«Ich erwarte auch als Vater von der Politik ein entschlossenes Handeln»
Silvio Herzog (52) war während elf Jahren Rektor der Pädagogischen Hochschule Schwyz (PHSZ). Jetzt wagt er einen Neuanfang. Den Themen Führung und Bildung bleibt er treu.
Silvio Herzog, Ihr Büro an der PHSZ ist geräumt. Wie viele Kisten mussten Sie packen? Nicht viele. Das meiste ist im Computer – oder in meinem Kopf und Herzen. Wie emotional waren die letzten Wochen?
Ich verspüre eine grosse Dankbarkeit. Ich durfte die PHSZ in die Eigenständigkeit führen und zusammen mit einem ausserordentlich engagierten Team spannende Aufbauarbeiten leisten – ein Privileg.
Was werden Sie am meisten vermissen? Ganz klar: Die Mitarbeitenden.
Ihre Tätigkeit als Rektor be-stand hauptsächlich aus Kommunikation und Vernetzung. Gibt es Momente in Ihrem Leben, in welchen Sie sich zurückziehen?
Ich schaffe mir solche Momente ganz bewusst – für mich und für mein Team. Persönlich finde ich Ruhe und die notwendige Weitsicht in den Bergen. Welcher Gipfel hat es Ihnen be-sonders angetan? Auf meinem Arbeitsweg hatte ich jeweils die Mythen im Blick. Auch nach all den Jahren habe ich immer noch einen sehr hohen emotionalen Bezug zu dem Massiv. Wann war der Moment, an dem Sie wussten, dass Sie das Amt als Rektor kündigen? Der Entscheid fiel in der Silvesternacht – im Gespräch mit meiner Frau und ohne zu wissen, wie es weitergeht. Für mich war klar, dass ich wegen meiner starken Identifikation mit der Hochschule zuerst loslassen muss, um bereit für Neues zu sein. Ein Entscheid, der Mut und Vertrauen brauchte. Wieso kommt der berufliche Wechsel genau jetzt? Es war ein Bauchentscheid. Während der Aufbauphase konnten wir an der PHSZ viel bewirken. Nun sind die Gestaltungsräume enger geworden. Gleichzeitig bleiben die Herausforderungen gross. Ich sprudle immer noch vor Ideen und sehe Notwendigkeiten. Es ist jedoch wichtig, dass es nun Impulse von einer anderen Person gibt. Und auch ich brauche neue Möglichkeiten, wirksam zu sein. Blicken wir auf die elf Jahre als Rektor zurück. Können Sie ein Highlight benennen?
Es gab so viele schöne Momente. Vom Kopf her ist es zum Beispiel die institutionelle Akkreditierung der PH Schwyz im Jahr 2019. Als einzige Hochschule der Deutschschweiz haben wir keine Auflagen und sehr gute Bewertungen erhalten. Wir konnten zeigen,dass man auch mit einer kleinen Hochschule hohe Qualität bieten kann. Wir haben es gleichzeitig geschafft, uns als praxisnahe, forschungsstarke und innovative Hochschule ein klares Profil zu geben. Emotional bewegt haben mich die Diplom- und Zertifizierungsfeierlichkeiten. Hier kam unsere Mission, die Schulen zu stärken, in den strahlenden Gesichtern der Lehrpersonen und Schulleitungen zum Ausdruck.
Wo haben Sie das Ziel nicht erreicht?
Beispielsweise in der Neukonzeptionierung des Berufseinstiegs. Ich bleibe aber überzeugt, dass Ausbildung und Praxis stärker ineinanderfliessen müssen. Der Übergang von Ausbildung und Weiterbildung muss unbedingt neu ausgerichtet werden, damit die Lehrerinnen- und Lehrerbildung wirksamer werden kann. Sind Sie ein ungeduldiger Mensch? Mit den Mitarbeitenden und Studierenden bin ich geduldig. Ich versuche zu sehen, was möglich ist. Doch wenn ich eine Idee wich-tig und überzeugend finde, dann möchte ich diese direkt umsetzen. Diese Ungeduld hat unter dem Strich sicher auch geholfen vorwärtszukommen. Mein Motto war: Charmant-beharrlich (lacht). Eine Eigenschaft, die mich immer wieder angetrieben, aber auch viel Kraft gebraucht hat. Welche Note würden Sie sich für Ihre Arbeit als Rektor geben?
