg zu einem Buch.

Susann Bosshard-Kälin

Geburtsdatum:

24. April 1954

Zivilstand: verheiratet, zwei erwachsene Töchter

Wohnort: Egg am Etzel Beruf: Journalistin, Autorin Hobbys: Reisen, Yoga, Garten

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