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«Wir sind wie eine grosse Familie»

«Wir sind wie eine grosse Familie» «Wir sind wie eine grosse Familie»

Niklas Hartweg vom Skiclub Einsiedeln hat sich schneller in der Biathlon-Weltelite etabliert als erwartet. Gerne schaut er auf die erfolgreiche Saison zurück.

Es ist erst ein halbes Jahr her, da sass Biathlet Niklas Hartweg beim Interview und gab seine Ziele für seinen ersten kompletten Weltcup-Winter preis. Konstante Ränge in den Top-30 peilte er damals an, mit einzelnen Top-20-Resultaten. Er lag definitiv falsch damit, im positiven Sinn. Er lief konstant, konstant gut bis hervorragend. Das blaue Trikot des besten U25-Läufers sowie den Pokal dazu hält er nun, nach Abschluss der langen Weltcup-Saison, in den Händen. «Wenn ich ganz ehrlich bin: Der erste Podestplatz in Kontiolahti zu Beginn der Saison gehört gar nicht unbedingt zu meinen besten Momenten der Saison», erklärt Niklas Hartweg überraschend. Ende November lief er im Einzel auf den unerwartet sensationellen 2. Rang hinter dem Schweden Martin Ponsiluoma. «Da hatte ich keinen Druck, realisierte erst viel später, was passiert war.» Es war der Anfang einer unglaublichen Saison, der Aufstieg an die Weltspitze. Am Schluss reichte es für den Wollerauer auf den 11. Rang im Gesamtweltcup. 608 Punkte konnte er sich in seiner Debut-Saison sichern.

Jahrelange Rivalität 16 Punkte mehr als der zweitbeste U25-Läufer, der Italiener Tommaso Giacomel. Die beiden verbindet eine jahrelange Rivalität, aber auch eine enge Freundschaft. «Beim ersten Rennen, als wir aufeinander trafen, ha-ben wir beide einen Schiessfehler gemacht und die genau gleiche Laufzeit realisiert. Wir standen als 15-Jährige beide zuoberst auf dem Podest», erinnert sich Hartweg. «Bis heute kämpfen wir beide leidenschaftlich um die Punkte.» Da ist kein Neid im Spiel, beide gönnen einander die Punkte. Dass Hartweg am Schluss der Saison den Pokal und das blaue Trikot in den Händen hält, das stand lange auf Messers Schneide. «Östersund war ein Desaster», urteilt Hartweg. Es war das zweitletzte Wochenende vor dem Finale in Oslo. Giacomel war in Hochform, Hartweg kam nicht auf Touren, lief nur hinterher. «Da haben mich Läufer stehengelassen, die ich sonst problemlos im Griff habe.» Der Italiener überholte den Wollerauer im Klassement und setzte sich im Ranking deutlich ab. Hartweg fühlte sich müde, muss-te das Training drei Tage lang aussetzen und ging ohne Form in Holmenkollen an den Start. Giacomel holte als 14. im Sprint wieder viele Punkte, Hartweg als 32. ein paar wenige.

Das Rennen um das blaue Trikot schien entschieden. «Die drei Tage ohne Training haben mir gutgetan.» Plötzlich war die Form bei Hartweg wieder da. In der Verfolgung holte Hartweg 26 Ränge auf und wurde Sechster, Giacomel als Elfter konnte den Schaden limitieren. Beim allerletzten Massenstart liess es Hartweg noch einmal krachen. Mit dem 2. Platz hinter Dominator Johannes Thingnes Bø sicherte sich der Wollerauer den U25Pokal am Schluss doch noch.

Hartweg bewundert Bø, das gibt er unumwunden zu. Aber anders als in anderen Sportarten «sind wir im Biathlon wie eine Familie », so Hartweg. Da wird aufeinander geschaut, nicht gegeneinander gearbeitet. So hat auch Johannes Thingnes Bø viel Respekt vor Hartweg, klatscht ihn am Ziel ab und nimmt sich auch immer wieder Zeit, dem jungen Schweizer wertvolle Tipps zu geben. «Ich erinnere mich an Oberhof. Da war es sehr warm. Bø hat mir gesagt, ich solle nur kurz einlaufen. Wir sassen dann zusammen in einem Raum und haben uns nur kurz aufgewärmt.» Auch hat Bø Hartweg immer wieder nach schwierigen Rennen aufgemuntert und ihm gesagt, dass es für regelmässige Spitzenränge im Weltcup sehr viel Zeit brauche. «Johannes Thingnes läuft in einer eigenen Liga, da braucht er auch gar keinen Futterneid zu haben», sagt Hartweg auf die entsprechende Frage. Dieser Neid ist eh kein Thema im Biathlon, wie schon erwähnt.

