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Das Leben hinter Gittern

Das Leben hinter Gittern Das Leben hinter Gittern

Die Gefängnisse in der Schweiz sind voll, jenes in Biberbrugg zu 80 Prozent ausgelastet. Dennoch gewährte man uns einen Blick hinter die hohen Gefängnismauern. Eine Reportage.

Etwas mulmig ist mir schon, als ich bei der Zentrale des Kantonsgefängnisses in Biberbrugg durch den Scanner gehe und die-ser wild piept und rot aufleuchtet. Genau genommen sind es sogar zwei Scanner – hier will man nichts dem Zufall überlassen. Meine ID wurde bereits überprüft. Eigentlich betreten Besucherinnen und Besucher das Gefängnis über einen anderen Eingang. Ich benutze denselben, den auch die Inhaftierten passieren müssen. Hier geben sie ihre Wertsachen und andere Gegenstände ab, bevor sie eingewiesen werden. Diese werden in einem Verzeichnis erfasst. Ihre Kleider dürfen sie behalten. Anschliessend folgt die Leibesvisitation. Auf Empfehlung der Nationalen Kommission zur Verhütung von Folter (NKVF) im Jahr 2013 läuft diese seither im Zwei-Phasen-System ab, das heisst; der oder die Inhaftierte steht nie komplett nackt vor den Angestellten des Justizvollzugs.

Das dreistöckige Gefängnis wurde nach der Volksabstimmung 1999 offiziell am 1. Januar 2007 in Betrieb genommen.

Zwischen den ersten Plänen und der Eröffnung liegen stolze 15 Jahre. Davor gab es ein Gefängnis in Schwyz und eines in Lachen. Neben dem Gefängnis und dem Amt für Justizvollzug befinden sich auch die Kantonspolizei sowie die erste und fünfte Abteilung der Staatsanwaltschaft am Sicherheitsstützpunkt in Biberbrugg (SSB). Die insgesamt 85 Arbeitsplätze (davon 17 im Gefängnis) sollen in ein paar Jahren mit dem Projekt «Topos» auf 320 ausgebaut werden (wir berichteten). Das Projekt befindet sich weiterhin in der Planungsphase und wird auf das neue Zentrum in Kaltbach abgestimmt. Damit werden künftig alle Polizeieinheiten in Biberbrugg zusammengeführt.

Auslastung von über 80 Prozent Armin Bründler, Leiter des Kantonsgefängnisses, führt mich an mit Orange, Gelb und Grün bemalten Betonwänden vorbei zu den Ausnüchterungszellen. Drei davon können auf Anordnung auch überwacht werden, wie mir Bründler mitteilt. Das könne zum Beispiel bei suizidgefährdeten Personen nötig sein. Die Zellen sind randalensicher – Bett und Tisch sind aus Beton, das Geschäft muss in der Hocke verrichtet werden, denn ein richtiges WC gibt es nicht. Die erbsengrüne Matratze ist leicht zu reinigen. Erlebt haben die Gefängnisangestellen schon einiges – von eingedrückten Scheiben und zerstörtem Inventar bis zu Fäkalien an den Wänden. Über eine Sprechanlage kann der oder die Gefangene mit den Betreuern kommunizieren. Wer hier rein muss, darf für eine Stunde pro Tag nach draussen. Es kommt auch vor, dass Inhaftierte von der Zelle zur Dusche mit Handschellen geführt werden müssen. Durch das Metallgitter und das dicke Panzerglas hindurch blickt man auf eine mehrere Meter hohe umgebende Mauer. Mehr Glück hat, wer eine Zelle in einem der oberen Stockwerke erhält. Ein wunderbarer Blick auf die Berge, den Fluss und die Weiden dürfte den Gefängnisalltag etwas aufhellen.

Glück habe auch ich, dass ich mir die Zellen überhaupt anschauen kann. Von den 38 Plätzen sind (Stand 22. März) nämlich 33 Plätze besetzt. «Da wir immer ein bis zwei Plätze frei halten müssen, heisst das faktisch, dass wir voll sind», informiert mich Bründler. Die Auslastung sei momentan in der ganzen Schweiz stark. «Überall hat es zu wenige freie Plätze. Wir sind dauernd im Austausch mit Zürich, Glarus und den Kantonen des Konkordats Nordwestund Innerschwyz, dem wir angehören, um uns gegenseitig auszuhelfen.» Glücklicherweise könnten die Zellen flexibel umgenutzt werden, und auch Aufenthaltsräume liessen sich bei Platzmangel für die Unterbringung von Inhaftierten nut-zen. Bis zu drei Personen können ausnahmsweise in der 18 Quadratmeter grossen Zelle untergebracht werden. Die Einzelzellen sind 12 Quadratmeter gross. Doch viel habe man «wirklich nicht mehr spatzig». Bründler: «Wenn es zum Beispiel in einer Doppelzelle Ärger gibt, müssen wir die Streithähne trennen können.» Überhaupt müsse man sehr flexibel sein, da nicht abzusehen sei, wer neu kommt und wer wann geht.