Ich bin gegen Noten (lacht). Das Erreichte sehe ich als Teamleistung. Vieles konnten wir umsetzen, doch es gibt nach wie vor viel zu tun. Dies zeigen nicht zuletzt Schlagzeilen betreffend Lehrkräftemangel, unzufriedene Lehrpersonen oder die Qualität des Unterrichts. Ist der Zeitpunkt, gewisse Hebel aus der Hand zu geben, doch nicht ganz so günstig? Wahrscheinlich gibt es den richtigen Zeitpunkt gar nicht. Wir sind immer wieder mit Herausforderungen konfrontiert, sei es Corona, der Ukraine-Krieg oder jetzt der Lehrkräftemangel. Die Häufung dieser Krisen muss man ernst nehmen und sie wohl als gewisse Normalität akzeptieren. Beim Lehrkräftemangel bin ich überzeugt, dass es notwendig ist, mit Sofortmassnahmen schnell zu reagieren. Die Schulen leiden unter der Situation. Gleichzeitig ist jetzt ein guter Zeitpunkt, um grundsätzlich über Schule nachzudenken und heute mittel- und langfristige Massnahmen einzuleiten. Welchen Stellenwert hatte das Thema Lehrkräftemangel in Ihrem Berufsalltag als Rektor während der letzten Monate? Das Thema war omnipräsent. Wir als Hochschule sind gefordert, mitzuhelfen und zu unterstützen. Gleichzeitig setzen wir uns für die Qualität der Lehrerinnen- und Lehrerbildung ein. Eine sehr anspruchsvolle Aufgabe, denn in einer Mangelsituation wird sehr oft bei den Anforderungen nach unten geschraubt. Dies ist gefährlich und kann mittel- und langfristig zu grossen Schwierigkeiten führen. Es braucht eine genaue Analyse und überkantonale Vorgehensweise – statt Aktionismus und einen föderalistischen Konkurrenzkampf. Das klingt nicht nach einer Ohnmacht. Sie sehen Möglichkeiten – oder?
Ja. In solchen Situationen sehe ich immer auch Chancen. Es braucht Mut, Sachen auszuprobieren. Auch wenn viele die Erwartung haben, gibt es bei dem Thema keine einfachen Lösungen. Das eine Rezept gibt es nicht. Das Ziel muss es sein, sehr gute Lehrkräfte im Beruf halten zu können und den Beruf attraktiv zu machen, damit er von vielen Personen, die geeignet dafür sind, ausgeübt wird. Zum Stichwort Qualität: Oft wird kritisiert, dass immer mehr nicht qualifizierte Lehrpersonen unterrichten. Kann heutzutage jede und jeder Schule geben? Es sind bereits heute viele Wege zum Lehrberuf offen. Bedingung ist, dass sich die Personen das notwendige Rüstzeug aneignen. Über vierzig Prozent der Studierenden an der PHSZ sind Quereinsteiger und haben am Schluss ihre Erfahrung in anderen Berufen und eine vollständige Ausbildung zur Lehrperson. Welche Erfahrungen machen Sie diesbezüglich? Sehr positive. Es braucht aber zwingend eine hochstehende Ausbildung, sodass die Qualität stimmt. Unterrichtende ohne Lehrdiplom sind eine Notlösung für die Betreuung der Klassen: Für Bildung und Unterricht braucht es aber viel mehr an Wissen und Können. Ich war selbst als Primarlehrer tätig und habe heute noch grössten Respekt vor den Lehrerinnen und Lehrern, wie sie ihre Aufgabe meistern. Sie sind Vater von zwei kleinen Kindern. Machen Sie sich diesbezüglich keine Sorgen? Doch: Ich habe grosse Bedenken. Ich möchte die bestmögliche Bildung für meine Kinder. Unser Bildungssystem ist in der Verantwortung. Ich erwarte auch als Vater von der Politik ein sehr entschlossenes Handeln. Der Schulstoff ist einerseits etwas sehr Starres. Andererseits muss die Schule auch mit all den neuen Errungenschaften mithalten. Wie gelingt dies? Das Tempo der Veränderungen hat in unserer Gesellschaft deutlich zugenommen – nicht zuletzt aufgrund der Digitalisierung. Für die Schulen ist das wohl eine der grössten Herausforderungen: Sie müssen erkennen, wo sie schnell reagieren müssen und wo sich das Warten lohnt.
