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Akademische Würde für Ländlerpapst Wysel Gyr

Akademische Würde für Ländlerpapst Wysel Gyr Akademische Würde für Ländlerpapst Wysel Gyr

Im Rahmen eines mehrjährigen Forschungsprogramms untersucht die Uni Zürich den Einfluss von Wysel Gyr auf die Volksmusik.

Was war Wysel Gyr (1927– 1999) nicht alles! Mann der ersten Stunde beim Schweizer Fernsehen, Fernsehredaktor und Moderator der heute noch geläufigen Sendungen «Für Stadt und Land», «Diräkt us», «Bodeständigi Choscht» oder «Öisi Musig»; er war pro-funder Kenner der Volksmusikszene und prägte diese Kraft seiner Ausnahme-Stellung beim Schweizer Fernsehen in zuvor nicht gekanntem Ausmass. Das ihm umgehängte Etikett «Ländlerpapst» war Ausdruck von Gyrs Bedeutung und Einfluss.

Gyr war aber auch Einsiedler Bürger, wenngleich das Klosterdorf diese Ehre mit Zürich teilen musste. Als das Fernsehen Wysel Gyr 1995 in den Ruhestand verabschiedete, erwiesen ihm Hunderte von Musikanten und Musikantinnen, Jodler, Geisslechlepfer und Trichler die Ehre (EA 99/95). Und das Schweizer Fernsehen übertrug live vom Klosterplatz! Kontrovers bewertetes Wirken

Wysel Gyr war eine markante Persönlichkeit. Und sie löste durchaus gemischte Eindrücke aus. Nachfolgende Medienmacher gingen zeitweise auf Distanz zu Wysel Gyrs allzu bewahrendem Heimatbegriff des «bluemete Trögli». Und als im September 2021 die Idee des Forschungsprojekts präsentiert wurde, ging die «SonntagsZeitung» fast schon diffamierend ungnädig mit unserem Mitbürger um. Das Projekt, das sich im zweiten Forschungsjahr befindet, dürfte das Wirken und vor allem den Einfluss Wysel Gyrs nun in wissenschaftlicher Genauigkeit abbilden. Rund 600 Fernsehsendungen

Das Forscherteam um Professor Bernhard Tschofen vom Institut für Sozialanthropologie und Empirische Kulturwissenschaft an der Universität Zürich beschäftigt sich seit etwas mehr als einem Jahr mit dem Einfluss des Fernsehens auf die Volksmusik. Das Projekt läuft unter dem Titel «Claiming Folklore – Politiken und Praktiken von Volksmusik im Schweizer Fernsehen». Die Zeitspanne reicht von 1960 bis 1990. Es ist die Zeit von Wysel Gyr.

Das vierjährige Projekt bekommt über die umfangreichen Materialien des SRF-Archivs Einblick in die Art und Weise, wie Gyr und seine Redaktion die Ländlerkapellen, Musikensembles und Jodlerchöre für unterschiedliche Sendeformate auswählte. Dank eines Beitrags der Stiftung Kulturerbe ist es auch möglich, das umfassende Redaktionsarchiv von Wysel Gyr zu digitalisieren. Insgesamt sind etwa 600 (!) Fernsehsendungen und musikalische Einspieler sowie sämtliche Korrespondenzen und Sendungsunterlagen der damaligen Redaktion «Folklore und Heimat» Gegenstand der Untersuchung – der grösste Teil akribisch vom Moderator und Abteilungsleiter Wysel Gyr selbst erfasst und archiviert.

«Eine absolute Schlüsselrolle» Obwohl erst im zweiten Forschungsjahr und noch mitten in der Datenerhebungsphase, erkennt Alexandra Neukomm, als Doktorandin eine der vier Projektmitarbeitenden, «gewissen Tendenzen». Beispielsweise wurde die Professionalität von Wysel Gyr oft erwähnt. Gyr war wich-tig, dass nur qualitativ hochwertige Volksmusik in seinen Sendungen gespielt wurde. Für Gyr sei das Ästhetische zwar nicht unwichtig gewesen, für ihn war das «Authentische» aber wichtiger: Kulisse und Tracht mussten zur gespielten Musik und ihrer Herkunft passen.

Gewisse Ländlerkönige konnten durch ihre Popularität nicht nur ausserhalb ihrer Region auftreten, sondern hatten so viele Engagemente, dass sie so-gar von ihrer Musik leben konnte. Für die Musikerinnen und Musiker hätten das Fernsehen und Wysel Gyr eine absolute Schlüsselrolle gespielt, um bekannt zu werden, so Neukomm.

Heute nicht mehr möglich In der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift «Link», dem Mitgliederorgan der SRG Zentralschweiz, geht Redaktorin Pernille Budtz der Frage nach, ob ein solcher Einfluss, wie ihn Gyr damals gehabt hatte, heute noch möglich wäre? «Nein», meint Ueli Stump, SRF-Musikwelle-Redaktor. «Zum einem gehörte Wysel zu den Fernsehpionieren, und er hat seine Gefässe von Grund auf selbst aufgebaut; man liess ihn gern gewähren.» Das habe ihm automatisch eine dominante Position gebracht, die er durch seine Persönlichkeit auch entsprechend ausfüllte. «Zum Zweiten waren die Rahmenbedingungen damals anders: Es gab kaum Konkurrenz, seine Quoten waren daher beachtlich – und das Publikum war viel homogener und der Ländlermusik gegenüber aufgeschlossener als heute.»

Foto: Christof Sonderegger, Comet Photo AG (Zürich), Sammlung der ETH-Bibliothek


Sein Wirken als Fernsehmoderator ist Gegenstand der wissenschaftlichen Forschung: Wysel Gyr, undatierte Aufnahme (vor 1995). Foto: Archiv EA

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