Wenn jemand im Kanton Schwyz verhaftet wird – egal weswegen – kommt er oder sie erst mal nach Biberbrugg. Das kleine Gefängnis eignet sich jedoch nur für Kurzaufenthalte. Kommt es zu einer Untersuchung, bleibt der oder die Inhaftierte bis zum Gerichtstermin hier. Die eigentliche Strafe wird dann in einer grösseren Anstalt abgesessen – Frauen kommen zum Beispiel nach Hindelbank, Jugendliche nach Aarburg ins Jugendheim.

Kontrolle hat ihre Grenzen Die Haftbedingungen unterscheiden sich, je nachdem, ob sich die Person in Untersuchungshaft oder im vorzeitigen Strafvollzug befindet. Wer sich im Vollzug befindet, erhält ein etwas freundlicheres Zimmer, das mit einer Toilette und oftmals auch mit einem Fernseher ausgestattet ist, darf telefonieren – wenn er oder sie das Geld dazu hat – und einmal pro Woche Besucher empfangen (am Wochenende nur in Ausnahmefällen). Briefe schreiben dürfen auch Personen in Untersuchungshaft, jedoch werden alle Briefe gelesen. Besucherinnen und Besucher sind die grösste Gefahrenquelle in Bezug auf Schmuggeleien aller Art. Bründler sagt: «Die Kontrolle kann nicht alles abfangen. Wenn jemand verdächtigt wird, etwas in Körperöffnungen versteckt zu haben, ziehen wir unseren Gefängnisarzt für die Körperkontrolle bei. Zudem können bei Verdacht auch Urin-Proben angeordnet werden. Wird jemand erwischt, dürfen die nächsten Besuche nur noch per Trennscheibe stattfinden.» So, wie es während der Pandemie für alle galt. Diese habe man übrigens gut überstanden. Indem Insassen nach der Einweisung zunächst in Quarantäne muss-ten, konnte man Ansteckungen vermeiden. Ein Todesfall seit der Eröffnung

Die NKVF lobte in ihrem Bericht die verschiedenen Beschäftigungsmöglichkeiten im Schwyzer Kantonsgefängnis. Nur von 19 Uhr bis 7 Uhr sind die Insassen, welche sich im Vollzug befinden, in ihren Zellen eingeschlossen. An Werktagen arbeiten sie bis zum Zelleneinschluss in Gruppen und dürfen sich in der eigenen Abteilung frei bewegen, also zum Beispiel die Bibliothek nutzen oder einen Spaziergang machen (maximal eine Stunde pro Tag). Die Insassen helfen in der Waschküche mit, putzen, machen den Abwasch, bügeln, packen Ware ein, verrichten Holzarbeiten, kleben, bestücken und helfen in der Küche aus. Dort gibt es nichts zu meckern – ein Blick auf die MenüOrganisation zeigt, dass auf jegliche Unverträglichkeiten und religiösen Werte Rücksicht genom-men wird.

Ab und zu gebe es auch Hungerstreiks. «Entweder, weil sie mit der Haft nicht einverstanden sind, oder um Druck auszuüben. » In einem solchen Fall werde als Erstes der Gefängnisarzt, welcher jederzeit abrufbereit sei, und dann allenfalls ein externer Psychiater beigezogen. Auch Notärzte und ein Seelsorger stehen dem Gefängnis zur Verfügung. In den 16 Jahren, seit es das Gefängnis gibt, habe es einen Todesfall gegeben. «Einer zu viel», sagt Bründler mit Bedrückung. Das sei für die Angehörigen und Mitarbeitenden psychisch belastend gewesen. Überhaupt müssen diese starke Nerven haben. «Sie müssen wissen, in welchem Fall es etwas mehr Zuspruch und wann es mehr Härte braucht. Das herauszuspüren, ist sehr herausfordernd », so Bründler. Man arbeite mit Menschen, da brauche es Fingerspitzengefühl und ein gutes Verhältnis zwischen Nähe und Distanz. Ausserdem sei Flexibilität gefordert – «kein Tag ist wie der andere».

Bevor wir die Küche verlassen, erzählt mir Bründler eine lustige Anekdote. Einmal sei ein Liebespaar gleichzeitig hier gewesen. Doch weil Männer und Frauen getrennt sind, hatten sie keine Möglichkeiten zur Kommunikation. «Also hat-te er die Idee – weil er in der Küche arbeitete –, ihr einen Liebesbrief unters Essenstablett zu kleben.» Natürlich strengstens verboten. Ob die beiden heute noch zusammen Pferde stehlen?

Fotos: Anouk Arbenz


Armin Bründler, Leiter Kantonsgefängnis.

In der Bibliothek finden sich Bücher, Magazine und Bibeln vieler Sprachen.

Einmal pro Woche dürfen die Insassen ins Fitnessstudio.

Eine der derzeit noch wenigen freien Zellen im Kantonsgefängnis.

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