Was braucht es dafür?
Eine klare Vision für die Schule der Zukunft, damit der Blick vorwärts auf das Ganze gerichtet ist. Schulen brauchen meiner Meinung nach zudem viel mehr Autonomie und Gestaltungsfreiräume, um den Bildungsauftrag erfüllen zu können. Und es braucht mehr Zeit, um angestossene Veränderungen richtig verankern zu können. Sie haben vor dreissig Jahren in Rickenbach die Ausbildung zum Lehrer gemacht. Würden Sie den Weg heute nochmals einschlagen? Ja, unbedingt. Ich bin vom Beruf auch heute noch begeistert. Damit ich die Lehrtätigkeit langfristig ausüben würde, müsste sich die Schule als Arbeitsort jedoch verändern. Auch diesbezüglich stellen sich einige Aufgaben an das Schulsystem. In den elf Jahren als Rektor hat-ten Sie einen grossen Gestaltungsspielraum und haben die PHSZ geprägt. Nun übernimmt Kathrin Futter den Posten. Wie gross wird der Spielraum Ihrer Nachfolgerin sein? Zu Beginn hatten wir enorm viel Handlungsspielraum. Dieser wurde von Jahr zu Jahr weniger. Auch durch die Rahmenbedingungen sind wir an Grenzen gestossen. Von der Phase her, in der die Hochschule momentan ist, hat meine Nachfolgerin weniger Spielraum. Ich wünsche mir aber, dass dieser für sie und für die PHSZ als Ganzes erweitert wird. Auch wenn heute keine Existenzfragen wie bei der Gründung mehr da sind, sind die Herausforderungen nicht kleiner geworden. Sie wagen nun den Schritt in die Selbstständigkeit und geben dadurch auch ein Stück Sicherheit auf. Machen Sie sich auch Sorgen? Bisher war ich immer angestellt – und zwar nahtlos. Die Kündigung einzureichen,ohne zu wissen,wie es weitergeht, und nun selbstständig zu werden, war für mich ein grosser Schritt. Zwischenzeitlich konnte ich bereits spannende Kontakte herstellen und Aufträge gewinnen, so bin ich etwas ruhiger geworden. Ich habe diese Herausforderung aber bewusst gesucht. Eine Hochschule zu repräsentieren, fällt mir in einem ersten Schritt einfacher, als mich selber zu verkaufen. Beim Thema Bildung bleiben Sie aber. Meine Mission wird sein, Hochschulen, Schulen und andere Organisationen in dieser anspruchsvollen Zeit zu unterstützen. Ich sehe mich dabei als Begleiter, der Führungspersonen und Teams bestärkt, aus bestehenden Mustern auszubrechen. Mutig zu sein, gross zu denken und kleine Schritte zu gehen,auch wenn man nicht weiss,wo der Weg endet. Ich freue mich auf die neue Rolle, die auch neue Freiheiten und Herausforderungen mit sich bringt.