Wichtiger Teamspirit

Im Rückblick auf die Saison erwähnt Hartweg auch den Team-geist innerhalb des Schweizer Teams. Er schwärmt richtiggehend davon, seine Augen leuchten. «Es ist doch wunderbar, ha-ben wir mit Sebastian Stalder einen zweiten Weltklasseathleten, der unter die Top-10 laufen kann.» Die beiden freuen sich füreinander. «Natürlich ist Biathlon eine Einzelsportart. Aber ich kann mir nicht vorstellen, nur schon das ganze Trainingsprogramm alleine zu bewältigen. Da hilft ein Team definitiv.» Mit Freude hat Hartweg zur Kenntnis genommen, dass Stalder mit guten Resultaten in die Bresche gesprungen ist, als es für ihn nicht so gut gelaufen war.

Ein weiterer Höhepunkt der Saison ist für den Höfner die EM in der Lenzerheide. «Da haben wir zum ersten Mal den Druck der Öffentlichkeit gespürt.» Es galt im letzten Rennen, der Single-Mixed-Staffel, für die Schweiz die ers-te EM-Medaille in der Biathlon-Arena zu holen. «Wir haben den Speaker gehört, der von einer Medaille gesprochen hat. Wir waren die Stars an diesem Tag.» Dass es zusammen mit Amy Baserga (Einsiedeln) eine Silbermedaille gab, hat auch Hartweg aufgezeigt, dass er dem Druck standhalten kann. Ein nicht unwesentlicher Faktor für den weiteren Erfolg in dieser Sportart. «Natürlich bekommt man an einem Wettkampf mit, was die Konkurrenz neben einem im Schiessstand leistet.» Das kann gehörigen Druck aufsetzen. Ein Umstand, dem man Rechnung tragen muss. «Mit der Heim-EM haben wir auch die gute Möglichkeit gehabt, in kleinem Rahmen zu tes-ten, wie es 2025 an der Heim-WM sein wird.» Dann werden über 20’000 Zuschauer erwartet, darunter viele Schweizer Fans.

Grosse Präsenz Die Aufmerksamkeit ist Hartweg bereits jetzt international gewiss, das hat er auch gemerkt. «Es gibt immer mehr Medientermine, zuletzt im Sport-panorama im Schweizer Fernsehen SRF.» Aber auch während der Rennen sind viele Kameras auf Hartweg gerichtet. «Da muss ich jeweils schauen, dass ich ganz bei mir bleibe. » Nicht ganz einfach, wenn eine TV-Kamera nur wenige Zentimeter neben dem Gewehr das Schiessen des zurzeit bes-ten Schweizers einfangen will. Aber all das geniesst Hartweg auch. «Es ist wie in anderen Sportarten auch. Als Kind träumt man davon, dass man berühmt wird.» Er geniesst es auch, wenn er im Stadion beim Schiessen vom Publikum angefeuert wird, schwärmt zum Beispiel von Nove Mesto und Annecy- Le Grand Bornand. Dort, wo viele kundige Fans die Strecke säumen, das Stadion füllen und einen Heidenlärm veranstalten. Aber auch Oslo gefällt ihm gut, die Nähe zur Stadt, das skandinavische Feeling, auch wenn Hartweg eigentlich gar keinen Lieblingsort hat.

Nach der langen Saison geht es für den Wollerauer in diesem Monat, nachdem er alle Termine und die Fanpost abgearbeitet hat, für ein paar entspannende Wochen nach Marokko. Dort will er am Strand die Seele baumeln lassen, sich erholen. «Das Polysportive kommt sicher nicht zu kurz», lacht er. Heisst: Auf dem Surfbrett wird die eine oder andere hohe Welle gemeistert. Gut so, denn hohe Hürden warten in Zukunft auf den sympathischen und bescheidenen Athleten aus Wollerau.

Foto: Franz Feldmann

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